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Neues Buch von Samuel SalzbornNotwendige Abwehr der Abwehr

Samuel Salzborn ist Berlins neuer Antisemitismus-Beauftragter. In seinem Buch zum Thema Schoah und Schuld spricht er klare Worte.

Neuer Antisemitismusbeauftragter für das Land Berlin: Samuel Salzborn Foto: Anja Thiele/dpa

Besonders hierzulande muss ein Antisemitismusforscher tapfer sein. Denn wenn er sich äußert und einmischt, mündlich oder schriftlich, kann es passieren, dass er sowohl in wissenschaftlichen Diskursen als auch in politischen Meinungskämpfen als Sturkopf beschimpft, als Spaßbremse gefürchtet und als Randfigur abgetan wird. Das Risiko nimmt er auf sich, wenn er, wie Samuel Salzborn in seinem neuen Buch „Kollektive Unschuld“, den Deutschen eindrucksvoll nachweist, dass sie bei der Betrachtung ihrer eigenen Geschichte weiterhin wählerisch bleiben.

Diesen Nachweis führt Salzborn anhand von Lautstärkeverhältnissen in den nach 1945 angestrengten Bemühungen um Aufklärung über die Vergangenheit. Buchautoren, Filmemacher oder private Gesprächsrunden machten sich über den Nationalsozialismus Gedanken und konnten mit viel Aufmerksamkeit von LeserInnen und KinogängerInnen rechnen.

Unüberhörbare Zustimmung kam auf, wenn Heimatfilme im Kino liefen oder ein Streifen wie „Des Teufels General“ den Mythos vom Unterschied zwischen der schlimmen NS-Führung und den moralisch angeblich einwandfreien einfachen Soldaten fortschrieb.

Dröhnendes Schweigen

Unüberhörbare Empörung ergoss sich später auf Daniel Goldhagens erstes Buch und auf die Wehrmachtsausstellung. Ansonsten aber herrschte, schreibt Salzborn, „dröhnend lautes Schweigen“, sobald es um „deutsche Schuld“ ging. Das änderte sich erst mit Martin Walsers Rede in der Paulskirche 1998. Seitdem sei „eine zunehmende Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung festzustellen, antisemitische Ressentiments öffentlich zu kommunizieren“.

Samuel Salzborn

Samuel Salzborn: „Kollektive Unschuld: Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“. Hentrich und Hentrich, Berlin 2020, 136 Seiten, 15 Euro

Wer mit Ressentiments hausieren geht, kann, erklärt Salzborn, jedem Dorf mehr abgewinnen als irgendeiner Stadt, alten Zeiten mehr als der modernen Welt und Israel als „Projektionsfläche für den Hass auf die Ambivalenz“ sehr viel mehr als der schieren Existenz des jüdischen Staates.

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich für Salzborn die aktuelle Lage, in welcher einer „Zunahme des gesicherten Wissens über den Nationalsozialismus“ eine „zunehmende Erinnerungs- und Schuldabwehr“ vieler Deutscher gegenüberstehe. Nicht wenige von ihnen engagieren sich bei der AfD, deren Führungsfiguren Salzborn als „Lautsprecher“ bezeichnet.

Lautsprecher ausschalten

Die Lektüre von „Kollektive Unschuld“ hinterlässt nun den Eindruck, dass die Alliierten zwar schon nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten, ähnliche Lautsprecher auszuschalten, es ihnen tatsächlich aber nur gelungen ist, sie eine Zeit lang auf Kleinlautstärke runterzudrehen. Doch längst arbeiten sie und andere stetig und mit immer mehr Erfolg daran, „einen deutschen Opfermythos herbeizuphantasieren“, der nach der Vernichtung der Juden die „Vernichtung der Erinnerung“ erleichtern soll.

Salzborn schreibt all das ohne jeden alarmistischen Unterton auf. Das gilt selbst für seinen provokantesten Befund: Eine lange Reihe öffentlicher Kommentatorinnen hält die Aufarbeitung der Vergangenheit für eine bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte. Salzborn dagegen zeigt, dass es sich bei dieser sogenannten Aufarbeitung tatsächlich um die „zentrale Lebenslüge der bundesdeutschen Geschichte“ handelt.

Eine weitere Gelegenheit, diese Lüge offenzulegen, bietet Salzborn das soeben von ihm übernommene Amt des Ansprechpartners für das Land Berlin zum Thema Antisemitismus. Salzborns Ernennung ist auch deshalb erfreulich, weil sie die offizielle Absicht erkennen lässt, Felix Klein nicht länger allein auf weiter Flur gegen Antisemitismus kämpfen zu lassen.

Zu hoffen ist dabei, dass dem Autor Salzborn noch Zeit zum Schreiben bleibt. Denn um was für einen Wurf es sich bei „Kollektive Unschuld“ handelt, mag ein Vergleich zeigen. In „Die Unfähigkeit zu trauern“ notierten Margarete Mitscherlich und Alexander Mitscherlich 1967, was die Deutschen bis dahin gegen ihre Erinnerungen unternommen hatten. Wie sie sie erst abgewehrt und sich dann jeden weiteren Umgang mit ihr fast nur noch beim Blick auf Hitler erlaubten, der von Hunderten Titelblättern eines großen Nachrichtenmagazins auf sie schaute. Was seither passiert ist, lässt sich in dem kurzem, ruhigen, großen Buch von Samuel Salzborn erfahren.

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23 Kommentare

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  • Wieso nicht Israels antisemitische Nachbarn, die das Land vernichten woll(t)en?

    • @h3h3y0:

      War an Ninetto.

  • Herr Salzborn hat sein Amt noch gar nicht richtig angetreten, da wissen schon Leute im Forum und ausserhalb dass er eine Fehlbesetzung ist...vielleicht lässt man ihn erst mal machen und beurteilt seine Arbeit nach angemessener Zeit? Im übrigen: Ein Antismitismusbeauftragter ohne klare Haltung gegenüber überzogener Israelkritik wäre in der Tat fehlbesetzt.

  • Der Hintergrund des Tweets, wegen dem manche so aus dem Häuschen sind, hat folgenden Hintergrund:

    "Der Tweet beschreibt eine reale Zugfahrt aus dem Oktober letzten Jahres: Am Nachbartisch unterhalten sich Menschen über dies und das und plötzlich fielen mit dem Stichpunkt Palästina alle möglichen antisemitischen Äußerungen. ... (1/3)"

    "twitter.com/ProfSa...290652796937809921"

    • @Jim Hawkins:

      leider verschweigt uns herr Salzborn, was er an einer belauschten unterhaltung für antisemitisch hielt. bei seinem zerfledderten antisemitismusbegriff kann dies alles+nichts gewesen sein.

  • Salzborn ist eher eine Fehlbesetzung:



    www.neues-deutschl...utter-diskurs.html



    Und die Uni Göttingen hatte sich ja vorzeitig von ihm getrennt.

  • die überschrift *Notwendige Abwehr der Abwehr* gefällt mir gut. sie paßt auch über dieses werk www.salzborn.de/tx...YEWoM00teto1IUDhEQ aus Salzborns feder.



    einige meiner freundinnen fragen sich nun, wie gut ihr jüdisches leben in seinen händen aufgehoben ist.

    • @christine rölke-sommer:

      Manche fragen sich ob Salzborn eine gute Wahl, ich mache mir eher über so etwas Sorgen.

      "Nach vorläufigen Angaben der Sicherheitsbehörden gab es alleine im ersten Quartal 2020 mindestens 287 judenfeindliche Straftaten. Insgesamt erreichten 2019 die antisemitischen Straftaten den höchsten Stand seit 2001."

      www.zeit.de/gesell...-verfassungsschutz

      Aber jeder hat ja eigene Prioritäten...

      • @Sven Günther:

        braucht es 1 antisemitismusbeauftragten, um strafanträge zu stellen+anzeigen zu erstatten? meine freundinnen brauchen den dafür nicht. und ich auch nicht.

    • @christine rölke-sommer:

      Der Link funktioniert leider nicht.

  • Danke für den Tipp.

    Ich fand das Buch "Globaler Antisemitismus" von Salzborn sehr erhellend.

    Und hier scheint er ja am Unbehagen an der Moderne anzuknüpfen:

    "Wer mit Ressentiments hausieren geht, kann, erklärt Salzborn, jedem Dorf mehr abgewinnen als irgendeiner Stadt, alten Zeiten mehr als der modernen Welt und Israel als „Projektionsfläche für den Hass auf die Ambivalenz“ sehr viel mehr als der schieren Existenz des jüdischen Staates."

    Er schreibt wissenschaftlich exakt und dennoch verständlich und ohne Polemik.

  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    „Beobachtet man die Deutschen, wie sie geschäftig durch die Ruinen ihrer tausendjährigen Geschichte stolpern, dann begreift man, dass die Geschäftigkeit zu ihrer Hauptwaffe bei der Abwehr der Wirklichkeit geworden ist“, schrieb Hannah Arendt 1950.

    • @75787 (Profil gelöscht):

      „Notwendige Abwehr der Abwehr“? Klingt ja wie: „Mit Schlapphüten gegen Schlapphüte“. Oder wie: „Nur Stasi-Methoden helfen gegen Stasi-Methoden“. Vermutlich ist die empfohlene Strategie ja auch genauso effektiv (siehe Geschichte des 20. Jahrhunderts). Aber Geschäftigkeit verspricht ja immerhin Profit. Warum also nicht geschäftig die Abwehr abwehren?

  • Es wäre interessant von Salzborn zu hören, ob die Deutschen auch nicht eine Mitverantwortung an die "Nakba" (Katastrophe) der Palästinenser tragen.

    Denn es war der deutschen Antisemitismus/Vernichtungskriege, der den Zionismus angefeuert hat und die Migration für jüdischen Verfolgten lebenswichtig machte, vor allem nach Palästina. Bei der Gründung der Staat Israels wurden fast 800.000 Palästinenser dann vertrieben, und der Rückkehrrecht DIESER Flüchtlinge von den Zionisten, nun frisch-kuriert als Israelis, verweigert.

    Aber was man über Salzborn momentan in aktuellen Medien liest, stärkt nicht den Eindruck, dass er wirklich für Toleranz und Verständigung stehe, siehe:

    electronicintifada...nti-semitism-chief

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @Ninetto:

      für die sog nakba waren die arabischen staaten verantwortlich, die den un-teilungsplan abgelehnt und einen vernichtungskrieg gegen israel angefangen haben, es wurden leider auch 800 000 jüd!nnen aus den "islamischen" staaten vertrieben, welche vom israelischen staat integriert wurden. salzborn passt ihnen offebar nicht, weil er auch den israel-bezogenen antisemitismus kritisiert

    • @Ninetto:

      Wahrscheinlich schrie Salzborn schon in der Uni Göttingen so herum, sodass man sich trennen musste. Fand sich für diesen Choleriker wirklich kein anderer Versorgungsposten?

      • @Linksman:

        Ich bin immer wieder begeistert, wie sachlich, fair und gut informiert Sie sich hier äußern.

    • @Ninetto:

      tja, den tweet *wenn im zug am nachbartisch die leute anfangen, ohne jeden grund auf "palästina" als thema zu sprechen kommen, ist es wahlweise zeit, auszusteigen, kopfhörer aufzusetzen oder sie anzuschreien. #antisemitismus*, den muß mer erst ma verdauen...

    • @Ninetto:

      Der Untertitel des Buches lautet:

      "Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern"

      Das interessiert Sie natürlich einen feuchten Kehricht.

      Sie schreiben einfach das unter den Artikel, was Sie immer schreiben, wenn Sie "Israel", "Juden" oder "Holocaust" lesen.

      Völlig egal. Ganz automatisch.