Nur Kapitalismus kann die Erde retten: Klimaschutz braucht Kohle
Die Erde lässt sich nur retten, wenn der Kampf gegen den Klimawandel das Geschäft des Jahrhunderts wird. Ein Selbstläufer ist das aber nicht.
W ie jedes Jahr seit 1995 ist gerade die Zeit der Sünde und der Erlösung – Klimakonferenz. Wissenschaftler rechnen die Sünde nüchtern vor, in CO2-Emissionen und Temperaturkurven: Was die Staaten der Welt bisher an Klimaschutz versprochen haben, wird den Planeten wahrscheinlich um 3,2 Grad aufheizen.
Dann werden die meisten Tier- und Pflanzenarten ausgerottet sein, Fischernetze leer bleiben, fruchtbare Böden veröden, Gesellschaften zusammenbrechen. Doch Teil der Erzählung ist auch die Erlösung, dargebracht von Ökonom*innen und Klimaschützer*innen: CO2-Steuern, erneuerbare Energien, Biolandwirtschaft, Verzicht auf Fleisch und Konsum.
Es gibt einen stillen Konsens darüber, wie das gehen soll: Der Kapitalismus muss die Klimakatastrophe aufhalten. Aus dem Schutz des Planeten muss das größte Geschäft des 21. Jahrhundert werden. Das Gadget, das jeder haben will. Dieser Weg ist paradox: Kapitalismus, das ist die Idee ewigen Wachstums, befeuert von der Ausbeutung der Natur. Das System hat die Klimakrise herbeigeführt – und soll sie jetzt beenden.
Theoretisch gibt es viele schöne Alternativkonzepte: Die Postwachstumsgesellschaft etwa, in der alle mehr Zeit und weniger Zeug haben. Dringend notwendige Utopien, doch sie werden den Kapitalismus so wenig stürzen wie andere historische Versuche. Er ist ein dezentrales Ordnungssystem, das keinen König hat, den man mal eben köpfen kann – und schon machen die Arbeiter- und Solarräte Klimaschutz.
Unzerstörbar ist das Ordnungssystem nicht. Malen Sie sich ein beliebiges Ereignis aus, das die globalisierte Wirtschaft dermaßen kollabieren lässt, dass auch die Menschen in den Industrieländern verarmen: Einen Asteroideneinschlag in der Wall Street, einen Hackerangriff, der sämtlich Computersysteme dieser Welt löscht. Ein totaler ökonomischer Kollaps wäre eine rasante Art des Klimaschutzes. Doch Gesellschaften, die ins Chaos gestürzt werden, neigen zum Konflikt, nicht zur Kooperation. Ein ökologisches Wirtschaftssystem entsteht so nicht. Es gibt keinen Resetknopf, der so schnell wirkt, wie er wirken müsste: Die Menschheit muss bis 2050 eine Wirtschaft etabliert haben, die die Erde nicht nur nicht weiter anheizt, sondern abkühlt.
Das können nur die einzigen beiden Sprachen, die global über alle politischen Lager und Religionen hinweg verständlich sind: Liebe und Solidarität.
Kleiner Scherz. Die Rede ist von Wissenschaft und Geld. Die erste Sprache liefert die Handlungsanweisung gegen die Klimakrise. Die zweite die Mittel dagegen. Nur die Bosse und Banker haben die Kohle, um das Klima zu retten. Viele von ihnen wissen, dass sie ihr heutiges wirtschaftliches Handeln zu Feinden der Umwelt, pathetisch gesagt: ihrer Kinder macht. Sie sind wie Söldner, die überlaufen wollen, dabei aber pleitegehen könnten. Mit ihnen zu kooperieren ist sinnvoll – und die Entscheidung dafür ist ohnehin längst gefallen. Denn das Pariser Klimaschutzabkommen ist zwar mutig, sieht aber nicht vor, den Kapitalismus zu beenden.
