Olaf Scholz und die Finanzsteuer: Verstümmelter Zombie
Bitter. Die EU-Kommission hatte einen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer vorgelegt. Scholz hat die einst gute Idee völlig entkernt.
E s war eine bestechende Idee: Mit der Finanztransaktionssteuer sollte gleichzeitig die Spekulation an den Finanzmärkten eingedämmt und Geld für die internationale Bekämpfung der Armut generiert werden, die durch diese Spekulationen verstärkt wird. Seit Jahrzehnten kämpfen GlobalisierungskritikerInnen und entwicklungspolitische Organisationen für dieses Konzept.
Wenn man SPD-Finanzminister Olaf Scholz glauben darf, wird es nun endlich Wirklichkeit. Doch leider darf man ihm ihm nicht glauben. Mit der ursprünglichen Idee hat die Steuer, für die er nun einen Entwurf vorgelegt hat, nichts, aber wirklich gar nichts mehr zu tun. Was Scholz plant, ist eine Zombie-Steuer ohne jede Substanz. Und selbst diese Zombie-Steuer hat er jetzt noch weiter verstümmelt.
Gegen Spekulation an den Finanzmärkten ist seine zu einer Börsensteuer verkürzte Abgabe völlig unwirksam, denn Derivate, die bei spekulativen Geschäften die größte Rolle spielen, sind komplett ausgenommen. Stattdessen fällt die Steuer nur beim direkten Handel mit Aktien an, und auch da sind zahlreiche Ausnahmen vorgesehen – für kleinere Unternehmen, für Börsengänge, für Pensionsfonds und vieles mehr. Zahlen werden vor allem Kleinanleger.
Zudem sollen die Einnahmen, die aufgrund der Beschränkungen ohnehin auf einen Bruchteil der früheren Erwartungen geschrumpft sind, nicht für die internationale Armutsbekämpfung genutzt werden. Stattdessen fließt es in Deutschland in die Grundrente – ein sinnvolles Projekt, das aber nicht der ursprünglichen Idee entspricht.
Besonders bitter ist, dass die EU-Kommission eigentlich einen sehr guten Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer vorgelegt hat. Doch statt darum zu kämpfen, diesem eine Mehrheit zu verschaffen, hat Scholz jetzt einen eigenen, völlig entkernten Vorschlag vorgelegt. Dass er diesen ernsthaft als großen Erfolg sozialdemokratischer Finanzpolitik verkaufen will, zeigt, wie weit er sich in der Regierung von dem entfernt hat, wofür auch seine Partei lange gekämpft hat. Fast könnte man meinen, er wolle nachträglich noch einmal beweisen, wie weise die SPD-Mitglieder ihre Führungsfrage entschieden haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin