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Ökonom zur Inflation in Deutschland„Der Höhepunkt ist wohl überschritten“

Die Inflation ist im November auf 10 Prozent gesunken. Das sei nicht überraschend, sagt der Ökonom Jens Südekum. 2023 könnte der Höhepunkt überwunden sein.

Dönerflation: Der Frankfurter Ton Bul Grill, berühmt für seinen Zehn-Euro-Döner Foto: Kai Pfaffenbach/reuters
Felix Lee
Interview von Felix Lee

taz: Herr Südekum, Sie waren vor einem Jahr einer der Ökonomen, die vor einer langatmigen, hohen Inflation warnten. Nun sagen Sie, der Höhepunkt sei womöglich schon überschritten. Tatsächlich lag die Inflation im November laut Zahlen vom Dienstag bei 10 Prozent – und damit 0,4 Prozentpunkte unter dem Vormonat. Kommt diese Entwicklung überraschend?

Jens Südekum: Nein. Wir sehen seit einigen Wochen, dass die Gaspreise und damit auch die Strompreise an den Großmärkten fallen. Der zweite wesentliche Preistreiber waren die gestörten Lieferketten. Und auch da gibt es Entspannung, wir haben da fast schon wieder Vor-Corona-Niveau erreicht. Dass in der Summe die Erzeugerpreise jetzt im Monatsvergleich um 4 Prozent gefallen sind, mag in dieser Größenordnung überraschen, nicht aber die Richtung.

Im Interview: Jens Südekum

47, ist Professor für internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist zudem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi).

Der Krieg in der Ukraine hält weiter an, Zerocovid in China ebenso, uns steht ein eisiger Winter bevor. Die Krisen halten alle noch an.

Was die Lieferketten angeht, haben viele Händler Wege gefunden, wie sie den Warenverkehr gerade mit China trotz dortiger Lockdowns organisiert bekommen. Das scheint im dritten Jahr der Pandemie gut zu funktionieren. Die fallenden Energiepreise könnten in der Tat trügerisch sein. Momentan sind unsere Speicher voll. Der Verbrauch ist fast 30 Prozent niedriger als in den Vorjahren. Das hat die Märkte entspannt, die Preise sinken.

Aber natürlich kann es jederzeit zu Rückschlägen kommen. Sollte der Winter doch sehr lang und kalt werden, sind die Speicher schneller leer als geplant. Dann könnten die Preise rasch wieder in die Höhe schießen. Noch schlimmer: Putin könnte mit weiteren Sabotageakten für Unsicherheit sorgen und unsere Versorgung bedrohen. Wenn es aber zu keinen weiteren Schocks kommt, rechne ich damit, dass sich die Inflationsrate bereits im Laufe des nächsten Jahres deutlich zurückentwickelt.

Aber was macht Sie so optimistisch, dass das derzeitige Abflauen der Inflation nicht nur vorübergehend ist?

Die große Befürchtung war ja, dass die Inflation sich verselbstständigen könnte, dass die Akteure in Erwartung an steigende Inflation ihre Preise vorsorglich anheben. Das hat nicht stattgefunden. Es ist auch nicht wie befürchtet eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gekommen. Beim jüngsten Abschluss der IG Metall in Süddeutschland, immerhin einer der am stärksten gewerkschaftlich organisierten Branchen Europas, gibt es auf das Jahr gerechnet eine Lohnerhöhung von 4 Prozent. Das ist absolut im Rahmen.

Aber hat die IG Metall dann nicht schlecht verhandelt? Für die Ar­beit­neh­me­r*in­nen sind das ja harte Reallohneinbußen.

Ja, bei nominal 4 Prozent Lohnsteigerungen und etwa 8 Prozent Inflation bleibt eine Reallohnlücke von 4 Prozentpunkten. Die Metaller können sich da noch recht glücklich schätzen. Auch Geringverdiener trifft es anteilig nicht am schlimmsten, weil bei ihnen die Erhöhung des Mindestlohns zugute kommt. Die heftigsten Reallohnverluste dürfte die untere Mittelschicht erleben, also Arbeitnehmer aus Wirtschaftszweigen, die nicht stark gewerkschaftlich organisiert sind, vor allem also der Dienstleistungssektor. Mit der steuerfreien Einmalzahlung der Arbeitgeber an die Arbeitnehmer in Höhe von 3.000 Euro hat die Bundesregierung zwar die Brücke geschlagen, dass der externe Preisschock zumindest ein Stück weit ausgeglichen wird. Doch auch von dieser Regelung machen vor allem Betriebe Gebrauch, in denen die Arbeitnehmer gut organisiert sind. Im Dienstleistungssektor ist das nicht der Fall.

Gleichen die Einmalzahlungen die Inflation nicht aus?

Nein, wahrscheinlich nicht. Aber wenn wir ehrlich sind: Die Gewerkschaften sind in Deutschland längst nicht mehr so mächtig wie in den 1970er Jahren, als es ihnen tatsächlich gelang, den vollen Lohnausgleich für die hohen Preissteigerungen zu erkämpfen. Damals hatten die Gewerkschaften noch einen sehr viel höheren Organisationsgrad. So gesehen waren die Unkenrufe vor einem Jahr für eine Lohn-Preis-Spirale unrealistisch. Dafür fehlt den Gewerkschaften die Macht von damals.

Auf ein Preisniveau wie vor einem Jahr werden wir nicht wieder zurückkommen, oder?

Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld… Foto: Kai Pfaffenbach/reuters

Wahrscheinlich noch nicht im nächsten und vermutlich auch noch nicht im darauffolgenden Jahr. Aber bei Strom- und Gaspreisen gibt es durchaus Projektionen, wo wir bis 2025 wieder das Preisniveau haben könnten wie in der Zeit vor Russlands Angriffskrieg.

Kommt das billige Gas aus Russland irgendwann zurück?

Ein Zurück zum russischen Pipelinegas wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Vielleicht irgendwann, wenn am Sankt Nimmerleinstag lupenreine Demokraten in Moskau regieren. Doch der kurzfristige Ersatz wird LNG, also Flüssiggas, sein. Das hat höhere Transportkosten und ist deswegen teuer. Daher könnten wir gar nicht auf das alte Preisniveau kommen. Das hört man jetzt oft. Meines Erachtens nach ist das aber zu kurz gedacht. Denn auf der Nachfrageseite haben viele Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht und ihre Produktion technologisch umgestellt.

Schon jetzt hat die Industrie rund die Hälfte ihrer Gaseinsparungen ohne Produktionseinbußen bewältigt. Dieses erreichte Ziel wird man nicht zurückdrehen wollen, zumal diese Transformation aus Gründen des Klimaschutzes ohnehin erwünscht ist. Zweitens kommt Entspannung von der Angebotsseite. Gas gibt es auf den Weltmärkten genug – zumal die USA ihre Fracking-Industrie ausweitet. Bislang fehlte es an der für LNG notwendigen Infrastruktur. Doch jetzt baut Deutschland vier LNG-Terminals, die teilweise schon in Betrieb sind. Das Gasangebot, das uns zur Verfügung steht, wird also wieder steigen. Und bei insgesamt sinkender Nachfrage müssen die Gaspreise dann nicht exorbitant höher sein als früher. Für den Industriestandort und die Arbeitsplätze ist das eine gute Nachricht.

Wir erleben die schlimmste Inflation seit 40 Jahren. Zu sozialen Verwerfungen scheint es bislang aber noch nicht gekommen zu sein. Oder merken wir das nur noch nicht?

In gewisser Hinsicht haben wir Glück gehabt, dass diese kriegsbedingte getriebene Angebotsinflation unmittelbar der Pandemie gefolgt ist. Viele Leute haben in der Pandemie viel Geld angespart, weil die Konsummöglichkeiten fehlten. Dieses Geld hat für einen gewissen Puffer gesorgt. Der ist jetzt allerdings aufgebraucht. Was die hohen Energiepreise betrifft, ist vieles bei den Leuten tatsächlich noch gar nicht angekommen.

