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Neue Studie von UN-OrganisationVersteckte Kosten der Ernährung

300 Milliarden Dollar: Soviel kosten laut einer Studie Übergewicht, Überdüngung, Klimagase und andere Folgen unserer Ernährung Deutschland pro Jahr.

Der Versuch, Werbung für Lebensmittel mit viel Zucker oder Salz einzuschränken, wird blockiert Foto: Thomas Trutschel/photothek.de/imago

Berlin taz | Das Ernährungs- und Landwirtschaftssystem in Deutschland verursacht einer neuen Studie zufolge „versteckte Kosten“ in Höhe von ungefähr 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Zum Beispiel durch Übergewicht bedingte Krankheiten, durch zu viel Stickstoffdünger verschmutztes Grundwasser und durch Treib­haus­gase aus der Tierhaltung bedingte Klimafolgen hätten 2020 Schäden im Wert von 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Folge gehabt, heißt es in dem am Montag von der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung FAO veröffentlichten Bericht. Weltweit liege der Betrag bei mindestens 10 Billionen Dollar und fast 10 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Die Studie über Schäden an Umwelt und Bevölkerung könnte die Debatte über strengere Gesetze für die Land- und Ernährungswirtschaft befeuern. Die FAO nannte als Hebel, die Regierungen ansetzen könnten, zum Beispiel Steuern, Subventionen und Regulierung. In Deutschland etwa hat Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) vorgeschlagen, die Werbung für Lebensmittel mit viel Fett, Zucker und/oder Salz einzuschränken, was der Koalitionspartner FDP aber bislang verhindert. „Ich hoffe, dass dieser Bericht allen Partnern – von politischen Entscheidungsträgern und Akteuren des Privatsektors bis hin zu Forschern und Verbrauchern – als Aufruf zum Handeln dient“, sagte FAO-Generaldirektor Qu Dongyu. Die Schätzungen würden bestätigt durch frühere Studien mit ähnlichen Ergebnissen. Mithilfe des UN-Berichts ließen sich die Kosten erstmals auf Länderebene vergleichen.

Die AutorInnen schätzen, dass die mit Abstand größten versteckten Kosten – global mehr als 70 Prozent – durch ungesunde Ernährung mit einem hohen Anteil an stark verarbeiteten Lebensmitteln, Fett und Zucker verursacht werden. Denn so eine Ernährungsweise führe zu Fettleibigkeit und zu nicht übertragbaren Krankheiten wie Diabetes und damit zu Verlusten bei der Arbeitsproduktivität. „Diese Verluste sind in Ländern mit hohem und oberem mittlerem Einkommen besonders hoch“, so die Studie.

In Deutschland würden sie knapp 91 Prozent der gesamten Kosten betragen. Der Rest wurde laut den Angaben beinahe ausschließlich durch Umweltbelastungen verursacht, vor allem durch Stickstoffemissionen, aber auch durch Treibhausgase und indem artenreicheres Land umgebrochen wird, beispielsweise zu Äckern.

Umweltschützer fordern, die Mehrwertsteuer zum Bei­spiel auf Gemüse zu streichen

Die Kosten könnten den AutorInnen zufolge in Wirklichkeit sogar noch höher sein. Denn der Bericht konzentriert sich wegen teils fehlender Daten auf die „konservativeren“ Schätzungen.

Die Umweltorganisation WWF Deutschland forderte Konsequenzen aus dem Report. „Im ersten Schritt sollte die Bundesregierung umgehend die Mehrwertsteuer auf gesunde und nachhaltige Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte streichen“, sagte Tanja Plötz, WWF-Expertin für nachhaltige internationale Ernährungssysteme. Nötig sei auch eine Nachhaltigkeitssteuer für Nahrungsmittel. Außerdem solle Özdemir die vorgeschlagenen Werbeverbote für ungesundes Essen durchsetzen.

Der Lebensmittelverband, der alle Bereiche der deutschen Nahrungsmittelwirtschaft vertritt, wollte sich zunächst nicht zu der Studie äußern. Der Bauernverband teilte auf taz-Anfrage mit: „Die deutsche Landwirtschaft ist beim Klimaschutz auf dem richtigen Weg.“

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die UN nahm bereits vor Jahren Stellung zu Ernährung und Landwirtschaft und empfahl eine pflanzenbasierte Ernährung. Hier ein aktueller Bericht:



    "New U.N. Report: Shifting to Plant-Based Diets Can Help Mitigate Climate Change



    Shifting diets from meat and other animal products to plant-based diets has a high potential for reducing carbon footprints and mitigating climate change, as well as improving human health, according to Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change, a new report from the United Nations’ Intergovernmental Panel on Climate Change ..."



    www.pcrm.org/news/...ate-climate-change

  • Und eine weitere neue Gefahr droht der Ernährungsbranche:

    www.tagesschau.de/...irtschaft-100.html

  • Vor allem entsteht auch der Kostenfaktor "geringere Lebenserwartung", verbunden mit einem Verlust an Lebensqualität besonders im Alter aufgrund zusätzlicher Krankheiten.



    Eine Ursache der gesamten Problematik sehe ich in einer Falschbelastung durch die Krankenkassenbeiträge. Diese sollten zu 100 Prozent von den Arbeitgebern bezahlt werden, gestaffelt nach der Schädlichkeit der Produkte und der Schädlichkeit der Arbeitsbedingungen, so daß diese Beiträge von "minimal" bis "unbezahlbar" reichen.

    • @wxyz:

      Weshalb sollte der Arbeitgeber meine Sünden, die ich in meiner privaten Zeit begehe, mitfinanzieren ?

  • Dem Rechenweg zur Nachhaltigkeitssteuer zittere ich schon angespannt entgegen. Der Importapfel im Herbst mit 15% Zuschlag, im Frühjahr dann weniger Zuschlag, oder der heimische Apfel wegen der Lagerkühlung mit Zuschlag. Die Milch im Sommer mit wenig Zuschlag, im Winter mehr. Importmilch mal so oder so. Oder alles über einen Kamm geschoren. Dann ist es nur teurer und nicht "intelligent" gelenkt. Aber wichtig sind noch ein paar tausend Kontrolleure, damit es genau und gerecht wird. :-)

  • "Nötig sei auch eine Nachhaltigkeitssteuer für Nahrungsmittel."

    Davon halte ich am meisten. Verursacherprinzip nennt sich sowas.

  • Man kann die MWSt auf Obst und Gemüse streichen, aber es wird kein Apfel oder Brokkoli mehr gekauft, weil er temporär, bis zu Ausnutzung der Preislücke durch die Anbieter, ca 7% weniger kostet.