Neuer Berliner Häuserkampf: „Wir kaufen uns die Stadt zurück“
In Berlin-Kreuzberg soll ein Symbol des sozialen Wohnungsbaus an eine Investorengruppe verkauft werden. Nun regt sich Widerstand.
Zurück auf der Straße, zwischen Imbissen, Spielcasinos und Spätis, ist man wieder auf dem Boden der Tatsachen. Das Kottbusser Tor, das von der hier oberirdisch fahrenden U-Bahn durchschnitten wird, ist so großstädtisch wie überfordernd. Am frühen Abend wuseln Menschenmassen durcheinander, auf ihrem Weg in die umliegenden Kneipen, zum türkischen Gemüsestand, der bis spät in die Nacht geöffnet hat, oder einfach, weil sie immer hier sind, wie die Drogenabhängigen, die direkt hinter dem Stand ihren Stammplatz haben.
Mehr als 2.000 Straftaten hat die dauerpräsente Polizei hier im vergangenen Jahr registriert, vor allem Taschendiebstähle und Drogendelikte, aber auch mehr als 200 Raubüberfälle und Körperverletzungen. Es ist einer der gefährlichsten Orte der Stadt, sagt eine anonyme Polizeiquelle. Der Kotti, wie er von vielen dennoch liebevoll genannt wird, ist ein Symbol. Je nach Perspektive für eine verfehlte Stadt- oder Integrationspolitik oder für die Buntheit der Stadt und ein soziales Gefüge, das auch Außenseiter integriert.
In dem im Jahr 1974 fertiggestellten Kreuzberger Zentrum, damals vor allem von türkischen Gastarbeitern bezogen, leben heute in knapp 300 Wohnungen 1.200 Mieterinnen und Mieter aus dreißig Nationen; dazu kommen 90 Gewerbetreibende. Schmelztiegel sagen die einen, Kreuzberger Mischung die anderen. Die aber droht nun zu kippen.
Normaler Wahnsinn?
In der vergangenen Woche hat die 360 Personen zählende Eigentümergemeinschaft den Verkauf an einen Bieter namens Juwelus Investitions- und Beteiligungs GmbH & Co KG beschlossen. Der Verkaufspreis soll bei 60 Millionen Euro liegen. Es wäre ein ganz normaler Deal im ganz normalen Wahnsinn einer Stadt, in der nicht nur die Zahl der Bewohner in die Höhe schießt, sondern auch die Immobilienpreise explodieren. Einer aber will sich mit diesem Wahnsinn nicht abfinden. Sein Name ist Florian Schmidt, einst Stadtteilaktivist, seit Dezember grüner Baustadtrat im widerspenstigen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Schmidts Parole lautet: „Wir kaufen uns die Stadt zurück.“ Das Mittel dafür: das Vorkaufsrecht der Berliner Bezirksverwaltungen in Gebieten, in denen ein sogenannter Milieuschutz gilt. Wenn ein neuer Investor die Mieter verdrängen will, indem er Spielräume bei der Mieterhöhung ausnutzt, kann der Bezirk als Käufer einspringen und das Gebäude zum Beispiel an eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft übertragen. Das Kottbusser Tor liegt in einem solchen Milieuschutzgebiet, wie 45 Prozent der 280.000 Wohnungen des Bezirks.
Der grüne Stadtrat weiß mit der Gewobag eine der sechs Berliner Wohnungsbaugesellschaften an seiner Seite, die auf den Ankauf von Wohnungen spezialisiert ist. Bis 2025 will Berlin die Zahl der landeseigenen Wohnungen von derzeit 300.000 auf 400.000 erhöhen. 30.000 Wohnungen sollen bis 2021 neu gebaut werden, so steht es im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats. Der Rest wird gekauft. Das Mittel des Vorkaufsrechts solle „verstärkt“ genutzt werden, heißt es auch im Koalitionsvertrag. Die linke Bausenatorin Katrin Lompscher unterstützt diese Politik, ebenso der SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen.
Beim Kottbusser Tor hat die Gewobag mitgeboten, bestätigte eine Sprecherin der taz. Über den gebotenen Preis will sie nichts sagen. Florian Schmidt sagt: „Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen.“ Angeblich habe die Gewobag nur 1 Million Euro weniger geboten als der Käufer. Wenn der Kaufvertrag Mitte April unterschrieben wird, kann Schmidt seinen Trumpf aus dem Ärmel zaubern. „Dann machen wir unser Recht geltend, das Haus als Bezirk zu kaufen.“ Zwei Monate hat er dann dafür Zeit. Für ihn ist klar: „Wir machen am Kotti ein Modellprojekt des Vorkaufs in Berlin.“
Bereits dreimal hat Friedrichshain-Kreuzberg von diesem Recht Gebrauch gemacht. Altbauten, einige Dutzend Wohnungen. Das Kottbusser Tor, da hat Florian Schmidt recht, wäre eine größere Nummer. Hier hatte in den siebziger Jahren der flächendeckende Abriss von Altbauten durch den Westberliner SPD-Senat begonnen. Und hier endete diese Kahlschlagsanierung auch am Widerstand der Bewohner. Den Investoren hatten Rio Reiser und die Scherben damals den Song „Das ist unser Haus!“ entgegengeschmettert. „Schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus“, hieß es weiter – gemeint waren die Bauherren des Zentrums Kreuzberg.
