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Nikotinbeutel SnusWie ein Pflaster – aber mit Style

Valérie Catil
Kommentar von Valérie Catil

Nikotinbeutel, die einmal abgelutscht spuckeversetzt unter Schulbänken kleben – geht es uncooler? Oder sind Sie vielleicht einfach zu alt für: Snus.

Sitzt der Snus? Foto: AnnikaxByrdex/imago

J edem ist es schon mal passiert. Dieser ekelhafte Moment, wenn man in der Schule in eine klebrige Masse unterm Tisch fasst, die im schlimmsten Fall frisch angebracht und noch feucht ist. Früher war die Diagnose klar: Kaugummi. Doch jetzt gibt es einen neuen Chef im Ring der Tischunterseiten: Snus.

Klingt nach Schlaf, macht aber wach. Snus, das sind Nikotinbeutel, die Nikotinsalze enthalten und in verschiedenen Geschmacksrichtungen verkauft werden. Nicht in Deutschland aber, denn hier sind sie bisher verboten.

Besonders beliebt sind die Beutel in Skandinavien, doch der Snus-Markt wächst weltweit. Das beweist: Nikotin wird zur Privatsache. Denn man platziert die Beutel von außen unsichtbar aufs Zahnfleisch, bis sie nach 30 Minuten aufgebraucht und ausgelutscht sind und man sie wegwerfen oder an diverse Oberflächen kleben kann. Wer sich so ein Teil schon mal unter die Lippen geschoben hat, weiß, wie stark sie sind. Zwar gibt es keine vom Rauch erzeugten Schmerzen in Hals oder Lunge – dafür aber eine volle Ladung Nikotin, die einen vor Schwindel fast aus den Socken kippen lässt. Bis die Gewöhnung einsetzt.

Snus ist effektiv, stark und diskret. Das ist neu. Denn beim Nikotinkonsum galt bislang immer das Gegenteil: Die allererste Zigarette – und wenn man ehrlich ist auch die nächsten paar – hielt man nur deswegen durch, weil man wusste, wie cool es später irgendwann aussehen würde, qualmend an einer Ecke zu stehen. Wie in einem französischen Film, irgendwie mysteriös, melancholisch, nonchalant und rebellisch zugleich. Nichts so vollkommen wie „der kleine Parthenon einer geöffneten Zigarettenschachtel“, wie Leonard Cohen in „The Cigarette Issue“ schrieb. Diesen Traum hat uns die Tabakindustrie verkauft.

Aus dem Maul zu ziehen

Vergleicht man das mit Snus, einem leicht ins Beige neigenden Miniaturteebeutel, kann man sich keinen James Dean, keine Audrey Hepburn, keinen Clint Eastwood snusend vorstellen. Ein Snus schiebt man sich unter die aufgeklappte Lippe ans Zahnfleisch, um den labbrigen Beutel dann später in aufgeweichter Form – vielleicht hängt noch ein Spuckefaden dran – aus dem Maul zu ziehen. Das hat Charme.

Aber vielleicht ist Coolness auch einfach neu definiert. Cool ist es nämlich, nicht zu rauchen. Das hat auch die Tabakindustrie verstanden. Zigaretten werden bei den Jüngeren immer unbeliebter, aber da diese potentiellen Käufer_innen nicht einfach verloren gehen dürfen, braucht es Alternativen. Zuerst gab es Vapes in spaßigen Geschmacksrichtungen. „Apple Peach“, „Banana Ice“, „Pink Lemonde“ und andere fruchtige Namen. Wie gesund diese Powerbanks mit Totenkopfsymbol drauf sind, ist allerdings fraglich.

Dagegen hat Snus doch einige Vorteile: weniger Lungenkrebsrisiko, keine stinkenden Finger, keine vergilbten Schnurrbärte, und so viel Nikotin wie drei bis sechs Zigaretten. Im Grunde ist Snus ein Nikotinpflaster mit Style: einem coolen Namen und bunter Verpackung. Dass der Trend Richtung Nichtrauchen geht, weiß „Big-Tobacco“: Philipp Morris kaufte Swedish Match – den Mutterkonzern der Snus-Marke „Zyn“ – 2022 für etwa 16,6 Milliarden US-Dollar.

Auch der rechtspopulistische Moderator Tucker Carlson berichtet in einem Podcast, wie geil er Snus findet: „Es war eine riesige Bereicherung für mein Leben. Ich kann es nur empfehlen.“ Seine Lieblingsgeschmacksrichtung ist übrigens Minze. Eigentlich sollte als Faustregel gelten: Bei allem, wofür Carlson wirbt, muss man vorsichtig sein. Doch wenn snusen bedeutet, dass man weniger raucht, warum nicht?

Und aber Zahnausfall

Das findet auch das Bundesamt für Risikobewertung und sagt, das Schaden bei aktiven Rauchern gemindert werden könne. Damit anfangen sollte man aber nicht. Wegen des hohen Nikotingehalts macht Snus extrem süchtig. Zwar kriegt man vielleicht keinen Lungenkrebs oder Krankheiten, die Vapes irgendwann hervorbringen werden, doch auch pures Nikotin ist nicht gerade gesund. Es erhöht den Blutdruck, beschleunigt die Herzfrequenz und verengt die Arterien. Die Beutel können außerdem schlecht fürs Zahnfleisch sein und sogar zu Zahnausfall führen.

