Online-Medium für den Nahen Osten: Eine Brücke vor dem Einsturz
Das Online-Magazin qantara.de soll Deutschlands Ruf in der arabischen Welt verbessern. Nun droht die Redaktion mit Rücktritt. Was ist da los?
Die komplette Redaktion des deutsch-arabischen Online-Magazins qantara.de will zu Ende Juni zurücktreten. Das erfuhr die taz aus Redaktionskreisen. Weil das Auswärtige Amt beschlossen hat, das Online-Magazin aus seinem bisherigen Mutterhaus, der Deutschen Welle (DW) in Bonn, auszugliedern, sehe die fünfköpfige Redaktion ihr Medium bedroht und keine Zukunft mehr. Sie erläutern das in einem Schreiben an ihre Autorinnen und Autoren, das der taz vorliegt.
qantara.de wurde als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 ins Leben gerufen. Deutschlands damaliger Außenminister, Joschka Fischer, stellte die Mittel bereit. Er sah darin ein Instrument der „Soft Power“, um Deutschlands Ruf in der arabischen Welt zu verbessern. Das arabische Wort „Qantara“ bedeutet so viel wie „Brücke“. Das Online-Portal veröffentlicht seine Artikel in der Regel in drei Sprachen: auf Deutsch, Arabisch und Englisch.
Jeden Freitag verschickt die Redaktion einen Newsletter für 22.000 Menschen, davon 12.000 auf Arabisch. In der aktuellen Ausgabe wird auf neue Artikel über „Muslime in Indien“ und „Ägyptens neue Hauptstadt“ hingewiesen. Auf der Webseite sind derzeit an prominenter Stelle zwei Artikel zum deutsch-israelischen Verhältnis und dem Krieg in Gaza zu finden. Es geht aber auch um Kultur- und Gesellschaftsthemen: tunesische Filme, türkische Musik und feministische Kunst aus Pakistan. Qantara bildet ein Kaleidoskop des Nahen Ostens ab.
Angst um redaktionelle Unabhängigkeit
Nun will das Auswärtige Amt qantara.de aus der Deutschen Welle ausgliedern und dem Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) in Stuttgart übertragen. Das IfA ist – neben dem Goethe-Institut – die wichtigste Instanz für den deutschen Kulturaustausch mit der Welt, es wird zum großen Teil vom Auswärtigen Amt finanziert. Gegen ihre Auslagerung führt die Redaktion praktische Gründe an: das IfA verfüge nicht über die nötige Infrastruktur und habe keinen Zugriff auf Bilddatenbanken oder Agenturen wie bei der Deutschen Welle. Doch im Grunde fürchtet die Redaktion um ihre redaktionelle Unabhängigkeit.
Das Auswärtige Amt beschwichtigt in dieser Sache: „Wir werden beim IfA genau so wenig Einfluss haben wie auf die Deutsche Welle“, heißt es dort. Die Finanzierung sei gesichert, die Staatsferne bleibe garantiert. Man erhoffe sich vom Wechsel aber „mehr Breitenwirkung“ für qantara.de. Das IfA verweist auf Nachfrage auf „fundierte und langjährige redaktionelle Erfahrungen“ mit seiner Zeitschrift Kulturaustausch, die viermal im Jahr mit einer gedruckten Auflage von fast 8.000 Exemplaren erscheint, sowie zwei Online-Kunstmagazinen.
Nur: Breitenwirkung hat qantara.de bereits. Auf Facebook erreicht das Magazin mehr als 800.000 Follows – die meisten mit seinen arabischen und englischen Seiten. Dem IfA folgen in den sozialen Medien auf all seinen Kanälen nach eigenen Angaben rund 210.000 Accounts, also rund ein Viertel davon. Wie es qantara.de zu „mehr Breitenwirkung“ verhelfen soll, wie es das Auswärtige Amt sagt, bleibt dessen Geheimnis.
Furcht vor Entpolitisierung
Kritiker fürchten, dem Auswärtigen Amt gehe es darum, qantara.de stärker unter seine Kontrolle zu bringen und es zu entpolitisieren. Denn auf qantara.de finden sich immer wieder auch kritische Artikel zur deutschen Außenpolitik, zu deutschen Islam-Debatten und zur europäischen Asylpolitik. Das unterscheidet es von vielen Propagandamedien in der arabischen Welt.
Im Netz formiert sich Protest gegen die geplante Umstrukturierung. Wie vor zwei Jahren, als die weitere Finanzierung durch das Auswärtige Amt infrage stand und qantara.de deshalb das Aus drohte, kritisieren zahlreiche Nahost-Experten und Journalisten jetzt die neuen Pläne. Auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) fordert den Verbleib des Online-Portals bei der Deutschen Welle: Nur so könnten Unabhängigkeit und journalistische Qualität gewahrt bleiben.
Für qantara.de schreiben namhafte Autor:innen, die teilweise auch für die taz schreiben – darunter Charlotte Wiedemann, Kristin Helberg und Emran Feroz – sowie arabische Autor:innen, die in ihren Ländern unter Zensur leiden. Sollte das Online-Portal wegfallen, wäre das eine kritische und universalistische Stimme weniger in der Region.
Ausgerechnet jetzt, wo das Ansehen Deutschlands in der arabischen Welt in den Keller gerutscht ist, weil es trotz der vielen Toten in Gaza weiter eng hinter Israels Regierung steht, wäre das auch für Deutschlands „Soft Power“ ein weiterer Rückschlag.
Hinweis: Daniel Bax schreibt selbst als Autor gelegentlich für qantara.de. Zuletzt 2015.
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