Aber um klare Aussagen ist auch er nicht verlegen. In den sozialen Netzwerken hat er den Verkauf des Kreuzberger Zentrums mit den Worten kommentiert: „Wenn sich da mal nicht jemand verspekuliert hat.“ Für solche Worte bekommt Schmidt derzeit viel Beifall. Seit dem Scheitern des ehemaligen Staatssekretärs für Wohnen, Andrej Holm, ist der Kreuzberger Baustadtrat so etwas wie die personifizierte Hoffnung auf eine Wende in der Berliner Wohnungspolitik. Ein Nutzer hielte das für „weit mehr als ein Signal in den Immo-Markt. Es könnte zum Wendepunkt werden.“
Doch eine Frage ist bislang ungeklärt. Zu welchem Preis darf die öffentliche Hand einem Investor ein Gebäude vor der Nase wegschnappen? Gerade erst hat der Bezirk Tempelhof-Schöneberg einen Prozess verloren, weil er den Verkauf von 48 Wohnungen durch die Bundesanstalt für Immobilienwirtschaft (Bima) gestoppt hat. Die Bima hatte die Häuser für 7,8 Millionen Euro an einen Investor verkauft. Zu viel, fand der Bezirk und ließ den Verkehrswert auf 6,35 Millionen Euro schätzen. Zu Unrecht, befand das Landgericht Berlin. Der Kaufpreis übersteige den Verkehrswert nur um 23,41 Prozent – dies sei als Ausdruck des Marktgeschehens vertretbar. Diesen Mehrpreis hätte laut Gericht auch die mitbietende Gewobag aufbringen können.
Florian Schmidt will sich von diesem Rückschlag nicht entmutigen lassen, auch wenn er weiß, dass der Kaufpreis zur Schlüsselfrage beim „Rückkauf der Stadt“ werden wird. Sollte den Bezirken auch künftig versagt werden, Objekte zum Verkehrswert zu übernehmen, bliebe ihnen nichts anders übrig, als den verlangten Preis zu zahlen und damit die Kosten für Wohnraum mit nach oben zu treiben.
Im Grunde hat die Stadt das Ding schon ein paar Mal gekauft
Beim Kreuzberger Zentrum wäre das besonders absurd. Finanziert wurde es mit Krediten wohlhabender Privatpersonen, die durch das sogenannte Berlinhilfegesetz mit großzügigen Steuerabschreibungen belohnt wurden. Hinzu kamen die üppigen Förderungen für den sozialen Wohnungsbau. Bereits in den Siebzigern stand der Komplex zweimal vor der Insolvenz. Der Brückengang über der Adalbertstraße war baufällig, die meisten Läden standen leer, der Spielplatz auf dem Parkhausdach war demoliert, in den Unterführungen und verschachtelten Treppengängen verrichteten Drogenabhängige und Alkoholiker ihre Notdurft. Das Zentrum Kreuzberg wurde für viele zum Ghetto, das gesprengt gehörte.
Im Jahr 2004 folgte die nächste Beinaheinsolvenz. Damals sollten die Fördermittel des sozialen Wohnungsbaus auslaufen. Statt die Darlehen zurückzufordern, verzichtete die landeseigene Investitionsbank Berlin für weitere zehn Jahre. Jahr für Jahr verliert die öffentliche Hand Millionen, doch das Objekt ist immer noch mit mehr als 40 Millionen Euro verschuldet.
Im Grunde hat der Staat das Ding schon ein paar Mal gekauft – so sehen es Ryan Harty und Marie Schubenz, die dem im Dezember neu gegründeten Mieterrat angehören. Sie sitzen in Möbel Olfe, einer großräumigen Bar, deren grüne Leuchtbuchstaben auf dem Dach des Zentrums prangen. „Der Senat sollte nicht mehr zahlen müssen als die Schulden“, sagt Schubenz, eine Frau mit roten Locken und schwarzer Lederjacke.
Soweit die politische Sicht. Als Mieter haben sie aber vor allem Sorge wegen der Investoren. Noch zahlen sie im Durchschnitt knapp 6 Euro pro Quadratmeter kalt. Wer hinter der höchstbietenden Juwelus steckt, ist nicht bekannt, auch deren Absichten sind unklar. Sie hoffen deshalb ebenfalls auf das Vorkaufsrecht. Für den 33-jährigen Harty, der bereits seit neun Jahren ganz oben über Möbel Olfe wohnt, ist die „Dorfgemeinschaft“ in Gefahr. Bei allen Problemen des Platzes, das Miteinander der Bewohner und Gewerbetreibenden, so unterschiedlich sie auch sind, funktioniere gut – „auch wenn es manchmal eine hohe Toleranzschwelle braucht“, wie Harty sagt.
Laut sein für die Heimat
„Wir müssen jetzt alle zusammenhalten“, flüstert eine ältere Deutsche ihrem türkischen Nachbarn zu. Wie 50 weitere Mieter und Gewerbetreibende sind sie am Dienstagabend in die Vierte Welt gekommen, einem Kunstraum auf der Galerie im ersten Stock – zur ersten Bewohnerversammlung, mit der der Mieterrat über die Verkaufspläne informiert.
Ercan Yasaroglu, Betreiber des Café Kotti, übersetzt die Infos über Milieuschutz, Vorkaufsrecht und Mietobergrenzen im sozialen Wohnungsbau ins Türkische. Als die anschließende Diskussion über Gegenwehr, die erste Demo am kommenden Samstag und Transparente am Haus nicht so richtig in Schwung kommt, ist er es, der den Widerstandsgeist hochhält: „Wir werden nicht leise sein, sondern laut. Das ist unsere Heimat.“
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