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Neue CoronazahlenEnde der Gemütlichkeit

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

Pandemie: Schluss mit den Scheingefechten um Sperrstunden und Fußballspiele. Es wird wieder ernst. Und die Zeit drängt.

Fussballspiele müssen doch wieder ohne Zuschauer stattfinden? Foto: Marius Becker/dpa

M askenpflicht oder keine? Schulen auf oder Schulen zu? Sperrstunde – ja, nein, ein bisschen? Feiern, Auslandsreisen – überhaupt noch Reisen? Vor wenigen Wochen eigneten sich diese Fragen noch zum gepflegten Streit. Die Realität ist längst eine andere: Bei den Coronafällen haben wir es wieder mit explosionsartigen Anstieg zu tun. Und ja, die Lage ist ernst.

Mehr als 4.500 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden verzeichnete das Robert-Koch-Institut am Freitag. Eine Woche zuvor lag der Sieben-Tages-Durchschnitt bei rund 2.500. Und das war schon hoch. Bereits in der zweiten Oktoberhälfte wird die Zahl der täglichen Neuinfizierten vermutlich über 10.000 liegen. Denn anders als im Frühjahr, als die Politik auf die explodierenden Zahlen mit drastischen Mitteln reagierte und das öffentliche Leben in Deutschland weitgehend zum Erliegen brachte, sind solche Maßnahmen in den letzten Wochen ausgeblieben. Abgesehen von eindringlichen Warnungen von RKI-Chef Wieler und Kanzlerin Merkel, blieben umfassende Maßnahmen zu Kontaktbeschränkungen aus. Grundsätzliche Verhaltensänderung der Bürger:innen hat es seitdem aber nicht gegeben. Nur das hätte die Zahlen spürbar gesenkt.

Die Liste der Versäumnisse ist lang. Im Grunde war es schon ein Fehler, trotz niedriger Zahlen im Sommer Urlaubsreisen ins Ausland zuzulassen – ohne eine taugliche Strategie vorzuweisen, wie mit RückkehrerInnen umzugehen ist. Seit Mitte Juli steckt 1 Covid-19-Infizierter wieder mehr als 1 weiteren Menschen an, sprich: Seitdem haben wir es bereits mit exponentiellem Wachstum zu tun. Grund zur Panik bestand nur deswegen nicht, weil sich das meiste auf niedrigem Niveau abspielte.

Dabei hätte es einiges zu tun gegeben. Technische Lösungen etwa: Physiker der Bundeswehruniversität in München und an der TU in Berlin haben bereits im August nachgewiesen, dass mobile Luftreiniger mit Hepa-Filtern der Standards H13 oder H14 imstande sind, die Virenkonzentration in Innenräumen deutlich zu senken und damit auch das Ansteckungsrisiko. Der Einsatz dieser Geräte wäre vor allem für Schulklassen, Kitas, aber auch für Restaurants sinnvoll, wo im Herbst und Winter Dauerlüften nicht möglich ist. Doch während Schweden die Sommerferien nutzte und fast alle Klassenzimmer mit Filtersystemen ausgestattet hat, passierte in Deutschlands Schulen wenig. Auf die Frage, wie etwa die Schulverwaltung in Berlin die schulfreie Zeit für Vorkehrungen genutzt hat, lautet die Antwort: „Na, mit Ferien.“

Flächenbrand statt Hotstops

Stattdessen liefern sich Länderregierungen seit Wochen Scheingefechte um Zulassung von Zuschauern bei Fußballspielen etwa, der Einführung von früheren Sperrstunden in Kneipen oder innerdeutschen Quarantäneregeln. Im Unterschied zum Sommer haben wir es jetzt aber nicht nur mit einigen wenigen Hotspots zu tun, sondern mit einem Flächenbrand.

Umso verblüffender ist die leichtfertige Haltung einiger Experten, darunter der Bonner Virologe Hendrik Streek. Er verwirrt die Öffentlichkeit mit seinem Ansatz, auch hohe Meldezahlen in der Größenordnung von 20.000 seien akzetabel. Er begründet dies damit, dass sich zuletzt vor allem Jüngere infiziert haben, die sehr viel weniger medizinische Behandlung bräuchten. Dabei führen hohe Fallzahlen nur zu noch mehr Erkrankungen – das ist die Natur einer Pandemie. Davon werden dann auch viele auf der Intensivstation landen.

