Neuer Studiengang: Alles übers Sterben lernen
Ein neuer Master widmet sich Trauer und Tod. Die Studierenden lernen Totenversorgung und Sterbebegleitung.
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Am Anfang war der Begriff. „Perimortal“ gibt es eigentlich gar nicht, das Kunstwort ist an das medizinische „perinatal“ angelehnt. Dieses wiederum beschreibt den Zeitraum um die Geburt und impliziert, dass Geburtsbegleitung nicht erst mit den Wehen einsetzt und nicht schlagartig aufhört, wenn das Kind auf der Welt ist. „Perimortal“ soll ausdrücken, dass der Tod für Sterbende und Angehörige ein komplexes, hochdynamisches Ereignis ohne klare zeitliche Grenzen ist.
Rupert Scheule ist Professor für Moraltheologie an der Uni Regensburg und arbeitet außerdem als Diakon. Zu seinen Aufgaben gehören dabei seelsorgerische Tätigkeiten und Bestattungen. „Dabei fällt mir jedes Mal auf, dass Abschiedsprozesse oft schon lange vor der Beerdigung beginnen und diese Prozesse auch nicht vorbei sind, wenn man den Friedhof verlässt“, sagt er. „Und da hab’ ich mich gefragt, ob man das nicht akademisch interdisziplinär aufschlüsseln kann.“
Die Studierenden in Regensburg sollen lernen, wie sie gute Begleiter:innen durch den „perimortalen Raum“ werden. Dafür braucht es umfassendes Wissen, beispielsweise über die Physiologie des Sterbens, die Psychologie der Trauer und die Bürokratie, die der Tod verursacht. Sie beschäftigen sich mit philosophischen Betrachtungen der Endlichkeit, mit ethischen Fragen wie der Sterbehilfe und setzen sich mit dem eigenen Ende auseinander.
Medizinstudium Seit 2009 ist das Fach Palliativmedizin für angehende Ärzt:innen Pflicht. Sie lernen, schwerstkranken und sterbenden Menschen mit dem richtigen Schmerzmanagement ihre verbleibende Lebenszeit zu erleichtern. Seit einigen Jahren üben Studierende im Fach Kommunikative Kompetenz, wie man schwere Diagnosen übermittelt. Die Unikliniken laden Laienschauspieler:innen ein, die einen Tag lang auf möglichst empathische Weise gesagt bekommen, dass sie sterben werden.
Palliativpflege Einige Hochschulen in Deutschland bieten den Masterstudiengang „Palliative Care“ an. Er richtet sich in erster Linie an Absolvent:innen der Pflegewissenschaften.
Psychologiestudium „Der Verlust eines Menschen ist ein Lebensereignis wie zum Beispiel die Geburt“, sagt Christine Knaevelsrud, Professorin für Klinisch-Psychologische Intervention an der Freien Universität Berlin. „Einschneidend zwar, aber erst einmal einfach ein Lebensereignis“. Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen seien in der Lage, Trauernden zu helfen – auch ohne Extraseminare zu Sterben und Tod. Allerdings kann Trauer in seltenen Fällen „prolongierend“, also langanhaltend werden. An mehreren Lehrstühlen wird dazu geforscht und gelehrt.
Seelsorge ausbaufähig
„Denn wir können nicht so tun, als wäre der Tod nur das Thema der anderen“, sagt Scheule. „Indem wir es in die dritte Person verbannen, findet ein Othering statt, das sehr verbreitet ist in der Gesellschaft. Sterbende, das sind die Anderen.“ Scheule will im Studiengang vermitteln, wie ein gutes „Nähe-Distanz-Management“ funktionieren kann zwischen sich selbst und den Menschen, die man durch den „perimortalen Raum“ begleitet.
Im Fokus stehen allerdings nicht nur Sterbende und ihre Angehörigen – auch die Bedürfnisse von Menschen, die in der Totenversorgung arbeiten, sollen ergründet werden. Das seelsorgerische Angebot für Krematoriumsmitarbeiter:innen sei beispielsweise ausbaufähig, sagt Scheule. Gemeinsam mit seinen Studierenden konzipiert er zurzeit eine Erhebung für diese Berufsgruppe.
Andere Forschungsfragen, mit denen sich der „PeWi“-Master bisher beschäftigt hat, sind Todesfälle an Schulen und der Umgang mit Trauer im Klassenverband oder auch „verdeckte normative Spuren“ rund ums Sterben. An den oder die Sterbende gäbe es oft eine Art Anspruchshaltung, so der Theologe. „Als ‚guter Sterbender‘ gilt der diskursive Sterbende, der sich mitteilt, der in der Nähe des Todes plötzlich Weisheiten abgeben kann.“ Das sei belastend für Menschen, die nie besonders mitteilsam waren und auf dem Sterbebett nun erst recht keine tiefsinnigen Erkenntnisse über das Leben zu verbreiten haben.