Die Abschlagszahlungen werden meistens mit Verzögerung angepasst. Das heißt, die wirklichen Anstiege werden gerade Mieter erst im Laufe des nächsten Jahres erleben, das Schlimmste kommt für viele also noch. Die nun von der Bundesregierung beschlossene Gas- und Strompreisbremse ist aber ein kraftvolles Gegeninstrument, das die schlimmsten sozialen Verwerfungen abfedern dürfte.

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12 Kommentare

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  • In Trends? Was soll dieser Blödsinn. Wenn ich etwas betrachte, dann will ich wissen ob da etwas schlimmer geworden ist oder nicht.



    Der YtY-Vergleich ist zwar schön. Aber wenn Du dafür 4 verschiedene Parameter hast, ist das nicht direkt vergleichbar. Einmal vergleicht man Oktober 2021 zu Oktober 2022, und einmal November 2021 zu November 2022...;)



    Deswegen muss man sich auch den Monat-zu-Monat anschauen. In diesem Fall ist er auch gefallen. Aber trotzdem ist der Anstieg gestiegen zu Vorjahr und zwar erheblich. Trotz das es geringer war. Dazu müßte man als "vorausschauender Mensch" aber auch ein wenig Mathematik verstehen.

  • "Der Höhepunkt ist wohl überschritten"

    Ja klar, der eine Höhepunkt. Doch bei der endlosen Lobbyistengeilheit der Politik ist anzunehmen, daß da (mal symbolisch umgedeutet) wohl eher gleich 5 oder mehr Höhepunkte das heimliche Wunschziel sein könnten.

  • Interessant das wir uns über "nur 10%" Erhöhung zum Vorjahr freuen, obwohl schon vor einem das Ding um 4-4.5% schon hoch ging.

    Um auf das Preisniveau von vorletztes Jahr zu kommen bräuchten wir also einige Jahr mit sowas wie "nen Minus" davor, oder wenigstens 0,x. LoL, aber hey einen Tarifabschluß mit fast dem höchsten Zugewinn für die Mitarbeiter, von ca. 4% hier so zu feiern, ist schon ziemlich frech...

    aber die arme Wirtschaft dürfen wir ja nicht mal bisschen zur Verantwortung ziehen. zum Glück haben die genug davon profitiert.

    Aber andererseits wenn man sich ansieht wieviele Leute zu Black Friday und co. ihr Geld nur so in die Geschäfte getragen haben, gibt es wohl scheinbar immer noch zuviele die zuviel vorhanden haben. Und die schwachen die hört man wieder nicht, weil dann ehe rÖkonomen hier interviewt werden als jene die den Groschen 4 mal wenden müssen. Aber auch dazu hat ja der Ökonom was gesagt, die bekommen ja jetzt mehr Mindestlohn, also natürlich nur in den Bereichen wo dieser Anwendung findet...der leider nicht allen zu Gute kommt.

    • @Daniel Drogan:

      Vorausschauende Menschen denken in Trends, nicht in absoluten Zahlen. Natürlich ist 10% immer noch viel zu hoch, aber diese 10% sind eben weniger als noch vor einem Monat und alles deutet darauf hin, dass diese Trendumkehr von Dauer ist.

      Das Schlimmste ist noch nicht vorbei. Die hohen Ausgaben werden uns noch einige Zeit begleiten. Aber die Zeit in der eine gewisse Normalisierung zurückkommt, scheint derzeit eben auch absehbar.

      Natürlich darf man nicht vergessen, dass wir hier auch weiterhin von Entwicklungen betroffen sein können, auf die wir reichlich wenig Einfluss haben. Und das ist nicht nur Russland, China, USA, die Golfstaaten oder sonst jemand...

      Das ist auch der Klimawandel, der sich intensivieren wird und unweigerlich zu mehr Energiesparen führen muss. Anzunehmen, dass dies nicht auch über den Preis geschehen wird, wäre blauäugig. Wobei die Lebensgrundlagen dabei natürlich gewahrt bleiben müssen, allerdings ist diskutabel, was dazu denn genau zählt.

      Es ist einfach Realität, dass wir die letzten 30 Jahre wider besseres Wissen deutlich über unsere Verhältnisse gelebt haben.

