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Neue Richtlinien von Amazon StudiosEin Möchtegern-Fortschritt

Amazon Studios führt neue Diversity-Richtlinien ein. Sie muten fortschrittlich an, doch eigentlich wird die Schauspielerei damit überflüssig.

Wer darf wen spielen? Schauspielerin Marion Cotillard in der Amazon-Produktion „Annette“ von 2021 Foto: Amazon Studios/The Hollywood Archive/imago

Wenn man in Zukunft von Amazon produzierte Serien und Filme anschaut, dann wird man dort besonders „authentische Geschichten“ zu sehen bekommen. Das jedenfalls verspricht Amazon Studios, das sich Mitte Juni neue „Inklusionsrichtlinien“ gegeben hat.

Die sollen nicht nur regeln, wer vor und hinter der Kamera steht (Quoten für Geschlecht und Herkunft), sondern auch, welche Schau­spie­le­r:in­nen welche Rollen spielen dürfen. In den Richtlinien hießt es: „Es sollen nur noch Schauspieler engagiert werden, deren Identität (Geschlecht, Geschlechtsidentität, Nationalität, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung) mit den Figuren, die sie spielen, übereinstimmt.“

Wie soll so etwas überprüft werden? Wird man Nachweise verlangen, die belegen, dass eine Schauspielerin auch wirklich lesbisch ist wie die Rolle, die sie spielen soll? Was ist mit all den ungeouteten Schauspielerinnen? Werden sie auf diese Weise indirekt zum öffentlichen Outing gezwungen, weil sie ansonsten keine Rollen annehmen können, die nicht ihrer Identität entsprechen?

Amazon Studios behauptet, mit den Richtlinien „für Diversität, Inklusion und Gerechtigkeit“ für die eigenen Inhalte einzutreten. Da kümmert sich endlich mal eine Produktionsgesellschaft um all die Unterdrückten. Ganz großes Kino. Doch im Grunde fordern sie die Abschaffung der Schauspielerei.

Keine Ahnung vom Beruf

Wer genau hinsieht, erkennt auch, dass die Verantwortlichen dieser Diversityregeln schlicht keine Ahnung von Schauspielerei haben. Nicht mit der Rolle übereinzustimmen, ist nämlich möglich: Ein Mörder muss nicht von einem Mörder gespielt werden. Eine Mutter kann von einer kinderlosen Schauspielerin verkörpert werden. Und ein homosexueller Schauspieler kann eben auch die Rolle eines Heterosexuellen übernehmen. Das ist Schauspielerei.

In dem Manifest #ActOut, das im Februar von 185 LGBT-Schauspieler:innen veröffentlicht wurde, wird genau mit der von Amazon als Diversityrichtlinie verkauften Annahme aufgeräumt: „Bislang wird behauptet, dass, wenn wir gewisse Facetten unserer Identität, nämlich unsere sexuelle sowie Geschlechts­identität, offenlegten, wir mit einem Mal bestimmte Figuren und Beziehungen nicht mehr darstellen könnten.“

Das Manifest von #ActOut, war mutig, war progressiv. Die Richtlinien von Amazon Studios hingegen sind ein ärmlicher Versuch, Fortschritt zu demonstrieren.

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18 Kommentare

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  • Dasselbe in Prosa. - Unglaublich!



    www.zeit.de/2020/0...luechtlinge-mexiko

  • Tja, oft genug von Aktivisten und ähnlichen Menschen - privaten Bloggern, denen, die am lautesten schrien - gefordert und jetzt umgesetzt. Wer vorher gemeckert hat, dass ein Schauspieler trotz seiner Rolle nicht trans, nicht homosexuell, nicht einer bestimmten Ethnie zugehörig war, der darf jetzt nicht meckern. Irgendwann darf jeder nur noch sich selbst ziehen. Oder Amazon Studios steht halt alleine da. Das sehe ich aber im aktuellen Debattenklima eher nicht.

  • Mist.

    Jetzt kann ich nur noch alte weiße Cis-Männer spielen.

    • @Jim Hawkins:

      Ganz so einfach ist es ja nicht. Nationalität, sexuelle Orientierung und Behinderung spielen auch eine Rolle. Maßen Sie sich mal nicht zu viele Privilegien an. :)

  • taz: "Amazon Studios führt neue Diversity-Richtlinien ein. Sie muten fortschrittlich an, doch eigentlich wird die Schauspielerei damit überflüssig."

    Schauspielerei bedeutet ja, dass man etwas darstellt, was man im richtigen Leben gar nicht ist. Also wie der Amazon-Chef Jeff Bezos, der ja gerne den Gutmenschen und Klimaschützer spielt, der aber dann doch lieber mit einer US-amerikanischen Trägerrakete (New Shepard) herumfliegt, um damit das Klima noch mehr zu belasten.

    Die Zeiten, wo in Filmen auch noch echte humanoide Schauspieler eine "Rolle" dargestellt haben, sind ohnehin bald vorbei. Die Technik wird immer besser, da benötigt man demnächst keine echten Schauspieler mehr - die mit ihrem Lebensstil oftmals eine Dekadenz zur "Schau stellen", die im 21. Jahrhundert ohnehin nur noch antiquiert und abstoßend ist.