Womit man sich im Bachelor beschäftigt hat, spielt für die Zulassung zum neuen Masterstudiengang keine Rolle. Die Studierenden sind Psycholog:innen oder Soziolog:innen, haben Theologie, Jura oder Ingenieurswissenschaften studiert. Eine Aufnahmeprüfung gibt es nicht, allerdings ein Beratungsgespräch. Scheule und sein Team möchten sichergehen, dass der Studiengang zu den aktuellen Lebensumständen passt. Frisch Trauernde sollten vielleicht noch etwas Zeit verstreichen lassen, bevor sie sich in Vollzeit mit dem Sterben auseinandersetzen.
Im Psychologiestudium kleine Rolle
Karin Müller gehört zur ersten Generation von Pewi-Studierenden. Die 32-Jährige hat zuvor Psychologie studiert. Die Atmosphäre in den PeWi-Seminaren findet sie – trotz Zoom – sehr viel lebendiger als in ihrer bisherigen Unizeit. „Alle haben ein unglaubliches Interesse, sind neugierig, diskussionsfreudig.“
Einen ähnlichen Hintergrund hat Janina Rogoll. Sie ist Mitte 30 und psychologische Psychotherapeutin, mittlerweile mit Schwerpunkt auf Eltern, die ein Kind verloren haben. Vor ein paar Jahren meldete sich ein junges Paar bei ihr, dessen Baby kurz nach der Geburt gestorben war. Seitdem beschäftigt sie sich mit den Bedürfnissen sogenannter „Sterneneltern“.
Im Verlauf des Masters will sie dazu forschen, welche Betreuung Eltern nach einer Totgeburt im Krankenhaus angeboten wird und wie man sie verbessern könnte. „Zum Beispiel wissen die wenigsten, dass sie ein Recht darauf haben, ihr totes Kind noch ein paar Tage mit nach Hause zu nehmen.“
Rupert Scheule, Professor für Moraltheologie
„Perimortale Wissenschaften“ sprach sie auf Anhieb an, auch weil die Themen Trauer und Trauerbewältigung im Psychologiestudium keine gesonderte Rolle spielen. Rogoll könnte sich vorstellen, nach ihrem Abschluss andere Therapeut:innen zur Arbeit mit verwaisten Eltern weiterzubilden. „Ich bin einfach wie alle in meinem Studiengang ziemlich angefixt von diesem Thema.“
Pandemie wirkt sich auf Trauerriten aus
Zu ihren angefixten Kommiliton:innen gehört auch Raphael Herpich. Er hat während seines Philosophie-Bachelors in einem Bestattungsinstitut gejobbt und war danach bei den Städtischen Friedhöfen München angestellt. „Das bedeutet Grabstätten vergeben und verkaufen, Aufbahrungen organisieren und Beerdigungstermine koordinieren.“
Der Start des Studiums im Herbst 2020 fiel in eine Zeit, in der Tod und Trauern gesellschaftlich allgegenwärtig waren. Die Zahl der an Corona Verstorbenen stieg in Deutschland von Woche zu Woche an, in der Weihnachtszeit waren es über 1.000 Menschen täglich.
„Wir haben uns im Studiengang zum Beispiel genauer angeschaut, wie die Pandemie in unsere einzelnen Trauerriten hineinregiert“, sagt Rupert Scheule. Einer sterbenden Person nicht nah sein zu dürfen, sei für viele Menschen ein traumatisches Erlebnis, das die Trauer verkomplizieren könne. Seine Studierenden befassten sich daher auch mit der Frage, wie die Digitalisierung das Abschiednehmen erleichtern könne – etwa durch Facetime auf der Intensivstation oder Livestreams von der Trauerfeier.
Ein weiterer Aspekt sind religiöse Riten. Bei Bestattungen ist es derzeit verboten, den Sarg oder die Urne mit Weihwasser zu bespritzen. „Für gläubige Katholiken ist das tragisch, weil dieser Moment eine Erinnerung an die Taufe darstellt, und daran, dass ein Happy End für jede und jeden schon von Anfang an feststeht“, erklärt Scheule. Gemeinsam mit ihren Kommiliton:innen hat sich Karin Müller Gedanken gemacht, wie sich dieser Ritus mit den Coronamaßnahmen vereinbaren ließe. „Eine Möglichkeit wären Rosen, die man am Stiel hält, ins Wasser tunkt und ins Grab fallen lässt.“
Die Studierenden beschäftigen sich auch damit, inwiefern Medien versuchten, den zigtausenden Coronatoten und deren Angehörigen Gesichter zu geben, ihre Geschichten zu erzählen. „Denn das Othering sterbender Menschen wird durch die Pandemie natürlich verstärkt“, so der Theologe. Der Tod sei nun mal ein großes Menschheitsthema, in dieser Zeit mehr denn je, sagt er. Warum also keinen Master darin machen?
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