Olympische Spiele in Tokio 2020: Kleinlaut zurück auf null
Außer dem IOC mochte kaum jemand das Design des geplanten Olympiastadions in Tokio. Jetzt wird der Bau gestoppt.
N ormalerweise segelt Japans größte Zeitung Yomiuri Shimbun mit einer Morgenauflage von fast 10 Millionen Stück auf stramm konservativem Kurs. Sie lässt auch mal störende Fakten weg, um Premierminister Shinzo Abe ins rechte Licht zu rücken. Umso mehr überraschte ihr äußerst negativer Kommentar zum geplanten Stadion für Olympia 2020 in Tokio. Den Bauauftrag zu vergeben, ohne die Finanzierung zu kennen, sei „lächerlich“ und „unverantwortlich“, hieß es.
Tatsächlich war nur ein Viertel der Kosten gedeckt. Der Hauptgrund: Seit der Vergabe von Olympia 2020 vor knapp einem Jahr nach Japan hatte sich der veranschlagte Baupreis auf 1,9 Milliarden Euro nahezu verdoppelt. Das wäre viermal so teuer wie das Olympiastadion in Peking 2008 und dreimal so teuer wie das von London 2012 gewesen.
Niemand in Japan konnte sich die Kostenexplosion so richtig erklären, zumal das ursprüngliche Design bereits um ein Viertel geschrumpft und auf das verschließbare Dach verzichtet wurde. Der Hinweis, das Baumaterial habe sich stark verteuert, überzeugte nicht.
Die Zeitung Yomiuri machte das Design der Architektin Zaha Hadid mit zwei 70 Meter hohen Riesenbögen für die exorbitanten Kosten verantwortlich. „Warum wurde diese Basisstruktur nicht infrage gestellt?“, ärgerte sich der Kommentator.Damit machte sich die Zeitung zur Speerspitze der Unzufriedenheit mit dem neofuturistischen Design.
Stadiondesign als Toilettensitz verhöhnt
Der prominente Architekt Arata Isozaki beschrieb es als „Schildkröte, die darauf wartet, dass Japan untergeht, damit sie wegschwimmen kann“. Kreative Twitter-User verhöhnten das Design mit Photoshop-Montagen wahlweise als Fahrradhelm, Faxgerät, Badewanne und Toilettensitz.
Der Hadid-Entwurf beißt sich auch mit dem nahe gelegenen Meiji-Kaiserschrein in klassisch-japanischer Holzbauweise und ignoriert die 15-Meter-Grenze für die Fassadenhöhe. Dagegen hatte eine Gruppe von bekannten Architekten bereits früh protestiert.
Dann geschah, womit niemand gerechnet hatte. Regierungschef Shinzo Abe persönlich sprach ein Machtwort. „Wir gehen zurück auf null“, erklärte Abe vor einer Woche und kündigte einen neuen Architekturwettbewerb an. Das Stadion solle so „billig wie möglich werden“, schob sein Sprecher nach.
Der Baubeginn wird auf das Frühjahr 2016 verschoben. Der Chef des Organisationskomitees, Yoshiro Mori, gab sich kleinlaut: „Das Design ist immer unbeliebter geworden.“ Er habe den Entwurf sowieso nie gemocht, weil er ihn an eine Auster erinnere, so Mori.
Das Design war wichtig, um den Zuschlag zu erhalten
Abes Entscheidung ist politisch motiviert. Mit der Verabschiedung der Sicherheitsgesetze hat der konservative Premier viel Porzellan zerschlagen, weil die pazifistisch orientierte Bevölkerung mehrheitlich dagegen ist. Ein zweites Großprojekt gegen den Willen der Japaner durchzusetzen, wollte Abe nicht riskieren.
Allerdings muss Japan noch das Internationale Olympische Komitee von seinem Kurswechsel überzeugen: Der futuristische Entwurf hatte eine bedeutende Rolle bei der Vergabe der Spiele nach Tokio gespielt, weil das IOC solche Bauten liebt.
Doch die Bevölkerung ist anderer Meinung. Japan ist längst so verschuldet, dass man sich überdimensionierte und später kaum nutzbare Infrastruktur nicht mehr leisten kann. Architekten und Bürgergruppen hatten daher früh für einen Umbau des alten Olympiastadions von 1964 plädiert.
Doch die „Modernisierer“ in der Bürokratie durchkreuzten diesen Plan. Bevor überhaupt über den Neubau entschieden war, ließen sie das alte Stadion abreißen. Dort ist seit einigen Wochen nur noch braune Erde zu sehen.
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