NetBlocks-Gründer über Internet im Iran: „Es kommt zum Informationsvakuum“

In Iran hat das Regime den Zugang zum Internet eingeschränkt. Alp Toker erklärt, wie das funktioniert und welche Alternativen die Menschen haben.

In Berlin solidarisieren sich Demonstrierende mit den Protesten in Iran Foto: Florian Boillot

taz: Herr Toker, welche Möglichkeiten haben Staaten, wie momentan Iran, die das Internet blockieren wollen?

Alp Toker: Wichtig ist hier die Terminologie: In Iran sehen wir derzeit keine Blockade, sondern Internetunterbrechungen. Es gibt mehrere Optionen: Staaten können bestimme soziale Medien blockieren, etwa Whatsapp und Instagram. Das erfolgt am Gateway in Iran. Wenn eine solche zentrale Entscheidung getroffen wird, sind diese Plattformen bei keinem Internet­anbieter im Land mehr zugänglich.

ist ein britischer Softwareentwickler und Gründer von NetBlocks.org, einer Zivilorganisation, die Unterbrechungen des Internets weltweit dokumentiert.

Welche weiteren gibt es?

Regionale Internetunterbrechungen. Dabei wird die zur Übertragung benötigte Technik, etwa Funkmasten, in bestimmten Regionen abgeschaltet. Iran hat immer wieder auch die internationale Konnektivität unterbrochen, und seine nationale Internetinfrastruktur aktiviert, wodurch nur noch inländische Websites und Plattformen wie Banken verfügbar sind. Die iranischen Plattformen werden aber stark zensiert und überwacht.

In welchen Staaten geht es Ihrer Einschätzung nach am härtesten zu in Bezug auf Internetunterbrechungen?

Iran gehört zu den schlimmsten Übeltätern: Die anhaltenden Unterbrechungen führen zu einem vollständigen Informationsvakuum. Dies ist vor allem auf die permanente Zensur der wichtigsten Social-Media-Plattformen zurückzuführen. Ein weiteres Land, das das Internet weitreichend beschränkt, ist China. Internetsperren sind hier nicht in der gleichen Weise nötig, wie im Iran, weil die Behörden die öffentliche Meinungsäußerung fest im Griff haben. Auch viele Länder in Afrika unterbrechen das Internet auf nationaler Ebene, etwa während Wahlen. Zentralasien und Lateinamerika sind ebenfalls Brennpunkte.

Als Reaktion auf die Zensur und Unterbrechungen des Internets durch das iranische Regime haben weltweit AktivistInnen dazu aufgerufen, technische Hilfe zu leisten. Das Snowflake-Projekt ist ein Weg, Menschen in Iran zu unterstützen. Mit der Browsererweiterung lässt sich Zensur umgehen sowie solidarisch Brandbreite zur Verfügung stellen: snowflake.torproject.org

Von GetTor profitieren alle, die nicht auf torproject.org zugreifen können. Der Service liefert per E-Mail-Links zur Tor-Erweiterung für Browser. Dazu reicht eine leere E-Mail an: gettor@torproject.org

Der Messengerdienst Signal rief dazu auf, möglichst viele Proxy-Server einzurichten, mit denen die Blockade des Dienstes umgangen werden kann. Gesammelt wird die Serverliste auf Twitter unter dem Hashtag: #IRanaSignalProxy. Die taz folgte dem Aufruf. Auch wir stellen einen Proxy-Server für Signal zur Verfügung. Mehr Infos dazu gibt es nach einer E-Mail an: signalproxy@taz.de

Können diese verschiedenen Arten der Unterbrechung umgangen werden?

Wenn einzelne Seiten blockiert werden, können VPNs effektiv sein, obwohl auch diese beschränkt werden können. Wenn die nationale Internet­infrastruktur aktiv ist, ist es manchmal möglich, über ein Zwischen-Gateway in die Außenwelt zu gelangen. Das ist jedoch technisch sehr aufwendig und für die meisten Nutzer nicht individuell möglich. Bei einer totalen oder nahezu totalen Abschaltung des Internets sind die Möglichkeiten noch eingeschränkter, da gar keine Konnektivität, also Verbindungsfähigkeit mehr vorhanden ist.

In den sozialen Medien wird Elon Musk dazu aufgefordert, Starlink-Satelliten für die protestierenden Menschen in Iran freizugeben. Könnte das eine Lösung sein?

Satellitentechnologie im erdnahen Orbit – wie Starlink – könnte es Menschen ermöglichen, während einer Internetabschaltung eine Netzwerkverbindung über einen Satellit herzustellen. Es gibt jedoch zahlreiche Herausforderungen: Elon Musk hat zwar eine Ausnahmeregelung von den US-Ausfuhrbestimmungen für Iran beantragt, doch die Einfuhr der Geräte könnte schwieriger werden, da das iranische Regime die Einfuhr nichtregulierter Geräte in das Land kaum zulassen wird.

Es besteht die Gefahr, dass diese Geräte als Schmuggelware angesehen werden und ihr Besitz die Nutzer in Gefahr bringen könnte. Letztlich ist es eine Risiko-Nutzen-Entscheidung, die jeder einzelne treffen muss, wenn er glaubt, dass er diese Konnektivität braucht. Darüber hinaus besteht die logistische Herausforderung, diese Geräte zu transportieren. Starlink-Terminals werden in der Regel als Hotspots verwendet, sodass ein Gerät eine Handvoll Internetnutzer unterstützen kann. Eine Ausweitung auf eine breitere Bevölkerung ist im Moment unwahrscheinlich.

Welche Geräte braucht man denn, um sich mit Starlink verbinden zu können?

Man braucht eine Satellitenschüssel und einen WiFi-Router – wenn dieser verbunden ist, wird er zu einem WiFi-Hotspot für andere. Aber das wird nicht über ein Dutzend Benutzer hinausgehen. Es ist also eine Lösung für bestimmte Nutzer oder Gruppen, etwa Journalisten oder Menschenrechtsbeobachter. Eine Lösung für die breite Öffentlichkeit ist es derzeit nicht.

Die Unterbrechung des Internets in Iran ist temporär – kann das Regime das dauerhaft aufrechterhalten?

Es gibt eine Kosten-Nutzen-Kalkulation für jede Unterbrechung des Internets. Die Lage der Wirtschaft, aber auch die öffentliche Wahrnehmung sind Faktoren, die eine Rolle spielen. Iran hat versucht, den Effekt einer Unterbrechung des Internets auf etwa den Handel durch die Förderung eines unab­hängigen inländischen Internets abzumildern.

Iran ist trotz der ­Zensur und der Beschränkungen ein gut vernetztes Land, die Abschaltung des Internets auf nationaler Ebene auf lange Sicht keine praktikable Politik. Eine Schätzung, die uns vorliegt, besagt, dass ein einziger Tag einer hypothetischen Internetabschaltung in Iran das Land 40 Millionen US-Dollar kosten könnte. Das Land ist also nach wie vor in hohem Maße von dieser Konnektivität abhängig.

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