Warum warten, bis es so weit kommt? Soll doch jeder machen, wie es ihm beliebt – funktioniert leider nicht. Das ist eben das Wesen dieser Pandemie: Das leichtsinnige Verhalten eines Einzelnen gefährdet auch die anderen.

Auch das haben die vergangenen Wochen gezeigt: Appelle reichen nicht – zu viele scheren aus. Der Staat muss handeln, darf leichtsinniges Verhalten nicht tolerieren. Und das heißt leider auch: mehr härtere Maßnahmen.

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Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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9 Kommentare

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  • Richtiger Kommentar. Ich und andere haben wo es ging das Gespräch gesucht und darauf hingewiesen, welche Maßnahme wo wie wirkt, und dass es Corona gibt, und es nicht easy ist mangels Impfung oder sowas wie Tamiflu. Jetzt nehmen die Dinge ihren Lauf, die Ereignisse werden für sich sprechen. Dann schauen wir in drei Wochen wie es dann mit den Skeptikern aussieht.



    Übrigens, neulich kramten wieder welche die Zahlen von Schweden als gut heraus. Auf worldometer gibt es eine schöne Vergleichsfunktion für die G20, dort mal auf Fälle pro 100.000 Einwohner stellen und dann mal gucken. Wa.

  • Wir müssen aufpassen im meinem Freundeskreis haben sich viele mit Corona angesteckt. Bis dahin sollten wir auch Zuhause keine Party veranstalten und Sorge tragen das unsere Nachbarn sich auch an die Regeln halten.

  • Oh, ich wollte auf meinen eigenen Kommentar antworten.

    Da ging etwas durcheinander.

    • @Ku Wert:

      @kditd Ehe hier Kritik aufkommt, ich such mir die passenden R-Werte heraus.

      Die R-Werte stammen alle aus den Mittwochsberichten des RKI.

      Warum habe ich ausgerechnet die Mittwochsberichte genommen?

      In diesen Berichten stehen die "Erhebungen zu SARS-CoV-2-Labortestungen in Deutschland".

      Salopp die Anzahl der Tests.

  • Finde es auch traurig, daß die meisten Menschen nicht in der Lage sind, sich von selbst vernünftig zu verhalten. Der eigene Spaß und Konsum ist offenbar wichtiger als alles andere.

    Stimme zu, daß es härtere Vorgaben braucht, sonst war das, was wir im Frühjahr gesehen haben, nur ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was dann kommt.

    Ich bin vom Rest der Menschheit gerade nicht so begeistert, um es vorsichtig auszudrücken. Frage mich seit geraumer Zeit, ob ich überhaupt zur selben Spezies gehöre.

    • @kditd:

      Ehe hier Kritik aufkommt, ich such mir die passenden R-Werte heraus.

      Die R-Werte stammen alle aus den Mittwochsberichten des RKI.

      Warum habe ich ausgerechnet die Mittwochsberichte genommen?

      In diesen Berichten stehen die "Erhebungen zu SARS-CoV-2-Labortestungen in Deutschland".



      Salopp die Anzahl der Tests.

  • So schlimm die Aussagen im Text auch sind - sie sind leider richtig.



    Warum sind so viele Menschen mit Sinn und Verstand nicht zu erreichen?

  • Es wird auf härtere Maßnahmen hinauslaufen.



    Spätestens wenn sich mehr Ärzte und Pflegepersonal mit dem Virus infizieren, wirds (tod)ernst. In Tschechien, das von März bis Juni strenge Einschränkungen hatte, in den Sommermonaten aber die Zügel locker gelassen hat, explodieren gerade die Zahlen insgesamt und es sind akut über 2000 Ärzte/PflegerInnen erkrankt. Mit etwas Zeitverzögerung ist diese Entwicklung wohl auch in D zu erwarten. Es droht der nächste Lockdown.