Selbst diejenigen, die unser Wirtschaftssystem schlecht finden, versuchen gar nicht erst, es abzuschaffen: Klimaschützer*innen sind heute Finanzexpert*innen. Sie sind es, die Investor*innen davon überzeugen, keine Ölbohrtürme mehr zu kaufen. Sie rechnen als Ingenieur*innen den Energiekonzernen vor, dass eine Solaranlage billiger ist als ein Kohlekraftwerk. Sie sind Jurist*innen und verklagen Konzerne auf Schadenersatz, wenn diese Klima und Umwelt schädigen. Sie sind Lobbyist*innen oder Politiker*innen, die versuchen, das Steuersystem ökologisch umzubauen. Kurzum, die Ökos sitzen überall. In Konzernen, in Banken, in der Politik, im Gewissen der Massen. Und sie ernten Erfolge: Die Kosten von Solarenergie sind seit 1975 um 99,5 Prozent gesunken.
Auftakt ohne Merkel: Mit Aufrufen zu entschlossenem Eintreten gegen die Erdüberhitzung ist am Sonntag im polnischen Kattowitz die 24. UN-Klimakonferenz gestartet. Vertreter von knapp 200 Staaten begannen mit den Verhandlungen über konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens aus dem Jahr 2014. Zur offiziellen Eröffnung am Montag reisen zahlreiche Staats- und Regierungschefs an. Bundeskanzlerin Angela Merkel verzichtet hingegen auf eine Teilnahme.
Wissenschaftler fordern CO2-Preis und Staatsfonds: Vor Beginn der Klimakonferenz haben prominente Wissenschaftler mehr Einsatz von der Bundesregierung gefordert. Klimaökonom Ottmar Edenhofer warb in einem gemeinsamen Papier mit dem Wirtschaftsweisen Christoph Schmidt für einen CO2-Preis, der fossile Energien teurer, ökologische hingegen günstiger machen würde. Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber und der Politologe Claus Leggewie forderten zudem, einen Staatsfonds zu gründen, der mit jährlich etwa 40 Milliarden Euro aus CO2- und Erbschaftsteuer gespeist werden soll und aus dem Investitionen in Strukturwandel und klimafreundliche Infrastruktur bezahlt werden könnten.
Daten sind das neue Öl
Das Ende des Zeitalters fossiler Energien wird den Kapitalismus also nicht beenden, wie viele linke Ökonomen mutmaßten. Zum Glück nicht, denn nur der Kapitalismus selbst hat die zerstörerische und zugleich schöpferische Kraft, die alten Industrien schnell hinwegzufegen. Die nötigen Allianzen zeichnen sich bereits deutlich ab: An der Börse sind die wertvollsten Unternehmen der Welt Apple, Microsoft und Alphabet. Und nicht Exxon, Shell und BP. Das Geschäft des 21. Jahrhunderts ist das Geschäft mit Daten, nicht das mit Öl. Das ist die große Chance.
Im heute noch dominanten Geschäft mit fossilen Rohstoffen geht es um Raum. Wir zahlen dafür, dass Konzerne Öl fördern, aufbereiten und transportieren. Und wir zahlen dafür, dass Konzerne von Natur aus gespeicherte Energie an den Ort bewegen, an dem sie gebraucht wird. Im Geschäft mit erneuerbaren Energien geht es dagegen um Zeit. Sonnen- und Windenergie liegen nicht in entlegenen Böden begraben. Es gibt sie überall, nur nicht immer, wenn sie gerade benötigt wird. Man kann den Ökostrom zwar speichern, aber das ist teuer, und ein Teil der Energie geht dabei verloren. Strom sofort verbrauchen, wenn gerade die Sonne scheint oder der Wind bläst, das ist die beste Lösung.
Die schafft, wer möglichst viele Informationen darüber hat, wer wann wie viel Strom braucht oder gerade speichern kann – also präzise Daten über die Energiewünsche von Menschen und Maschinen. Wer diese Daten akkumuliert und damit Algorithmen füttert, die das Energienetz effizient steuern, der schöpft in der neuen Energiewelt die Gewinne ab. Geliefert werden sie vom Internet der Dinge, der totalen Vernetzung aller Lebensbereiche, das IT-Konzerne und Industrie weltweit forcieren. Es wird dem Klimaschutz mächtige Freunde bescheren.
Was aber geschieht mit dem Wachstum? Also dem ständigen Optimieren von Arbeit und Maschinen, mit dem sich Firmen im klassischen Kapitalismus Wettbewerbsvorteile verschaffen, zum Preis eines immer höheren Ressourcenverbrauchs?
