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Neue Entwicklungen in documenta-DebatteFalsch gesetzte Fronten

Die documenta-Debatte weicht ihrem Thema aus. Statt um Antisemitismus geht es um Partei- und Personalpolitik.

Berechtigte Frage: „Wo bleibt die Antisemitismus-Kritik?“, heißt es im Kasseler Hallenbad-Ost Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi

Es geht in der Antisemitismusdebatte um die documenta fifteen längst nicht nur um Bilder. Das große, schon bald nach seiner Installation auf dem Kasseler Friedrichsplatz wieder deinstallierte Agit-Prop-Banner des Kollektivs Taring Padi mit offen antisemitischen Motiven ist bloß das Anzeichen einer kulturpolitischen Struktur hinter der documenta fifteen. Und diese müsste nun eigentlich diskutiert werden.

Doch so richtig vorrücken mag die Diskussion nicht. Stattdessen verhärten sich die (auch parteipolitischen) Fronten in einem ursprünglich von documenta-Leitung und Politik bekundeten Versuch, für Aufklärung zu sorgen. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, kündigte sein Engagement für die documenta fifteen in Kassel als externer Experte Anfang der Woche auf, weil er bei der documenta-Leitung keinen „ernsthaften Willen“ sah, „die Vorgänge aufzuarbeiten und in einen ehrlichen Dialog zu treten“.

Die sonst recht wortkarg gebliebene Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH Sabine Schormann reagierte am Dienstag mit einer Defensive: „Diverse Darstellungen von Herrn Professor Mendel“ können „von uns nicht nachvollzogen werden“. Und sie führte weiter aus, viele der documenta-Künstler:innen hätten eine externe Sichtung ihrer Kunstwerke abgelehnt und sich unter Generalverdacht gestellt gesehen.

Es ist nötig, Konsequenzen zu ziehen

Auf Schormanns weitere Darstellung zu den Abläufen seit den schon im Januar aufgekommenden Antisemitismusvorwürfen reagierte wiederum die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien Claudia Roth (Grüne) am Donnerstag „sehr erstaunt und befremdet“. Und auch eine Aufklärung, wie es zur Aufstellung des antisemitischen Kunstwerks bei der Weltkunstschau in Kassel kommen konnte, stehe weiter aus. Gleiches gelte für die Notwendigkeit, Konsequenzen zu ziehen. „Es ist zunehmend fraglich, ob die documenta-Generaldirektorin das leisten kann oder will“, so ein Sprecher Roths.

Solche Worte kommen einer Rücktrittsforderung an Schormann gleich. Diese war am Donnerstagabend seitens der FDP und der AfD im Hessischen Landtag dann auch offen ausgesprochen worden. Man beschäftigt sich jetzt also offenbar in dieser Debatte mit Parteien- und Personalpolitik.

Dabei muss die Diskussion tiefer gehen. Denn es geht um das Erkennen von Antisemitismus und Rassismus im ganz praktischen Kulturbetrieb, auf seinen vielen organisatorischen Ebenen. Wie wurden denn genau inhaltliche Entscheidungen zur documenta fifteen getroffen, und was hat dazu beigetragen, dass man nicht gesehen hat, was eigentlich sichtbar ist?

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30 Kommentare

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    Die Moderation

  • Der braune Sumpf bei uns ist derselbe wie in den 30ern. Nichts weiter. Der braune Kulturbetrieb bei uns ist nur der Indikator dafür.....Nur, es bleibt einfach rätselhaft, was geht in Deutschen vor, die über jene wenigen überlebenden "Siedler" Europas, die den Gaskammern entkommen konnten heute urteilen, sie würden in der Westbak illegal siedeln. Ich frage diese Leute mal ganz direkt, wie schaffen Sie es, wie bringen Sie es nur fertig, nach so was so zu urteilen?? www.yadvashem.org/...locaust/about.html

  • Es geht um die Positionierung zu den illegalen Siedlungen im Westjordanland, dass mittlerweile 8 % der israelischen Bevölkerung dort illegal wohnen und es Bestrebungen gibt , das Westjordanland in toto zu annektieren.

    Die Antisemiten in der Opposition dagegen werden instrumentalisiert um die Opposition dagegen als ganzes zu diskreditieren.

    • @Rudolf Fissner:

      Glauben sie mir auf der documenta geht es praktisch nirgends um Israel, nicht mal im (zurecht) kritisierten und entfernen Werk geht es um Israel.

    • @Rudolf Fissner:

      Das ist mit Abstand das schrägste, das Sie jemals geschrieben haben.

      Gleichzeitig offenbart es das zwanghafte, dass Sie dazu treibt, Israel einen rein zu würgen, scheißegal, ob es passt oder nicht.

