Neue Medizin-Hochschule: Osnabrück will sich selbst heilen
Stadt und Landkreis Osnabrück wollen kommunal getragene Hochschule für Humanmedizin aufbauen. Niedersachsens Landespolitik hatte das stets abgelehnt.

Diese Bedarfe sind massiv unter Druck. Nicht nur, dass es an Hausärzten fehlt. Die Niels-Stensen-Kliniken, der größte Gesundheitsverbund im Raum Osnabrück-Emsland, dünnt sich kontinuierlich aus, was Kebschulls Landbevölkerung massiv beunruhigt, vom hitzigen Bürgergespräch bis zur Demo.
Ende des Sommers schließt der Niels-Stensen-Verbund sein Krankenhaus St. Raphael Ostercappeln. Die Gynäkologie und Geburtshilfe seines Christlichen Klinikums Melle ist schon dicht. Sein Marienhospital Ankum-Bersenbrück ist zum regionalen Gesundheitszentrum degradiert.
Zehn Jahre bis zur Vollauslastung
Universität und Hochschule Osnabrück sind nicht unerfahren in Medizinthemen. Die Universität lehrt nicht zuletzt Gesundheitswissenschaften und Psychologische Psychotherapie. Der Fach-Fächer der Hochschule reicht von der Hebammenwissenschaft bis zur Ergotherapie.
Zehn Millionen Euro wollen Stadt und Landkreis investieren, als Anschub. Zehn Jahre könnten von der Initiierungsphase bis zur „Steady State“-Vollauslastung vergehen. Am Ende soll sich die Neugründung, geplant für bis zu 500 Studierende, eigenständig tragen, durch Drittmittel, nicht zuletzt über Studiengebühren. Geht nichts schief, geht der Lehrbetrieb zum Wintersemester 2027 los, mit 50 Studierenden.
Osnabrück hatte sich jahrelang beim Land Niedersachsen um eine medizinische Fakultät beworben – vergeblich. „Unsere Initiative versteht sich ausdrücklich nicht als Konkurrenz zur staatlichen Hochschulpolitik, sondern als notwendige Ergänzung“, schreiben Arne Köhler und Henning Müller-Detert auf Fragen der taz, Sprecher der Stadt beziehungsweise des Landkreises Osnabrück. „Die Versorgungslage duldet keinen Aufschub.“
Noch nicht in trockenen Tüchern
„Uns ist bewusst, dass zehn Millionen Euro knapp erscheinen“, so Köhler und Müller-Detert. „Umso wichtiger sind schlanke Strukturen, starke regionale Partnerschaften und die Nutzung vorhandener Infrastruktur. Wir setzen auf Synergien statt teure Neuinvestitionen“. Welche das sein könnten, sagen sie nicht.
Und wer übernimmt die Kosten, wenn das Modell scheitert? „Die Nachfrage nach Medizinstudienplätzen ist seit Jahren ungebrochen hoch“, so die Sprecher der Kommunen. Man gehe daher davon aus, „dass die Hochschule voll ausgelastet sein wird“. Das sei „Voraussetzung für das Finanzmodell“.
Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern. Die Zustimmung der politischen Gremien in Stadt und Landkreis Osnabrück steht noch aus. Die Verwaltungen von Stadt und Landkreis seien allerdings „sehr optimistisch“, dass der Rat der Stadt und der Kreistag die Grundsatzbeschlüsse „mit großer Mehrheit“ fassen. In wenigen Wochen ist es so weit.
„Grundsätzlich begrüße ich die Pläne“, schreibt Volker Bajus, Osnabrücker Landtagsabgeordneter und parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, der taz. „Der Ärztemangel ist in unserer Region bereits spürbar und das ist erst der Anfang.“
Gemeinden sollen bei Studiengebühren helfen
Aber, so Bajus: „Ich bin eigentlich gegen Studiengebühren. Deswegen ist die geplante privatwirtschaftliche Lösung für mich nur zweite Wahl.“ Vor 15 Jahren habe sich die damalige CDU/FDP-Regierung für Oldenburg als dritten staatlichen Medizinstudiengang entschieden. „Damit war der Zug für Osnabrück abgefahren.“ Ein vierter staatlicher Studiengang sei in Niedersachsen angesichts der schwierigen Finanzlage nicht drin. „Das können wir jetzt lange beklagen. Bringt nur nichts.“
Hoffnung mache, dass sich Kommunen, Firmen und Förderer mit Stipendien beteiligen. „Damit können Studierende nicht nur entlastet, sondern auch zum Bleiben in der Region verpflichtet werden.“ Das Modell: Ärztlich unterversorgte Gemeinden helfen Studierenden bei den Studiengebühren, dafür praktizieren die neuen Ärzte eine Weile dort.
Der Osnabrücker Vorstoß weckt auch in Bremen Begehrlichkeiten. „Was Osnabrück heute macht, hätten wir in Bremen längst tun müssen“, schreibt Rainer Bensch, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Anfang Juni in einer Erklärung. „Dass Stadt und Landkreis Osnabrück jetzt sogar eine private medizinische Hochschule gründen, zeigt den Willen, Verantwortung zu übernehmen. In Bremen hingegen herrscht seit Jahren Stillstand.“
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