    Amazon ist und bleibt halt Amazon, und bei Amazon geht es nur darum, noch mehr Geld zu "scheffeln". Jeff Bezos soll laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes ein Vermögen von 200 Milliarden US-Dollar besitzen. Wenn Jeff Bezos davon nur einen Teil für wirklich sinnvolle Projekte einsetzen würde, dann wäre er wirklich ein Gutmensch im positiven Sinn.

  • das ist eine logische Konsequenz einer ideologisierten Diskussion.



    Es wird nicht nur die gute Seite umgesetzt, mehr Rücksicht und Respekt sondern auch die negative, das dogmatische und absurde.



    Letztlich ist es eine schwarz/weiß Diskussion, die auch diese absurden Folgen nach sich zieht, weil die Welt eben nicht nur schwarz/weiß ist....

  • Der beste Trick des Teufels war es schon immer so zu tun, als würde es ihn nicht geben. Wer glaubt, Amazon und seine Freunde hätten ein Gewissen, das über Marketingstrategien hinaus geht?

  • Es mag jetzt komisch klingen, aber ich kann es in der Regel spüren, ob ein Schauspieler homosexuell ist oder es nur spielt. Gespielt ist es natürlich auch nett, aber es hat dann halt schon etwas von einer Hosenrolle. Es erinnert an die Zeiten, als Frauenrollen von Männern gespielt werden mussten. Das ist sicherlich große Kunst, aber nichts davon kann eine echte Frau auf der Bühne toppen. Also ja, ich finde die Regeln gut, es muss ja nicht jeder Sender/Streamingdienst übernehmen.

    • @hedele:

      "Es mag jetzt komisch klingen, aber ich kann es in der Regel spüren, ob ein Schauspieler homosexuell ist oder es nur spielt."



      Das klingt in der Tat komisch. Ein homosexueller Schauspieler, der sich nicht geoutet hat, fällt hier in welche Kategorie?

    • @hedele:

      Ach herrje! Wie ganz genau ist sie denn, die „echte Frau“? Genauer: Wie muss sie sein, damit Sie sie als solche anerkennen? Und was, wenn diese „echte Frau“ eine Frau spielen muss, die laut Story einen Mann spielen muss um zu überleben? Kann es für eine solche Frau ein Happyend geben? Und hat nicht grade das Kino sich viele Jahre lang bemüht uns Frauen beizubringen, dass wir alles sein können, was wir sein wollen? Gilt das jetzt plötzlich gar nichts mehr?

    • @hedele:

      Woher wissen Sie dass ihr Gespür richtig liegt? Kennen Sie alle Schauspieler persönlich? Dieser Kommentar stellt mich schon vor einige Fragen.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Erinnert mich an den Zauberlehrling. Die Geister, die ich rief...

  • Es ist doch nur die Institutionalisierung von Forderungen. Aus welchen Reihen kam denn immer Kritik, wenn Heterosexuelle homosexuelle Rollen gespielt haben? Was Amazon dann jetzt macht ist doch letztlich nur das Aufgreifen dieser Kritik. Aber vielleicht wird jetzt einigen deutlich, wie überzogen teilweise die Kritik war.

  • Amazon produziert gerade eine neue HERR DER RINGE Serie.



    Da darf nur der einen Hobbit spielen, der ein Hobbit ist? ;)



    Solche Diversity-Regelwerke sind Blödsinn und selbstkastrierend.



    Der Cast hat sich nach dem Drehbuch zu richten, die Crew wird nach Fähigkeit, Verfügbarkeit und Preis ausgesucht. Schauspieler natürlich auch.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Also wie weit geht das dann? Dürfen nur Opfer von Vergewaltigungen solche spielen? Dürfen nur Leute mit Schizophrenie und Autismus solche spielen? Wozu dann Schauspieler? Und geht das ganze nur in eine Richtung d.h. Weiße dürfen keine POC Rollen besetzen aber POC dürfen weiße Rollen besetzen? Also ein schwarzer Napoleon ist okay, aber ein weißer Saladin nicht?

  • So viele Schauspieler gibt's gar nicht. Ich denke da an so historisierende Schlachtenschinken, wo die Chinesen gegen die Mongolen kämpfen und dann die Mongolen mangels mongolischer Schauspieler von... was weiß ich... Vietnamesen und Thais gespielt wurden, und Japanern natürlich, weil die halt keine passenden Schauspieler haben und wir Westler die sowieso nicht unterscheiden können. Also, denken die Filmemacher jedenfalls.

    • @Cededa Trpimirović:

      Genau das Problem hat hier die Oper "Nixon in China", bei der ein ganzer Chor von Chinesen auftritt :



      twitter.com/JulesC...402746216551792640

      Diese Oper wird wohl nie wieder jemand aufführen können. Zumindest nicht außerhalb Chinas.

  • Eine clevere Idee der Amazon Studios. Denn dadurch werden Schauspieler gezwungen, nicht nur während des Drehs, sondern auch davor und danach zu schauspielern. Dadurch fühlen sie sich noch mehr in ihre Rollen rein, und werden auch insgesamt zu noch besseren Schauspielern.



    Wieder mal hat Amazon nur das Beste für Alle im Sinn.