      • @Co-Bold:

        "Vorausschauende Menschen denken in Trends, nicht in absoluten Zahlen."



        Und was für Menschen sind dann diese PR-Molche, die in "Megatrends" denken?

  • Die USA "weitet" ihre Fracking-Industrie aber nur "aus", wenn der Weltmarktpreis für Fossile entsprechend hoch ist (die Pleitewelle während der letzten Niedrigpreisphase schon vergessen? Mitsamt der unversorgt zurückgelassenen Bohrlöcher?)

    Im Idealfall sollten aber solche lang angelegte Investitionen *heute* gar nicht mehr passieren!

    • @tomás zerolo:

      Richtig: Und der von einem panischen Robert Habeck in die Höhe gepuschten Gaspreis hat die US-Wirtschaft wieder nach oben gebracht. Nur durch SPAREN auf ein (mindestens) ein Drittel der zur Zeit in die Athmosphäre verbrachten Emissionen sind noch einigermassen erträglich. Das heisst: wir müssen Maschinen wieder durch menschliches Tun und Arbeit ersetzen, die einzige Chance ! Soviel Strom geben die Erneuerbaren nicht her, um diesen 'Wirtschaftsmotor', der ja auch vor Allem den 'Unternehmern' dient, am Laufen zu halten !

  • " Viele Leute haben in der Pandemie viel Geld angespart, weil die Konsummöglichkeiten fehlten. Dieses Geld hat für einen gewissen Puffer gesorgt. "



    Ähem, das mag bei den Wohlhabenderen hinkommen. Die Einkommen der Ärmeren sind während der Pandemie im Schnitt zurückgegangen. Es haben auch einige Ihre Jobs verloren. Die Aussage scheint mir doch recht verkürzt und einseitig.



    "So gesehen waren die Unkenrufe vor einem Jahr für eine Lohn-Preis-Spirale unrealistisch."



    Solche "Unkenrufe" platzieren sicher gerne Arbeitgeber*innen bzw. deren Sprachrohre, um vorab Motivation Arbeitskämpfe zu senken und zu delegitimieren. "Die arme Wirtschaft ..."



    Wie geht es eigentlich so den Nutznießer*innen von den gesteigerten Energiepreisen, den Energiekonzernen, deren hochrangige Angestellte und Eigentümer*innen ...

  • Bürgerliche Ökonomen müssen sich positiv äußern, sonst geht der Wachstumsglaube verloren, insbesondere bei den von Black Rock & Co in die Sackgasse geführten



    'Anlegern'. Geht Kaufkraft verloren -es ist unvermeidlich, weil viele große Unternehmen inzwischen mental schon auswärts investieren- , so beginnt der Rutsch und Unternehmen, die auf höhere Absatzzahlen gesetzt haben, produzieren entweder zuviel und verbilligen ihre Produkte bis hin zum Ramsch, um wenigstens etwas zu bekommen für das Zuviel oder sie geben weniger Erzeugnisse in den Markt, die sie aber teurer verkaufen müssen, um trotzdem auf ihre Kosten zu kommen. Die Politik kleistert derzeit den Blick noch zu, die Energieabrechnungen kommen ja erst noch und wollen Panik vermeiden. Dafür kommt es später aber umso schlimmer, einige Ökonomen haben sich daher schon stark zurückgenommen, um nicht schuldig zu sein, dass sie Schuld am wegrutschen des Kartenhauses zu sein. Wir müssen uns warm anziehen bei diesen -zumindest medial- Schönrednern in der Politik und einem Teil der Wissenschaft.

    • 8G
      8190 (Profil gelöscht)
      @Dietmar Rauter:

      Wirtschaft besteht zu 50 Prozent aus Vertrauen, und ja, Vertrauen muss man pflegen, sonst geht es verloren.

      • @8190 (Profil gelöscht):

        Ich würde eben an 'Glauben' -zumindest bei Anlegern (und Besitzern von 'Geld') sprechen, denn sie vertrauen BLIND !

  • "Meines Erachtens nach" - tut doch jedes mal wieder weh. Deutsch. Seufzzzz