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Netanjahu beantragt BegnadigungVerteidigen, was von Israels Demokratie noch übrig ist

Felix Wellisch

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Felix Wellisch

Israels Premierminister denkt offenbar, er stünde über dem Gesetz. Lässt sich Präsident Herzog darauf ein, begeht er einen irreparablen Fehler.

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, will Begnadigung Foto: Kay Nietfeld/dpa

B enjamin Netanjahu hält sich für wichtiger als das Gesetz. Anders ist sein Antrag auf Begnadigung im gegen ihn laufenden Korruptionsverfahren kaum zu verstehen. Das Vorgehen ist beispiellos. Begnadigungen wurden in der Geschichte Israels fast noch nie vor einer Verurteilung gewährt. Bei einer Ausnahme: Vor rund 40 Jahren hatten sich zwei angeklagte Geheimdienstmitarbeiter vor ihrer Begnadigung schuldig bekannt. Von einem solchen Eingeständnis aber ist in der Erklärung Netanjahus nichts zu finden.

Stattdessen stützt sie sich vor allem auf Argumente, die mit Recht wenig zu tun haben: Der Prozess müsse enden, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. Der Regierungschef müsse „alle seine Kraft, Energie und Zeit der Führung des Landes widmen“. US-Präsident Donald Trump hatte diesen Blick auf den Rechtsstaat schon im Oktober im israelischen Parlament auf den Punkt gebracht: „Zigarren und Champagner? Wen zum Teufel interessiert das?“

Die juristische Realität in dem schon seit 2020 laufenden Prozess aber ist: Netanjahu und seine Frau Sara sollen laut Anklage Geschenke im Wert von rund 200.000 Dollar erhalten haben – im Gegenzug für politische Gefallen.

Präsident Herzog sollte Netanjahus Gesuch ablehnen, will er verteidigen, was von Israels Demokratie noch übrig ist. Für eine Begnadigung spräche nur dann etwas, wäre sie an Bedingungen geknüpft: ein Schuldeingeständnis und Rücktritt nach mehr als 18 Jahren im Amt. Das könnten dem tief gespaltenen Land politische Veränderung bringen.

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Dass Netanjahu sich auf einen solchen Deal einlässt, ist unwahrscheinlich, auch weil der juristische Druck damit nicht enden würde: Es warten weitere Fragen mit Blick auf die Korruptionsaffäre „Katargate”, die sein Büro betrifft, sowie zur Verantwortung für das Versagen am 7. Oktober 2023. Weiterhin gilt zudem ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen des Vorwurfs, im Gazastreifen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortet zu haben.

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Felix Wellisch
Korrespondent
berichtet für die taz aus Israel und den palästinensischen Gebieten. Geboren 1989. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Jena, Dresden und Kairo studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Ernst Cramer & Teddy Kollek-Fellow.
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