Also, auch was man sich heimlich an die Schleimhäute schiebt, ist nicht ganz Privatsache. Die Risiken sollte man nicht ignorieren und gerade bei jungen Leuten wäre die beste Prävention, den Konsum zu regulieren. Im Zweifelsfall gilt, wie bei so gut wie allen Drogen, lieber aufklären und legalisieren. Unter den Tischen kleben die Beutel sowieso schon.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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13 Kommentare

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  • Das Zeug ist aber immer noch ein Nervengift mit Profitfunktion durch Suchterzeugung. Also alles wie gehabt.

  • Ich werde das mal mit meinem Schwarzteebeutel ausprobieren, um eigene Erfahrungswerte zu sammeln …

  • Was Menschen heutzutage in ihre Mundhöhle schieben ist schon skurril. Da gehören zur Nahrungsaufnahme im Magen verwertbare Inhalte rein, fest und flüssig, und kein Teebeutel.

    Wir haben schon genug Mikroplastik im Körper.

  • Snus enthalten Tabak, und die sind nur in Schweden erlaubt. Komischerweise ist Schweden aber meines Wissens nach auch das erste anerkannte rauchfreie Land (unter 5% Raucherrate) und das Land mit der geringsten Lungenkrebsrate. Also haben die möglicherweise etwas besser gemacht als Deutschland mit seinen um die 30% Rauchern.



    Die beschriebenen Produkte sind Nikotinpouches, die eben keinen Tabak enthalten, sondern nur Nikotin und ein Trägermaterial aus Zellulose und keinesfalls mit einem Pflaster zu vergleichen sind, welches nur homöopathische Dosen abgibt und eher ein Placebo für die Rauchentwöhnung ist.



    Die beschriebenen Effekte des Nikotins sind ähnlich denen von Coffein und temporär. Also wo ist bitte das Problem des Nikotinkonsums in Abwesenheit der Tabakverbrennung, bei welcher um die 50 bis 70 krebserregenden Stoffe entstehen, von Kohlenmonoxid und anderen spaßigen Sachen ganz zu schweigen.



    PS: Dampfen (Vapen) ist auch kein Rauchen, die Probleme sind ganz andere, seitdem dieser Einwegmüll Einzug gehalten hat.

    • @Wurstfinger Joe:

      Vielen Dank für Ihre Ausführungen.



      Die Autorin scheint mit dem Thema nicht allzu vertraut zu sein,



      was man ihr aufgrund der Komplexität aber ein wenig nachsehen kann.

      Tucker Carlson war ( hat inzwischen seine Meinung geändert und will ein eigenes Produkt auf den Markt bringen) von ZYN begeistert, ein Produkt von Philip Morris International.



      ZYN enthält, wie von Ihnen beschrieben, keinen Tabak.

  • "Dagegen hat Snus doch einige Vorteile: "



    unter anderem die relativ häufige Nebenwirkung Mundhöhlenkrebs.

    • @nutzer:

      Komisch, dann müßte Schweden das Paradies des Mundhöhlenkrebses sein, ist es aber nicht. Und nun?

      • @Wurstfinger Joe:

        "Und nun?" Einfach mal lesen, Google hilft bei übersetzen:



        ki.se/forskning/po...t-ar-det-att-snusa

        • @nutzer:

          www.northerner.com...snus-und-mundkrebs



          Und nun? 😄



          Es gibt mehrere Studien zu diesem Thema, aber es ist erst mal erwiesenermaßen weitaus weniger risikobehaftet als Tabak zu verbrennen und genau das ist das Entscheidende.

          • @Wurstfinger Joe:

            Es macht keinen Sinn sich da einzelne Studien entgegen zu halten. Genau wie "Freundlicher" schreibt, gab es auch bei Tabak entsprechende pro und contra Studien. Einzelne Studien sind zum einen kein Beweis, hängt doch alles am Studiendesign. Eine endgültige Aussage aufgrund einer einzigen Studie (entweder Pro oder Contra, ganz egal) ist unrealistisch. Es ist ein Puzzleteil, mehr nicht. Ein Bild ergibt sich erst aus der Metasicht.



            Um auf Snus zurückzukommen, es gibt keinen endgültigen Beweis, "Wenn Snus, dann .... " weder zum Positiven noch zum Negativen. Es gibt Tendenzen und die Hinweise tauchen immer wieder auf, es wird ja schließlich auch nicht jeder vom Rauchen krank...



            Schlüsse kann jeder für sich ziehen, ich bin Contra, sie Pro, ok. Mein Punkt ist, Snus ist nicht der helle Stern am Horizont, der endlich Nikotingenuß unbedenklich macht, es gibt ja schließlich auch noch andere Krankheitsfolgen durch Snuskonsum, nicht nur Krebs. In Schweden ist man da schon differenzierter, auch wenn das den Konsum nicht beeinflusst.

          • @Wurstfinger Joe:

            Ach so, auf der Website des Anbieters der Droge steht, sie ist sogar gesund. Na dann...



            Phillip Morris & Co haben ja auch jahrzehntelang Studien vorgelegt, nach denen Rauchen harmlos sein sollte.

            • @Freundlicher:

              Ja, wenn man liest, was man lesen will. Diese Aussage bezieht sich auf den Vergleich von Snus zum Rauchen. Beim Rauchen hat man schon die 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, auf die eine oder andere unschöne Art abzukratzen. Dagegen sind Snus wirklich ein gesundheitlicher Benefit.