OSZE-Vorsitz: Ein Albaner auf neuer Mission
Er gilt einigen als Freigeist, anderen als Demokratiefeind: Albaniens Ministerpräsident Edi Rama übernimmt nun den Vorsitz der OSZE.
Wenn Albaniens Ministerpräsident Edi Rama in Konferenzen sitzt, hat er stets bunte Filzstifte dabei. Fast hypnotisiert malt er dann seine bunten Miniaturzeichnungen auf Notizzetteln. Denn Rama ist nicht nur seit 2013 Regierungschef des Balkanstaats, sondern auch ein international bekannter Künstler. Im vergangenen Jahr wurden seine Arbeiten unter anderem in der Kunsthalle Rostock ausgestellt, sein Atelier ist gleichzeitig auch sein Arbeitszimmer.
Als Künstler und Freigeist wird Rama in Westeuropa dann auch gerne wahrgenommen. Dabei hat er als Ministerpräsident und Vorsitzender der Sozialistischen Partei (PS) längst andere Seiten von sich offenbart. Korruption und organisiertes Verbrechen durchziehen das politische System Albaniens, auch Mitglieder von Ramas Kabinett sind immer wieder in Drogengeschäfte verwickelt. Um Rama selbst gab es 2016 einen Skandal: Unter seiner Feder sollen Staatsgelder in Höhe von 500.000 Dollar an die Stiftung der Biennale di Venezia geflossen sein, wo Rama selbst seine Werke ausstellte.
Seit Monaten regiert Ramas Kabinett außerdem ohne Opposition – die konservative Demokratische Partei (PD) boykottiert das Parlament, weil sie Rama Wahlbetrug vorwirft. Doch das ist nichts Neues in Albanien – die Sozialistische und die Demokratische Partei blockieren sich hier seit dem Ende der kommunistischen Diktatur 1990 gegenseitig. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) bemüht sich aktuell mit einer Mission, diesen Konflikt zu entschärfen, etwa durch die Unterstützung von freien Wahlen.
Er tritt die Pressefreiheit mit Füßen
Zufällig ist zum 1. Januar nun auch der OSZE-Vorsitz an Albanien gegangen. Jedes Jahr wird der Vorsitz an den oder die Außenminister:in eines anderen Mitgliedsstaates vergeben – einen Posten, den Rama zusätzlich innehat, nachdem er den alten Außenminister feuerte.
„Betrachtet man den OSZE-Vorsitz als probate Medizin gegen Konflikte und Übergangsprobleme einer Demokratie, dann ist Albanien nun in der paradoxen Lage, zur gleichen Zeit Anbieter und Konsument dieser Medizin zu sein“, schrieb dazu der Publizist Veton Surroi aus dem Kosovo. Das Amt des Vorsitzenden wirkt nämlich allein deshalb pikant, weil sich Rama beim Thema Pressefreiheit, einem der zentralen Aufgabenfelder der Organisation, nicht mit Ruhm bekleckert hat.
So störte sich Albaniens Ministerpräsident in der Vergangenheit an der Arbeit kritischer Journalist:innen und schimpfte sie wahlweise „Scharlatane“ oder „Mülltonnen“. Auch hat er quasi im Alleingang ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Onlinemedien unter anderem dazu verpflichten kann, Pop-ups mit Regierungsmitteilungen zu installieren oder Inhalte von ihren Webseiten zu löschen. Medien und NGOs fürchten eine staatliche Überwachung.
So formt sich Rama einen albanischen Staat nach seinen Vorstellungen. Reformen, die im Vorfeld zu EU-Beitrittsgesprächen vorangebracht werden müssen, etwa des Justizsystems oder gegen Korruption, liegen in seiner Hand. Und nun auch auch der OSZE-Vorsitz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut