Norderneys Bürgermeister zu Wohnraum: „Dem Ausverkauf Einhalt gebieten“

Norderneys Bürgermeister Frank Ulrichs (SPD) will durch ein Verbot von Zweckentfremdungen mehr Dauerwohnraum schaffen.

Touristen baden am Weststrand der Insel in der Nordsee.

Knapp und umkämpft: Wohnraum auf Norderney Foto: dpa

taz: Warum entscheidet sich Norderney gerade jetzt dafür, die Zweckentfremdung von Wohnraum in Ferienwohnungen zu verbieten, Herr Ulrichs?

Frank Ulrichs: Grundsätzlich sind wir an diesem Thema schon seit vielen Jahren dran, weil der Wohnraum hier auf der Insel immer knapper wird und wir große Probleme haben, die Einheimischen und die, die wir vom Festland als Arbeitskräfte akquirieren, hier adäquat unterzubringen.

Was haben Sie bislang versucht, um das Problem zu lösen?

Wir haben unsere Bauleitpläne überarbeitet und Erhaltungssatzungen auf den Weg gebracht. Der Grund, weshalb es jetzt das Instrument einer sogenannten Zweckentfremdungssatzung geben soll, ist der, dass der Gesetzgeber erst im März dieses Jahres ein entsprechendes Rahmengesetz auf den Weg gebracht hat. Wir konnten das vorher also gar nicht.

Was bedeutet das praktisch für die Zukunft?

Wir wollen die Zweckentfremdung von Wohnraum unter einen Genehmigungsvorbehalt stellen, beziehungsweise verbieten. Das heißt unterm Strich, dass niemand mehr eine Dauerwohnung in eine Ferienwohnung verwandeln oder sie unangemessen lange leer stehen lassen darf.

48, SPD, ist seit 2011 Bürgermeister von Norderney. Er ist außerdem Diplom-Verwaltungswirt.

Als Standardsituation dazu gilt: die Eltern sterben, die Erbengemeinschaft verkauft das Haus an einen Investor. Da gäbe es ja auch die Alternative, stattdessen an Menschen zu verkaufen, die Wohnraum suchen.

Das ist ein richtiger Gedanke. Fakt ist nur, dass derjenige, der nachher über das Haus verfügt, erkannt hat, dass man mit Zweit- und Ferienwohnungen wesentlich mehr Geld verdienen kann. Wenn ich eine Zweitwohnung schaffe und sie für einen Quadratmeterpreis von 8.000 bis 10.000 Euro verkaufe oder eine hochwertige Ferienwohnung für 300 Euro die Nacht vermiete, bekomme ich wesentlich mehr Geld als für eine Dauerwohnung, für die sich ein akzeptabler Marktpreis zwischen 10 und 15 Euro einpendelt. Das ist der Grund dafür, weshalb hier seit Jahren in Betongold investiert und immer mehr ausverkauft wird.

Haben sich die anderen Instrumente dagegen, etwa die Bauleitpläne, nicht als wirksam erwiesen?

Der Gesetzgeber gibt uns die Möglichkeit, über die Bebauungspläne auch die Nutzung festzuschreiben und das haben wir seit Jahren getan. Wir haben in vielen Gebieten bestimmt, dass die Hälfte eines Grundstücks als Dauerwohnraum genutzt werden muss. Das ist sinnvoll: Norderney lebt vom Fremdenverkehr. Falls ein Einheimischer in der Lage sein sollte, so ein Haus zu erwerben, muss er auch die Chance haben, durch die Vermietung die Belastungen für das Haus zu verdienen.

Wo hakte es dann?

Wir haben natürlich gemerkt, dass das, was auf dem Papier steht und das, was in der Praxis gelebt wird, zwei Paar Schuhe sind. Es kommt in der Praxis sehr häufig zu Verstößen und Wohnungen werden nicht so genutzt, wie sie genutzt werden sollen.

Haben Sie da eine wirksame Handhabe?

Der bisherige Werdegang war so, dass es uns zugetragen wird – teilweise auch durch die Nachbarschaft, die soziale Kontrolle funktioniert auf Norderney recht gut – und wir es dann an die Bauaufsichtsbehörde des Landkreises abgeben, die dem nachgeht. Das sind mitunter sehr mühselige und langwierige Prozesse, die sich über Jahre hinziehen. In der Zeit passiert meist gar nichts. Die Zweckentfremdungssatzung auf Ortsebene ermächtigt uns als Kommune jetzt, diese Recherche selbst vor Ort zu betreiben, Grundstücke zu betreten. Und es gibt einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Eigentümer, auch gegenüber dem Verwalter. Wir werden deswegen nicht die Welt verändern, aber es ist ein weiteres Instrument, um dem Ausverkauf und der Zweckentfremdung hier auf Norderney Einhalt zu gebieten.

Aber neuer Wohnraum, der die angespannte Situation entzerren würde, wird so nicht geschaffen.

Zumindest nicht mit dieser Verordnung, aber dafür ist sie auch nicht da. Natürlich arbeiten wir an allen Fronten, wir bauen natürlich auch. Man muss für Norderney auch dazu sagen, dass wir eine eigene Wohnungsgesellschaft haben, eine hundertprozentige Tochter der Stadt. Das unterscheidet uns von vielen anderen touristischen Destinationen. Die Gesellschaft hat 725 Wohnungen, in denen knapp ein Drittel aller Einheimischen wohnt. Wir sind seit Jahren dabei, nachzuverdichten und neue Wohnungen zu bauen.

Es klingt wie ein schwieriger Spagat: die Mehrzahl der Menschen auf Norderney lebt vom Tourismus und bedroht, je mehr der wächst, desto stärker den eigenen Wohnraum.

Genauso ist es: wir leben hier seit 200 Jahren vom Tourismus, der Fremdenverkehr ist der Lebensnerv der Insel. Wir könnten nicht wieder auf Fischfang und Landwirtschaft umsatteln. Es gilt, einen vernünftigen Spagat zu schaffen zwischen einer gesunden touristischen Vermarktung der Insel auf der einen Seite und soliden Lebensverhältnissen für die hier lebende Bevölkerung auf der anderen Seite. Dabei ist der Wohnraum nur eine Facette – das fängt bei einer vernünftigen Kinderkrippenversorgung an und geht bis hin zur schulischen und ärztlichen Versorgung und Altenwohnungen.

Gibt es eigentlich auch Kritik an der geplanten Zweckentfremdungssatzung?

Im Augenblick gibt es noch keine. Natürlich gibt es ganz verschiedene Interessensgruppen und die, die bei uns eine Ferien- oder Zweitwohnung betreiben, mögen das anders beurteilen als jemand, der eine Dauerwohnung sucht. Aber wir greifen nicht zu sehr in die Vergangenheit, wir schauen, dass wir uns für die Zukunft vernünftig aufstellen. Jemand, der seit 20 Jahren eine Ferienwohnung betreibt, die legal entstanden ist, muss sich keine Sorgen machen. Wir gehen nur denen hinterher, die illegal eine Wohnung betreiben.

Wie hoch schätzen Sie den Anteil?

Es ist ein fortwährender Prozess. Wir haben immer einige Dutzende Verfahren, die wir der Bauaufsichtsbehörde zur Anzeige gebracht haben. Aber wenn zehn abgearbeitet sind, kommen auch zehn hinterher. Das wird auch nie aufhören.

Sind die Strafen nicht abschreckend genug?

Wenn man sich die Renditechancen auf der Insel anguckt, wage ich, ohne genau zu wissen, wie hoch die Strafen sind, die Vermutung, dass sich so etwas unterm Strich immer noch lohnen könnte. Ich glaube aber, dass sich zu Beginn keiner so konkret Gedanken darüber macht. Man versucht es einfach und viele sind Jahrzehnte lang damit durchgekommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.