Neuwahlen: Beunruhigende Aussichten
In normalen Zeiten wäre eine Große Koalition mit der SPD als sozialem Korrektiv nicht schlimm. Aber die Zeiten sind nicht normal.
N ach dem Ampel-Kollaps drängen sich drei Fragen auf: Ist die deutsche Demokratie widerstandsfähig gegen feindliche Übernahmen, wie sie Trump in den USA probt? Hat eine Mitte-links-Partei wie die SPD eine Antwort auf den rechten Zeitgeist? Und welche Regierung bekommen wir?
In dem kleinteiligen Gezerre um den Wahltermin ist eine wichtige Nachricht fast untergegangen: Die Union hat der Versuchung widerstanden, die taumelnde Ampel-Restregierung zu demütigen, indem sie etwa die Unterstützung der AfD in Kauf nimmt. Wohl aus Überzeugung. Dafür spricht, dass die Union allem Theaterdonner zum Trotz mit Rot-Grün noch ein Gesetz verabschieden will, dass das Bundesverfassungsgericht vor rechtsextremen Angriffen schützt.
Die Bundesrepublik verfügt über austarierte checks and balances. Das föderale System ist robust, jedenfalls so lange niemand der AfD die Tür zur Macht öffnet. Ja, die Demokratie steht unter Druck. Doch für Alarmismus gibt es keinen Grund. Der Zeitgeist aber ist solide rechts, der Raum für Fortschritt und solidarische Lösungen eng. Dass Migranten uns bedrohen, dass Bürgergeldempfänger Faulenzer sind, die uns ausbeuten, und der klimaneutrale Umbau ein wokes Elitenprojekt ist – all das sind keine rechten Stereotype mehr. Sie sind in den Mainstream eingesickert und klingen bei Union, AfD und Springer-Verlag mitunter ähnlich.
Für Mitte-links-Parteien wie die SPD ist diese Lage ungünstig, um das Mindeste zu sagen. Sollen sie radikal und populistisch auf Anti-Eliten-Affekte setzen? Oder lieber brav mittig sein? Wenn man nach Österreich und Großbritannien schaut, scheint sogar diese Frage müßig zu sein.
Beides kann derzeit scheitern. In Österreich ist SPÖ-Mann Andreas Babler mit einem entschlossen linken Programm bei den Wahlen untergegangen. In Großbritannien hat Keir Starmer die Wahl gewonnen. Aber nach drei Monaten im Amt weiß niemand, was Starmer mit der Macht eigentlich will. Kurzum: Radikal gewinnt man keine Wahl. Aber mittig sein ist auch keine Antwort.
In Deutschland wird es, anders als 2021, keinen Gerechtigkeits-, sondern einen Sicherheitswahlkampf geben. Viele fürchten die Zukunft und flüchten vor dem Veränderungsdruck in aggressive Nostalgie. Die Wahl 2025 wird gewinnen, wer Stärke, Härte, Stabilität ausstrahlt. Was kann die SPD in dieser Lage tun? Sich anpassen? Entschlossen auf Gerechtigkeit pochen? Die SPD wirkt ratlos. Sie wird wohl mit Olaf Scholz, dem erprobten Krisenmanager, antreten.
Friedrich Merz, so das Kalkül, hat keine Regierungserfahrung und wirkt oft unberechenbar. Doch bloß auf Fehltritte des Konservativen zu hoffen, ist zu wenig. Dass Merz der SPD den Gefallen tut, als arroganter Ex-Black-Rock-Manager aufzutreten, der nur die Besserverdiener im Sinn hat, ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Die SPD bräuchte im Wahlkampf keinen Technokraten wie Scholz, sondern jemand mit frischer Leidenschaft und frei vom Trümmerimage der Ampel. Den wird kaum geben.
Konsensrepublik Deutschland
Deutschland ist noch immer eine Konsensrepublik. Das Verhältniswahlrecht prämiert, anders als in den USA, die Mitte. Wie oft in Krisenzeiten kann am Ende eine Große Koalition stehen – mit Merz als Kanzler und Boris Pistorius als Vizekanzler. Das wäre gut, weil es mit der SPD keinen radikalen Sozialstaatsabbau geben wird. Und trotzdem ist diese Aussicht beunruhigend. Dass die Groko, die früher im Ruf stand, die Extreme zu fördern, nun eine Trutzburg gegen die AfD sein soll, ist eine fragwürdige Vorstellung. Außerdem herrscht erstaunliche Amnesie. Vor gerade einmal dreieinhalb Jahren warfen sich SPD und Union in der Regierung noch gegenseitig Knüppel zwischen die Beine. Alle, auch SPD und Union, waren froh, als diese Stillstandskoalition endlich vorbei war.
In normalen Zeiten wäre eine Groko nicht so schlimm. Aber die Zeiten sind nicht normal. Das deutsche Modell steht unter extremem Stress: Die Exportindustrie schwächelt, Trump droht mit höheren Zöllen. Dieser Deglobalisierungsschub wird Deutschland hart treffen. Gerade jetzt braucht man einen entschlossenen, interventionistischen Staat, der wie die USA und China die digitalen und klimaneutralen Schlüsselindustrien mit viel Geld fördert. Doch Merz will nur vielleicht die Schuldenbremse ein wenig lockern, AKWs wieder in Betrieb nehmen und erneuerbare Energien und Elektromobilität eindampfen. Vorwärts in die 90er Jahre – die Kluft zwischen dem, was nötig, und dem, was möglich ist, würde in der Groko sehr groß sein.
Viele haben sich das Aus der Ampel gewünscht, weil sie ein Ende mit Schrecken wollten. Das kann eine Täuschung sein. Der Schrecken liegt nicht hinter, er liegt eher vor uns.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr