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Memes über PutinNormalisieren Witze das Böse?

Anastasia Zejneli
Kommentar von Anastasia Zejneli

In einem „New York Magazine“- Artikel über Haarverlust wird Putin abgebildet. Er ist oft Gegenstand von Memes. Lustig oder unangebracht?

Einer der most memeablen Diktatoren der Welt: Wladimir Putin Foto: Zuma Press/imago

W as haben Schauspieler John Travolta, Prince William und Wladimir Putin gemeinsam? Sie alle haben eine Glatze.

Was klingt wie ein Witz mit schlechter Pointe, war für das New York Magazine gut genug, um einen Artikel über Haarausfall zu bebildern. In dem Beitrag des amerikanischen Lifestyle-Magazins soll es eigentlich nur um ein neues Medikament gehen, das das Haarwachstum anregen soll. Doch für die Redaktion in New York, war es anscheinend lustig, einen Star-Stylisten damit zu beauftragen, Frisuren für zehn „bedeutende“ Männer der Welt auszusuchen, die Glatze oder Halbglatze tragen.

Putin, ein Mann wie jeder andere, leidet auch nur unter Haarausfall, mag man denken

Darunter: Amazon-Gründer und Washington-Post-Besitzer Jeff Bezos, Podcaster und Trump-Fan Joe Rogan und eher harmlose Gestalten, wie der Schauspieler Jude Law. Dass sich unter die Promis auch ein wegen Kriegsverbrechen gesuchter russischer Präsident befindet, der mit silberner Löwenmähne ernst in die Kamera schaut, ist mehr als geschmacklos. Putin, ein Mann wie jeder andere, leidet auch nur unter Haarausfall, mag man denken.

Genau das ist das Problem. Der Grat ist schmal, wenn es um Witze über Kriege und ihre Verursacher (ja, es sind nur Männer) geht. New York Magazine überschreitet diesen Grat und normalisiert das Magazin einen der skrupellosesten Menschen dieser Welt.

Putin als nackter Reiter

Dabei geht es nicht darum, sich nicht auch über den Kremlchef lustig machen zu dürfen. Memes, lustige Fotomontagen und Witze über Putin gibt es viele. Er selbst forciert das Image eines abenteuerlichen Machos, posiert gern beim Reiten (nackte Brust), beim Angeln (nackte Brust) oder beim Judo (angezogen). Material ohne Ende für Trolle im Netz.

Gelungene Memes bilden den Zeitgeist einer Generation ab: Worüber wurde gelacht, was beschäftigte das Internet?

Ein Beispiel ist Putin mit Sonnenbrille, wie er auf einem Bären Coronaviren entgegenreitet, auf dem Rücken eine Spritze mit Sputnik V. Pandemie-Gefühle pur. Oder 2014, als Russland die Krim völkerrechtswidrig annektierte, dichteten Use­r*in­nen im Netz Justin Timberlakes „Cry me a River“ in „Crimea“, englisch für „Krim“, um.

Die Memes füllen eine Leerstelle, sind ein Versuch, umzugehen mit einem grauenvollen Krieg, der so viele Menschenleben gekostet hat. Nicht erst seit der Vollinvasion der Ukraine in 2022 verarbeiten viele Ukrainer selbst die Gräueltaten des Krieges durch Humor. Doch die internationale Unterstützung ist seitdem gewachsen. Es gründen sich lose Gruppen wie etwa die „Nafo“, kurz für North Atlantic Fella Organisation, die nicht nur unterhalten wollen, sondern mit eigenen Symbolen und Fotomontagen gegen prorussische Propaganda im Netz ankommen wollen. Ihr Zeichen: ein Shiba Inu, eine besonders süße Hunderasse, die in Tarnuniform oder gelb-blauem Dress in Kriegsszenen aus der Ukraine montiert wird.

Die Frage nach dem Doppelgänger

Und auch die aktuellen politischen Ereignisse, das persönliche Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska sorgten für genügend Stoff. Putin, wie er zu Beginn der Pressekonferenz mehrmals irritiert schaut und nervös blinzelt, war für die Meme-Ersteller goldwert „Verwirrt, wenn ihm richtige Fragen gestellt werden“ oder „Ich, wenn ich so tue, als würde ich meine Kol­le­g*in­nen nicht hören“, witzelt das Netz.

Auch die immer wiederkehrende Frage nach Putins Doppelgänger, der all seine Termine außerhalb des Kremls wahrnehmen soll, schwirrte nach dem Treffen in Alaska durchs Netz.

Und auch wenn der Humor in ernsten Lagen nicht fehlen sollte, läuft man Gefahr, zu verdrängen, was hinter dem lustigen Treffen stattgefunden hat: Zwei Männer teilten sich unter den Augen der Öffentlichkeit die Welt auf. Und beginnen in einem ersten Schritt bei der Ukraine.

Wer immer nur nach dem nächsten Witz und lustigen Foto für einen Post im Internet sucht, vergisst schnell, dass die Putins dieser Welt am Ende leider keine Witzfiguren sind. Egal wie ihre Haare aussehen.

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Anastasia Zejneli
Redakteurin
Jahrgang 1999, studierte Wirtschaftspolitischen Journalismus in Dortmund, war Taz-Volontärin und arbeitet aktuell im Auslandsressort und bei Taz2. Schreibt in der Kolumne "Economy, bitch" über Popkultur und Wirtschaft.
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9 Kommentare

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  • Witze - bei mir eher Ironie und Sarkasmus - scheinen etwas für den Moment erträglicher zu machen. Es funktioniert leider immer seltener, zumindest bei mir.

  • Ich geh zum Lachen nicht einmal in den Keller. Zu ernst die Situation, und was, wenn die Person einfach kein dickes Fell hat oder Witze als traumatisierend empfunden werden? Dazu sind nur noch wenige sensibilisiert.

    In queerfeministischen und antifaschistischen Workshops können Erfahrungen gesammelt werden: Ja, Trump und Putin mit Spott zu beleidigen ist richtig. Nein, Opfer von Diktaturen sollten mit Samthandschuhen angefasst werden. Vor solchen Menschen bleibt der Humor daheim.

  • "Normalisieren Witze das Böse?"

    Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive: Typisch identitätspolitische Frage, die eine Nebensächlichkeit überbetont und vom Kernthema ablenkt. Das Problem dieses Framings ist die gegenteilige Wirkung der eigentlichen Intention: Es ist eine Technik von Populisten, vor allem von rechts, die andere Narrative ausblendet, und oft vorbereitend für eine Täter-Opfer-Umkehr ist. Es ist aber auch ein Schutz durch Selbstbeschäftigung Leid auszublenden und abzumildern.

    • @rakader:

      Sehr wichtige Aspekte!

  • Ach Gottchen leevs Lottchen 🙀🥳 -



    Nur ein trauriger Arsch - dem kein fröhllicher 💨 entfleuchen kann.



    Na Witze Jokes Ironie etc - Stuhlgang der Seele.

    “…komm - sage mir - was du für Sorgen hast.



    Reich willst du werden?



    Warum bist du‘s nicht!“



    Denn “Es zwitschert eine Lerche im Kamin -



    …wenn du sie hörst.“

    unterm——



    share.google/4yAYuR9agbltPfgmV



    always at your servíce

  • Voltaire wird zitiert mit:



    "Der beste Weg, die Gesellschaft zu verbessern, ist, sich über sie lustig zu machen.“



    Die Seite "Wahrheit" der taz wird bestimmt nicht selten online geclickt, unterstelle ich mal.



    Quelle neckar-kurier.de

  • Den herzlosen Irrsinn, das dumpf-brutale Hinwegtrampeln über Recht, Menschen und den gesunden Menschenverstand, das Gestrig-Wahnwitzige, das Trump und Putin haben kann man kaum vergessen. Zu penetrant maträtiert Trump den öffentlichen Raum, zu offensichtlich ist die Brutalität des Krieges in der Ukraine.



    Gegen die eigene Hilflosigkeit, gegen die Angst, gegen die Wut hilft Humor, um in dem ganzen Wahnsinn nicht den Verstand zu verlieren. "Der große Diktator" von Charlie Chaplin ist ein menschliches, tief berührendes Meisterwerk, in dem Hitler eine kleine, lächerliche Witzfigur darstellt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, deswegen Krieg und Holocaust zu vergessen. Auch wenn der Humor die Dinge nicht gleich zum Besseren wendet, hilft es sie zu ertragen. Das macht uns Menschen aus, heutzutage dann eben per Meme.

  • Es gibt hunderte Zitate über den Humor als Waffe. Besonders hervorheben will ich Sigmund Freud ("Der Witz ist die letzte Waffe des Wehrlosen") oder den großen Ephraim Kishon, der speziell der jüdischen Witz als Waffe verstand: "Jemand, der lacht, ist nicht besiegt. Solange ich lachen kann, bin ich ein Mensch mit Ehre."

    Her mit den Memes!

    • @Angelika70:

      👍