Klimawandel und Olympia: Nicht nur Sotschi tropft
Olympiaorte wie Garmisch, Sotschi und Vancouver wären bei gleichbleibendem Klimawandel zu warm für die Spiele. Selbst Kunstschnee hilft dann nicht.
BERLIN taz | Garmisch-Partenkirchen kann es noch fünf oder sechs Mal versuchen, die jüngst durch Volksentscheid (in Namen Münchens) verhinderte Bewerbung des deutschen Alpenfleckens um Olympische Winterspiele neu aufzulegen. In gut 25 Jahren wird es in Oberbayern wohl einfach zu warm für Ski und Langlauf.
Ähnlich geht es den Olympiastädten Vancouver in Kanada, Squaw Valley in den USA – und dem russischen Sotschi, wo in einer Woche die 22. Winterspiele enden werden. Denn beim jetzigen Tempo des Klimawandels würden bis 2050 „nur 10 von 19 der bisherigen Austragungsorte von Olympischen Winterspielen verlässliche Wetterbedingungen bieten“, befindet eine neue Studie von österreichischen und kanadischen Wissenschaftlern.
Olympische Winterspiele sind generell vom Wetter deutlich abhängiger als andere Sportevents. Ohne eine Basis von Schnee und Eis ist schlecht Ski fahren oder rodeln. Deshalb vergibt das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Winterspiele auch nur an Orte mit guten Wetterdaten: In neun von zehn Wintern müssen Anfang Februar mindestens 30 Zentimeter Schnee liegen, tagsüber muss es frieren.
Forscher der Hochschulen Management Center Innsbruck (MCI) und der University of Waterloo in Kanada haben deshalb diese Kriterien mit den erwarteten Temperaturdaten für 2050 und 2080 verglichen. Ihr Fazit: „Der Klimawandel bedroht die Olympischen Winterspiele.“
Von 0,4 auf 7,8 Grad
Denn an den olympischen Pisten und Bahnen ist es immer wärmer geworden. Die durchschnittliche Höchsttemperatur im Februar stieg dort demnach von 0,4 Grad von 1920 bis 1950 auf 7,8 Grad in der Periode von 2000 bis 2010. Und bis 2050 klettert die Durchschnittstemperatur in den 19 Olympiastädten nach den Voraussagen der Klimamodelle um mehr als 2 Grad Celsius. Das liegt nur zum Teil am Klimawandel, eben „auch daran, dass die Spiele in immer wärmere Regionen vergeben worden sind“, sagt Robert Steiger, Geograf an der MCI und einer der Autoren der Studie.
Sieben Jahre vor einem olympischen Spektakel, sommers wie winters, entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) über den Ort der übernächsten Spiele. Für 2018 sind sie ins koreanische Pyeongchang vergeben worden. Am 31. Juli 2015 wird bei der 127. IOC-Session ausgekungelt, wo 2022 die Olympischen Winterspiele stattfinden werden. Beworben hat sich keine nordamerikanische Region – einmal mehr auch keine Ort in Lateinamerika in Andennähe. Fünf Kandidatenstädte und -regionen sind übrig geblieben.
Die Bewerbung Münchens (mit alpennahen Orten wie Garmisch-Partenkirchen) musste nach einem Plebiszit zurückgezogen werden – auch ökologischer Bedenken wegen. Widerstand in der Bevölkerung Kataloniens machten auch Barcelonas Pläne zunichte, nach den Sommerspielen 1992 auch für die des Winters Gastgeber zu sein. Übrig geblieben sind: das norwegische Oslo (mit Ringebu, Lillehammer und Öyer); Lwiw in der Ukraine (mit Tysovets), Peking (und Zhangiiakou für Alpinwettbewerbe), das polnische Krakau (mit Zakopane) und Almaty in Kasachstan (mit Shymbulak und Tabagan für Skiwettbewerbe). Favoriten? Oslo. Krakau. (jaf)
Weil die Spiele zu Megaspektakeln mit gewaltigem Medienaufwand für drei Milliarden TV-Zuschauer geworden sind, weil sie auch immer mehr Wettbewerbe enthalten, brauchen die Organisatoren Infrastrukturen wie in den Metropolen Sotschi, Turin oder Vancouver – die für Winterspiele nötig sind.