Nun, die Frage wird bald obsolet sein. Mittlerweile fordern Investoren wie Versicherer oder Pensionsfonds, die Billionen von Dollar an Vermögen verwalten, eine neue Wirtschaft mit sauberen Technologien. In der wird Wachstum nicht mehr dadurch erzielt, mit möglichst wenig Arbeit zu produzieren, sondern mit möglichst wenig Rohstoffen und Energie. Viele Investoren fordern diese grüne Wende. Und wenn die Politik die Rahmenbedingungen schafft, dann kommt sie auch. Dann können sich die Ökonomen hinterher überlegen, wie sie Wachstum künftig definieren wollen.
Doch ein Selbstläufer ist der Wandel nicht. Der Kipppunkt, an dem nur gewinnt, wer grün ist, ist noch nicht erreicht. Eine wichtige Bedingung ist der Umbau des Steuersystems: Wer CO2 ausstößt, soll dafür richtig viel zahlen. Bereits seit 2005 müssen Unternehmen in der EU durch den Emissionshandel einen Obolus leisten, wenn sie Klimagase ausstoßen. Dem System Durchschlagskraft zu verleihen wäre der wichtigste Grundpfeiler eines grünen Kapitalismus. Flankiert von Reformen auf den Finanzmärkten. Die EU denkt etwa darüber nach, dass Investoren weniger Kapital als Sicherheit vorhalten müssen, wenn sie in neue, grüne Technologien investieren. Das macht sie attraktiver.
Man kann aber auch vieles falsch machen. So wie Frankenreichs Präsident Macron, der plante, eine CO2-Steuer auf Kraftstoffe einzuführen und Unruhen erntete. Ohne vernünftige Sozialpolitik wird Klimaschutz auf erbitterten Widerstand derer treffen, die zu den Verlierern des neuen Steuersystems gehören.
Solche Verlierer könnte es sehr schnell geben. Wenn das Steuersystem Umweltbelastung verteuert, dann ergibt sich eine Dynamik, die sich selbst verstärkt: Wer sauberere Autos baut, effizientere Heizungen, sparsamere Fabriken, der hat dann einen Wettbewerbsvorteil. Firmen, die entsprechend investieren, nutzen ihre Lobbymacht nicht mehr gegen, sondern für Klimaschutz – und bringen die Politik so dazu, noch mehr Gesetze zum Vorteil der Ökokapitalisten zu schaffen.
Mystifizierung des Fortschritts ist zerstörerisch
Der Prozess ist in Gang – er zerstört alte Industrien wie die Kohle, schafft neue und lässt Konzerne wie VW in dieser Woche auf einmal verkünden, man werde im Jahr 2040 den letzten Verbrennungsmotor bauen. Doch trotz der vielen guten Signale ist Ökokapitalismus eben auch ein Glaube an die Allmacht der Technologie. An erneuerbare Energien, Algorithmen, Elektroautos, mehr Recycling und Effizienz – fertig ist das grüne Wirtschaftswunder. Dahinter verbirgt sich eine Re-Mystifizierung des Fortschritts, den die Umweltbewegung seit den 70er Jahren als zerstörerisch entlarvt hat. Jetzt gibt es einen neuen Glaubensgrundsatz: Wir Idioten hatten nur die falsche Technologie, einen falschen Begriff von Wachstum, falsche Anreize im Markt. Wird das korrigiert, wird es eine neue Art von Fortschritt geben, der uns den Zauber der Natur rettet und uns erlöst.
Er kann sich, leider, auch als Irrglaube erweisen: Denn im Jahr 2050 werden mindestens 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben – selbst eine komplett solarbetriebene Kreislaufwirtschaft ist nicht effizient genug, wenn all diese Menschen so viel Fleisch essen, reisen und konsumieren wollen wie wir heute.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Womit wir bei uns selbst sind. Das Klimagadget, das alle haben müssen, was soll das sein? Die Antwortet ist: ein kleines, praktisches Nichts. Leider ist das schwer verkäuflich. In jeder Werbepause werden die Massen auf mehr Konsum, mehr Verbrauch gedrillt. Wenn wir nicht alle dafür sorgen, dass sich diese Kultur ändert, dann geht der Schuss nach hinten los.
Dann sind all die hübschen Elektroautos und Solardächer nur Blendwerk und ist der Ökokapitalismus ein netter Weg, um mit gutem Gewissen dem Untergang entgegenzusegeln.
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