Alternative Bestattungskultur: Der Tod wird ausgeklammert

Abschied ist ein Prozess, der Akt des Beisetzens ist nur ein Teil, sagt Eric Wrede. Er ist Bestatter und hat ein Buch über das Sterben geschrieben.

Mann mit karierter Jacke kniend vor einer Friedhofsmauer mit seinem braunen Hund

Früher arbeitete er als Manager für Popstars: Bestatter Eric Wrede mit Podenco Paul Foto: Julia Baier

Leicht abgehetzt kommt Eric Wrede die Seelower Straße in Berlin-Prenzlauer Berg entlanggehastet. Ihm voran springt Paul, Wredes Hund und tierischer Trauerbegleiter in dessen Bestattungsinstitut. „lebensnah – individuelle bestattungen“ steht in schnörkelloser Schrift auf dem Schaufenster des kleinen Ladengeschäfts, das Wrede vorweg betritt.

Eric Wrede

„Nicht zu wissen, wie unsere Liebsten gestorben sind, ob sie gelitten haben oder nicht, das beschäftigt viele“

Unter dem Schriftzug, in der Auslage, steht eine Beerdigungsszenerie aus Lego, mit Leichenwagen, Sarg­träge­r*in­nen und Krematoriumsofen. Sonst erinnert wenig an ein klassisches Bestattungsinstitut – der Ladenraum ist schlicht gehalten, keine wuchtigen Särge oder kitschigen Engelsfiguren. Alles ist hell und einladend: ein großer Holztisch im Zentrum, dahinter ein paar Bücher und individuell gestaltete Urnen in einem Wandregal.

Um einen individuellen letzten Weg geht es Wrede in seinem Unternehmen, so verrät es bereits der Name. Neben dem eigentlichen Beisetzen ist es seinen Mit­ar­bei­te­r*in­nen und ihm ein Anliegen, den Prozess des Abschiednehmens zu begleiten.

„Hier beginnt unsere Arbeit, denn die wenigsten wissen, was sie wollen und brauchen oder was überhaupt möglich ist, wenn es um Bestattungen geht“, formuliert er es. Da gelte es, erst mal gemeinsam herauszufinden, was den Angehörigen wichtig ist. „Abschied ist ein Prozess mit vielen Schritten – der Akt des Beisetzens ist nur ein Teil.“

Urne und Sarg mitgestalten

Wer möchte, kann hier jeden Schritt begleiten; von der Leichenwaschung über das Einkleiden bis hin zur persönlichen Gestaltung des Sarges oder der Urne. Bei Letzteren gibt es nur je ein Modell aus ökologisch unbedenklichem Holz – zum Selbstkostenpreis. Auf Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen legt das Unternehmen großen Wert, auch bei der Zusammenarbeit mit anderen Dienstleister*innen.

Wrede gehört zu einer Riege alternativer Be­stat­te­r*in­nen, die die sonst sehr traditionell ausgerichtete Branche modernisieren wollen. Dabei begann seine Bestatterkarriere in einem solchen klassischen Unternehmen, in dem das Geschäft „von Vorschriften und Regeln, von fehlender Menschlichkeit und vom Streben nach Gewinnmaximierung“ bestimmt wurde – so beschreibt er es in seinem 2018 erschienen Buch „The End: Das Buch vom Tod“. Was seiner Meinung nach fehle, seien Aufklärung und Zeit.

„Der Beruf des Bestatters hat sich im 19. Jahrhunderts unter anderem aus dem Tischlerhandwerk entwickelt und ist nach wie vor sehr auf den Verkauf von Produkten ausgerichtet – dabei sollte es zuallererst um eine Dienstleistung gehen“, ergänzt Wrede im Interview. Bei lebensnah zahle man deshalb für Unterstützung und Begleitung, nicht für eine Ware.

Menschen begleiten und ihnen in einer Ausnahmesituation direkt helfen zu können, war eine von Wredes Motivationen, Bestatter zu werden, mit Anfang dreißig. Vorher arbeitete der gebürtige Rostocker jahrelang in der Berliner Musikszene, managte Künstler wie Marius Müller-Westernhagen, Flake und die Band Selig. „Das war ein toller Job, ich habe mit coolen Mu­si­ke­r*in­nen zusammengearbeitet und mehr Geld verdient, als ich es mir hätte vorstellen können“, sagt er.

Inspiriert vom Pionier der humanen Bestattungskultur

Irgendwann aber habe er in dem Beruf keine Perspektive mehr gesehen und sich gefragt, was er wirklich vom Leben wolle. Dass er sich dann für die Bestattungsindustrie entschied, war Zufall: „Auf einer Autofahrt habe ich ein Interview mit dem Bestatter und Trauerbegleiter Fritz Roth gehört. Wie der über seine Tätigkeit und seine Motivation dahinter sprach, war faszinierend.“

Roth galt als Pionier der humanen Bestattungskultur, war ausgebildeter Trauerpädagoge und gründete den ersten privaten Friedhof Deutschlands.

Wie wollen wir sterben, beerdigt werden, trauern? – alles Fragen, denen sich Roth zeit seines Lebens widmete und die Wrede als Antrieb für seine zweite Laufbahn dienten. „Ich glaube, wir haben verlernt den Tod in unser Leben zu integrieren. Viele der Fragen, die wir uns heute stellen, stammen aus der Hospizbewegung, die Ende der sechziger Jahre in England begann. In ihr wird das Sterben nicht mehr nur als Ding am Lebensende, sondern als Prozess betrachtet, und das wirft zwangsläufig die Frage auf, wie wir damit umgehen wollen“, sagt Wrede.

Über Trauer, Verlust und das Sterben spricht er auch in seinem Radio-eins-Format „The End: Der Podcast auf Leben und Tod“. Einmal im Monat sucht er hier das Gespräch mit Menschen, die sich auf die ein oder andere Art mit dem Thema auseinandersetzen. So spricht Wrede unter anderem mit Diana Doko über ihre Arbeit im Verein „Freunde fürs Leben e.V.“, der speziell junge Menschen zu den Themen Suizid und seelische Gesundheit aufklärt.

Das eigene Testament

Mit Schauspieler Wanja Mues, der vor zehn Jahren seine Eltern bei einem Unfall verlor, geht es um das Danach: Trauerarbeit, das Realisieren des Geschehenen und Vorkehrungen, die es zu treffen gilt. Mues und Wrede sind sich einig: Bring your house in order! Wer sich zu Lebzeiten um seinen Nachlass kümmert und Vorkehrungen trifft, erspart seinen Angehörigen viel Zeit. Zeit, die es braucht, um trauern zu können.

Eric Wrede hat seinen letzten Willen daher schon verfasst. Eine Version davon findet sich im Prolog seines Buches „The End: Das Buch vom Tod“. Wer bekommt die Plattensammlung, wer versorgt die Tiere, wer kümmert sich um das Unternehmen, welche Musik soll gespielt werden – alles geregelt, für den Fall, dass Wrede einmal nicht mehr ist.

„Ganz aktuell ist das Testament im Buch nicht mehr, schließlich bin ich mittlerweile Vater. Hierfür habe ich aber bereits Ergänzungen vorgenommen“, verrät er. Auch die Musikauswahl könne überarbeitet werden, „'I Keep a Close Watch’ von John Cale soll immer noch laufen, anstelle von The Kinks und The Verve würde ich mir jetzt aber etwas Jazzigeres wünschen.“

Sein Buch über den Tod mit dem eigenen Testament zu beginnen, ist sicher ein guter Kniff, aber keineswegs ein Scherz: „Mich mit dem Thema so persönlich auseinanderzusetzen, ist mir nicht leichtgefallen. Auch als vermeintlicher Profi habe ich natürlich Bammel vor dem Tod – vielleicht gerade, weil ich bereits so viele Arten des Sterbens gesehen habe.“

Alte Rituale für eine neue Abschiedskultur

Der Angst vorm Sterben kann man nicht viel entgegensetzen – sie ist Teil des Menschen, wie der Tod Teil des Lebens ist. Doch wie auch bei anderen Ängsten, hilft es, sich mit der Thematik zu befassen. Hier, findet Wrede, sei in Deutschland noch Luft nach oben. „Uns fehlt aktuell eine Bestattungs- geschweige denn Abschiedskultur“, sagt er.

Es habe sie zwar gegeben – je nach Region mal katholisch, mal protestantisch geprägt –, doch mit dem schwindenden Einfluss der Kirchen seien uns die Rituale rund um den Tod abhanden gekommen. „Wir befinden uns gerade auf der Suche und bedienen uns dabei an den Ritualen der Weltreligionen, schauen, welche zu uns passen, und setzen sie neu zusammen“, sagt Wrede.

Was daraus entsteht, wird sich zeigen, Wrede hofft auf eine Kultur des Sich-Trauens. „Wir sollten uns nicht danach richten, was andere in einer solchen Situation erwarten, sondern was wir selbst uns wünschen, wenn es ums Trauern und Abschiednehmen geht.“ Die gemeinsame Waschung des Verstorbenen wie im Islam, das jüdische „Schiwa sitzen“ oder eine Aufbahrung, wie sie bei Ka­tho­li­k*in­nen stattfindet, kann unabhängig von der Glaubensausrichtung heilsam für Trauernde sein.

Neben neuen Ritualen brauche es auch eine Veränderung, wenn es um den bildsprachlichen Umgang mit dem Tod gehe. Medial gesehen werde der Tod oft mit zu viel Pathos aufgeladen. „Erschossen im Krimi, Leichen in der Kühlung und riesige Trauerfeiern – das hat wenig mit der Realität zu tun.“ Dazwischen liege so viel mehr.

Sterben ist seit Corona besonders einsam geworden

Hoffnung sieht er in der Popkultur, die mittlerweile ganz gute Wege finde, sich dieses komplexen Themas anzunehmen. So etwa die unlängst auf Netflix erschienene Serie „Das letzte Wort“, in der Anke Engelke eine Trauerrednerin spielt.

„Bei allem Humor, den da eine Anke mit reingebracht hat, trifft es die Serie ganz gut: Natürlich tut es weh und du sitzt manchmal heulend da, gleichzeitig sind da so viel mehr Gefühle involviert – Unverständnis, Abwehr – manchmal auch Wut“, sagt Wrede. Wichtig sei vor allem ein unverklärter Blick aufs Sterben; weder zu pathetisch noch allzu abstrakt.

Letzteres sei gerade in Zeiten von Corona zum Problem geworden, findet Wrede: „Wir bekommen medial gerade so viel vom Tod mit, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr, und doch bleiben die Zahlen der Coronatoten für die meisten völlig abstrakt.“ Bei all den Plänen und Maßnahmen rund um die Pandemie werde der Tod ausgeklammert, sagt der Bestatter.

Das Sterben sei etwas zutiefst Einsames geworden genauso wie das Trauern um Verstorbene. Denn der Besuch von Angehörigen in Pflegeheimen und Krankenhäusern ist immer noch stark eingeschränkt, die Teilnahme an Trauerfeiern je nach Bundesland limitiert.

„Nicht zu wissen, wie unsere Liebsten gestorben sind, ob sie gelitten haben oder nicht, das beschäftigt viele meiner Kunden. Hinzu kommt ein schlechtes Gewissen, nicht da gewesen sein zu können, sich nicht richtig verabschiedet zu haben.“ Wie groß das Trauma ist, das dadurch entsteht, lässt sich erst mit der Zeit sagen. Klar ist für Wrede, dass es Teil unserer Trauerkultur werden wird.

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