      Ob es einen Zusammenhang gibt, oder wie eben hier, in keiner Weise.

      Das ist selbst für Sie ganz, ganz starker Tobak.

      • @Jim Hawkins:

        Natürlich gehts um diese Wurst.

        Es geht schon seit 70 Jahre im Nahostkonflikt um Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Und aktuell geht es um die Annexion des Westjordanlandes. ( www.deutschlandfun...ordanland-100.html )



        Genau das ist das Ziel rechter Nationalisten in Israel und der dortigen Regierung.

        Sie glauben doch selber nicht, dass die Linke, ob nun die israelische oder die deutsche Linke, die die illegalen Siedlungen und die Annexion palästinensischen Landes immer wieder anprangern, Israel vernichten will, wie Sie immer wieder beschwören.

        • @Rudolf Fissner:

          Und ich schlichtes Gemüt dachte, es geht um die documenta und um Antisemitismus.

          Danke für ihren beherzten Blick hinter die Kulissen.

          • @Jim Hawkins:

            Den Aspekt des Kolonialismus haben Sie doch bereits proaktiv eingebracht (siehe unten ihr Beitrag zum Globalen Süden). Sie hatten mit ihrer Kritik an den Begriff "Globaler Süden" als "völkisch" die Kolonialismusforschung in toto in die rechte Ecke gesteckt.

            Kolonialismus durch Israel bzw. die illegalen Aneignungen palästinensischer Siedlungsgebiete und die geplante Annexion des Westjordanlandes sind hier deshalb sehr wohl von Belang.

  • Ich hätte als Künstler aus dem "globalen Süden" auch keine Lust auf eine externe Sichtung meiner Werke auf politische Korrektheit, während einer laufenden Ausstellung. Schon gar nicht wo die Emotionen so hochkochen.

    • @Andreas J:

      Na, wer hätte darauf schon Lust?



      Aber darum geht nun mal nicht. Es geht darum, wie sich das Gastgeber und Hauptfinanzier der Ausstellung verhalten, angesichts des offensichtlichen Scheiterns der Selbstorganisation in Bezug auf Antisemitismus.

  • Nein, es geht nicht um das Erkennen von Antisemitismus und Rassismus im ganz praktischen Kulturbetrieb,

    Es geht um Kolonialismus der fremde Länder im realen Kulturbetrieb noch immer nach mitteleuropäischen Maßstaben verachtet. Die dort unten haben sich gefälligst die abendländische Hochkultur anzueignen.

    • @WernerS:

      Und deshalb ist Antisemitismus okay?!



      Wie schon öfters bemerkt: paternalistische Exotisierung ist auch sch*.



      Ich habe den Eindruck, dass einige sich mit Hilfe von postkolonialer Theorie, den "Antisemitismusballast" loswerden wollen. Wer den Juden den Holocaust nicht verzeihen kann, findet eben viele Wege.

  • es wird immer bizarrer. als künstlerin tät ich 'schland in zukunft meiden.

    • @christine rölke-sommer:

      Als auftretender Künstler in Kassel wär ich dort schon jetzt verschwunden.

    • @christine rölke-sommer:

      Ähhh, ja. Genau. Die Hauptleistragenden. Nicht etwa die von Antisemitismus betroffenen Juden. Zusätzlich zum sonstigen. Noch haben Synagogen Polizeischutz und keine Künstlerateliers.



      Nach den bekanntgewordenen Schulungsvideos, scheint man bei der documenta ja Antisemitismus als rechten Strohmann wahrzunehmen.

      • @Emre Toprak:

        "Noch haben Synagogen Polizeischutz und keine Künstlerateliers."



        in Kassel schon.

        • @christine rölke-sommer:

          Das stimmt halt nicht.

        • @christine rölke-sommer:

          Das ist einfach eine falsche Behauptung.



          Es gab Homophobie Attacken auf ein queeres Kollektiv. Dieses Kollektiv beschwerte sich, von der documenta Leitung nicht ausreichend Rückendeckung bekommen zu haben. Jetzt regelmäßigen Polizeischutz herbeizureden ist ziemlich fahrlässig. Und nach Halle zumal....

  • „Denn es geht um das Erkennen von Antisemitismus und Rassismus im ganz praktischen Kulturbetrieb, auf seinen vielen organisatorischen Ebenen.“

    Dazu nochmal Bayreuth, Barry Kosky hat es mit dem Holzhammer versucht



    www.br-klassik.de/...rie-kosky-100.html



    trotzdem will man es einfach nicht wahrhaben, während in Kassel wegen eines Werkes unter tausenden jeder Stein umdreht wird, feiern in Bayreuth jedes Jahr antisemitische Karikaturen eines ausgewiesenen Judenhassers unfröhliche Urständ. Und die ‚Elite‘ feiert das, am 25.07. ist es wieder so weit.

  • In der deutschen Kulturlandschaft gibt es einen weitgehenden Konsens dahingehend, dass BDS nicht diskriminiert werden darf und soll.

    Dass also eine antisemitische Bewegung auf die deutschen Bühnen und in die Ausstellungen gehört.

    Man muss nur ein- zweimal, mit der Maus klicken und erfährt dieses:

    "The current members of the BNC are:

    Council of National and Islamic Forces in Palestine"

    bdsmovement.net/bnc

    Und die Islamic Forces in Palastine sind diese hier:

    en.wikipedia.org/w...and_Islamic_Forces

    Dazu gehören:

    Fatah, Hamas, PFLP, Islamischer Jihad.

    Mit denen ist man dann also im selben Club. Und stört sich nicht am Terror, nicht am Antisemitismus, sondern faselt etwas von Meinungsfreiheit und dass im "Globalen Süden" die Sicht auf Israel eher eine finale ist.

    • @Jim Hawkins:

      "dass im "Globalen Süden" die Sicht auf Israel eher eine finale ist."

      Steile These! Überall wo Kolonialismus herrschte, die Länder sich bis heute noch nicht vollständig davon erholt haben, Wirtschaft und Politik sich in einem desolaten Zustand befinden, Menschen an Hunger verrecken und der Klimawandel für unerträgliche Zustände sorgt hat man eine "finale Sicht" auf Israel.

      Erklären Sie doch mal wie da die geistige Mechanik tickt, dass Sie zu so einem Urteil kommen?

    • @Jim Hawkins:

      Der "Globale Süden" ist für mich ein unsäglicher, ideologisch befrachteter Begriff: Einfach viele Länder in eine Schublade stecken und zum Opfer des "Globalen Nordens" zu erklären. Damit entmündigt man auch die Menschen selbst, die im "Globalen Süden" leben.

      • @resto:

        jau, wenn sie jetzt den „Wertewesten“ in Frage stellen, können wir gerne über bescheuerte Termini diskutieren.

        „Globaler Süden wird die Ländergruppe der sog. Entwicklungs- und Schwellenländer genannt. Es handelt sich um eine direkte Übersetzung von Global South, eines Begriffs, der Ende der 1980er Jahre vermutlich zuerst von der Weltbank in die entwicklungspolitische Debatte eingeführt wurde.



        Die Länder des Globalen Nordens stehen dagegen für die reichen Industrieländer. Der Begriff Nord/Süd wird somit abgelöst von seiner (relativen) geographischen Bedeutung verwendet und versteht sich als neutraler Begriff als Ersatz für die wertende Bezeichnung Entwicklungs- und Schwellenländer. Der Zusatz Global verdeutlicht einerseits diese nicht-geographische Bedeutung und steht neben Begriffen wie Globaler Wandel, Globale Entwicklung, Globalisierung etc. nicht mehr für eine nationalstaatliche, sondern für eine globale Perspektive.“ (Wikipedia)

      • @resto:

        Die Betroffenen in den Ländern werden das wohl kaum als Entmündigung bezeichnen. Höchstens die Oberschicht die sich gern von der Armut distanziert und von der neoliberalen Selbstverantwortung faseln um ihre Privilegien zu rechtfertigen. Die Umdeutung von Machtverhältnissen ändert nichts.

      • @resto:

        Da haben Sie natürlich Recht, ich wollte den Begriff nicht affirmativ verwenden.

        Ich halte ihn für völkisch, weil er alle gesellschaftlichen Gegensätze planiert und eine Identität als "Volk" konstruiert.

        Im guten alten schlechten antiimperialistischen Sinne.

        • @Jim Hawkins:

          „halte ihn für völkisch“ irgendwie was daherlabern geht „im guten alten schlechten (…)imperialistischen Sinne“ natürlich immer

          • @guzman:

            Unsachlich zu werden scheint mir ihre Hauptvorgehensweise zu sein.

        • @Jim Hawkins:

          ROFL. Das "Globaler Süden" ein völkischer Begriff sei, höre ich das erste mal von Ihnen. Wer außer ihnen sieht da "Volk". Und wie bezeichnet man die einzelnen Mitglieder dieses von ihnen neu entdeckten Volkes? Globaler? Südler? Klären Sie mich auf!

          • @Rudolf Fissner:

            Sie haben recht.

            Mein Kommentar war wohl ein Griff ins Klo.