Die Voraussagen der Forscher stützten sich auf die Projektionen des UN-Klimarats IPCC. Der hatte erst im September verkündet, weltweit gehe auf der nördlichen Halbkugel der Erde massiv die Schneedecke zurück, die Gletscher schmölzen. Die realen Emissionen von Treibhausgasen liegen konstant über dem pessimistischsten IPCC-Szenario. Für ihre Studie „The Future of the Winter Olympics in a Warmer World“ hätten die Forscher die relativ groben Raster der IPCC-Daten mit den Messwerten der lokalen Wetterstationen gekoppelt, berichtet Steiger.
Neben anderen Daten sei es vor allem um die Berechnung von Niederschlägen und Temperatur gegangen. Die Voraussagen passen auch zu anderen Prognosen, die langfristig in den Alpen das Ende der großflächigen Skigebiete unter 1.500 Metern Höhe voraussagen – laut einer Studie der OECD von 2007 blieben bei einer Erwärmung um 2 Grad von etwa 600 Skigebieten nur circa 400 übrig.
Innsbruck und Oslo unsicher
„Ich war überrascht, wie gut die japanischen Städte Sapporo und Nagano abschnitten“, sagt Steiger. „Aber Garmisch ist schon heute hart an der Grenze.“ Gut sieht es dagegen für Standorte wie Albertville, St. Moritz, Lillehammer, Calgary oder Salt Lake City aus – sie liegen entweder hoch in den Bergen oder weit nördlich oder erfreuen sich eines kontinentalen Klimas.
Unsichere Kantonisten unter den bisherigen Olympiastädten sind Innsbruck, Oslo und Sarajevo. Dabei hätten die Forscher konservativ gerechnet und die Werte für die jeweils höchstgelegenen Sportstätten berechnet, so Steiger. Trotzdem kämen viele Orte auch dann an ihre Grenzen, wenn Kunstschnee eingesetzt werde.
Die Winterspiele bemühen sich schon seit Nagano 1998 um ein grünes Image. 2002 wurden in Salt Lake City zum ersten Mal Treibhausgasemissionen berechnet und über CO2-Zertifikate kompensiert. Vancouver kaufte auch für die Flüge der Zuschauer Zertifikate, und auch Sotschi wird von der UN-Umweltorganisation Unep dabei unterstützt, die Spiele „klimaneutral“ zu halten. Allerdings verhindern gerade die Heimatländer dieser Skiorte – Japan, USA, Kanada, Russland – alle Fortschritte bei den UN-Klimaverhandlungen.
Eine Prognose für die nächsten Winterspiele enthält die Studie nicht. „Für Pyeongchang in Südkorea, wo 2018 Olympia stattfinden wird, gab es keine verlässlichen lokalen Klimawerte“, bedauert Steiger. Und auch die Bewerber für 2022 – Lwiw, Krakau und Almaty in Kasachstan – wurden wegen fehlender Datengrundlagen noch nicht unter die Lupe genommen. Allerdings gilt der vierte Bewerber Oslo in allen Szenarien ab 2050 als gefährdet.
Eine Konsequenz aus der Entwicklung für die Sportstätten wäre wohl die Vergabe an kleinere Orte, die höher in den Bergen liegen. Dagegen hat sich gerade die Alpenschutzkommission Cipra ausgesprochen: „Die Winterspiele haben in ihrer derzeitigen Form in den Alpen keinen Platz mehr“, heißt es in einer aktuellen Erklärung. „Die Menschen sind nicht mehr bereit, ausufernden Gigantismus, Umweltschäden, unkalkulierbare Kosten und das Diktat des allmächtigen IOC zu akzeptieren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins