Nacktschnecken im Garten: Eine Armada des Schleims
Nach dem Ende der Dürrejahre melden sich die Wegschnecken zurück. Sehr zum Leidwesen Berliner HobbygärtnerInnen. Ein Bericht aus der Kampfzone.
Ich besorge mir Literatur, zimmere neue Hochbeete, ersetze die verrottenden Stiele von Harke und Grabegabel. Außerdem besorge ich neben den gängigen bunten Tütchen aus dem Gartencenter ein paar erlesene Sämereien im Internetspezialhandel: alte Möhrensorten von Gelb bis Dunkellila, scharfe grüne Thai-Chilis, nicht hybriden Zuckermais.
Der Auftakt ist furios: Der schon Anfang März gesäte Spinat gedeiht prächtig. Wir essen und essen und verschenken noch ein paar Pfund an Freunde. Aber das ist noch gar nichts. Die Vorfreude auf eine reiche Ernte wächst zusammen mit den übrigen Pflänzchen im Frühbeet.
Und dann kommen sie: rostbraun oder in giftigem Orange, langsam, aber sehr, sehr gefräßig. Seitdem wächst nur noch das Bild der Verwüstung, das die Nacktschnecken in den Beeten hinterlassen. Anfangs fehlen hier und da ein paar Blattränder, dann raspelt die schleimige Armada komplette Reihen junger Radieschen über Nacht weg und hinterlässt nur winzige Strünke.
Immerhin: Auch angesichts des Verlustes ist Gärtnern lebenslanges Lernen. Ich lerne aus eigener Anschauung, dass Nacktschnecken manche Pflanzen links liegen lassen, vor allem die einst aus der Neuen Welt eingeführten, wie Kartoffeln, Tomaten oder Paprika. Dann lerne ich, dass das völliger Blödsinn ist: Nachdem sie den Wirsing durchlöchert und den Salat entblättert hat, macht sich die Bagage über die vermeintlich immunen Bestände her. Nur den Mais verschmäht sie bislang.
Das hätte ich natürlich vorher wissen können: „Bei Nahrungsknappheit, beispielsweise durch hohe Populationsdichten, frisst die Spanische Wegschnecke nahezu alle Pflanzen“, heißt es auf Wikipedia. Die Netzenzyklopädie, die ich jetzt zu Rate ziehe, klärt mich auch darüber auf, dass die Spanische Wegschnecke – so bis heute der gängige deutsche Name des kriechenden Unheils – nicht aus Spanien und auch nicht aus Portugal stammt, wie der lateinische Name Arion lusitanicus vermuten lässt.
Korrekter ist da schon die komplizierte Bezeichnung Arion lusitanicus auct., non Mabille = Arion vulgaris. Das bedeutet, dass die Art nicht identisch ist mit der im 19. Jahrhundert vom französischen Biologen Jules François Mabille klassifizierten und harmlosen Portugiesischen Wegschnecke. Deshalb wird die ruchlose Wirbellose von der Wissenschaft jetzt nur noch als „gewöhnlich“ (vulgaris) angesprochen.
Kriechspuren jenseits der Mauer
Trotzdem gelten die vulgären Schleimer in Mitteleuropa als Neozoon, als eingewanderte Spezies, denn sie treibt erst seit den 1950er Jahren ihr Unwesen bei uns. Woher genau sie kam, wenn nicht von der iberischen Halbinsel, ist bis heute unklar. Vermutet wird mittlerweile ein ursprünglich sehr begrenztes Verbreitungsgebiet in Südwestfrankreich – bis der europäische Handel mit Agrargütern ihre Gelege über den Kontinent verteilte. In der ehemaligen DDR soll sie sich erst nach der Wende weiträumig verbreitet haben.
Jetzt ist sie jedenfalls da und versaut KleingärtnerInnen die Ernte. Und dieses Jahr ist es besonders schlimm, das werden die meisten bestätigen, die versuchen, ein paar Quadratmeter Erde zu bestellen. Aber warum? Klimawandel? Zu wenig Frosttage im Winter? Ich hole mir Rat bei der Person, die in animalischen Angelegenheiten nie um einen Rat verlegen ist: Derk Ehlert, Wildtierexperte der Senatsumweltverwaltung.
Nicht die milden Wintermonate seien die Hauptursache für den Massenansturm von Arion vulgaris, sagt Ehlert: Vor allem die leicht überdurchschnittlichen und ziemlich regelmäßigen Regenfälle im vergangenen Jahr und auch der reichliche Niederschlag im Frühjahr hätten das reproduktive Potenzial der Schnecken deutlich erhöht. In den trockenen Jahren davor seien HobbygärtnerInnen in dieser Hinsicht verwöhnt worden – „in Anführungsstrichen“, wie Ehlert betont, denn für ihn sind die Schnecken ein Teil der Natur. „Von ‚Plage‘ zu sprechen, finde ich unpassend. Auch wenn man die Tiere nicht mag.“
Und, Überraschung: Das vermeintlich beispiellose Schneckenaufkommen findet der Experte gar nicht außergewöhnlich. Bevor 2018 die große Dürre einsetzte, seien meist genauso viele unterwegs gewesen. Ehlert, ein immer positiv denkender Mensch, freut sich lieber über das vorläufige Ende der Durststrecke („Schauen Sie mal aus dem Fenster, endlich haben die Bäume wieder normales Laub!“), als die schwindenden Erträge von Berliner TeilzeitlandwirtInnen zu beklagen. Immerhin schadeten die Wegschnecken weder der Vegetation im Allgemeinen, noch stellten sie eine Konkurrenz für andere, seit Langem hier heimische Schneckenarten dar.
Aber beerdige ich deswegen sang- und klanglos meine Selbstversorgungsfantasien? Natürlich nicht. Ich nehme den Kampf auf – und lerne weiter. Zum Beispiel, dass die meisten Hausmittelchen für die Tonne sind. Kaffeesatz oder Kalk, Eierschalen oder Sägespäne um die Beete streuen? Kann man vergessen. Es gibt da ein schönes Youtube-Video, in dem jemand eine entsprechende Versuchsanordnung geschaffen hat. Fazit: Wenn auf der anderen Seite saftige Salatblätter locken, pflügen die muskulösen Kriecher ohne jedes Zögern durch die Streu.
Angeblich helfen Hochbeete. Wer sagt’s den Schnecken? Salz beschert den Tieren einen qualvollen Tod, was nicht gut ist, und außerdem geht’s den Pflanzen nach dem Gießen dann irgendwann genauso. Schneckenkorn? Besser nicht, sagt Derk Ehlert. Das Zeug ist zwar zugelassen, aber immer noch Gift, das auch andere Tiere beeinträchtigen kann.
Enten helfen. Nicht
Ein ebenso abwegiger wie populärer Tipp: Laufenten mieten. Haben alle schon mal von gehört, aber nie wirklich darüber nachgedacht. Richtig ist, dass die lustigen Vögel zu den wenigen Fressfeinden gehören, die die übel schleimende Schneckenart hat. Aber es hat Gründe, dass es so wenige Entenvermietungen gibt. Zum Beispiel brauchen die Tiere für einen halbwegs artgerechten Lebensstil einen ausreichend großen Teich.
Den habe ich sogar, und zwar einen sehr schönen: mit Seerosen, Schwertlilien, Libellen, Fröschen und Molchen. Auf all das würden die Enten scheißen – wortwörtlich. So steht es auf der Webseite eines der wenigen realen Entenvermieter. Er empfiehlt, das Teichwasser einmal in der Woche zu erneuern. In einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mag das angehen, nicht in einem naturnah gestalteten Garten.
Von wegen naturnah. Wer wilde Ecken und Streifen im Garten belässt – insgesamt eine ausgezeichnete Idee –, räumt auch der gemeinen Wegschnecke jede Menge Rückzugsmöglichkeiten ein. Nach jedem Schauer beobachte ich, wie sich der nächste Stoßtrupp in Zeitlupe aus dem Schutz von Kräutern und Steinen, wo sie ihre Gelege verstecken, auf den Weg zu meinen Kulturpflanzen macht.
Was zumindest zeitnah funktioniert, ist das Absammeln der Schnecken, sobald sie den abendlichen Tau oder die Nässe nach dem Regenguss nutzen, um sich an die Setzlinge heranzurobben. Ich benutze dazu mittlerweile Handschuhe, denn auch wenn mich der Schleim nicht ekelt, dauert es ewig, ihn von der Haut zu schrubben.
Und dann? Es soll Menschen geben, die kein Problem damit haben, ein Pfund lebender Schnecken mit kochendem Wasser zu übergießen. Ich kann das nicht. Andere setzen den Klumpen fern des eigenen Gartens aus oder leeren das Sammeltöpfchen in die Biotonne. Was ich so tue, verrate ich hier nicht – irgendjemand würde mit Sicherheit Anstoß daran nehmen. Sagen wir: Ich gebe den Biestern eine Chance.
Was hilft: Sternburg Pils
Aber auch die Bierfalle habe ich schon eingesetzt – die funktioniert immer zuverlässig. Dass ihr unwiderstehliches Aroma noch mehr Schnecken aus dem direkten Umfeld anzieht, mag sein, aber so lange ihr Weg in dem kleinen mit Sternburg Pilsener gefüllten Behälter endet, macht das ja keinen Unterschied. Natürlich stelle ich ihn nicht direkt neben meine schutzbedürftigen Pflanzen.
Spätestens jetzt sind wir bei der Ethikfrage: Darf ich die possierlichen Tiere aus dem Leben reißen, nur weil sie meinem Chinakohl nach dem Leben trachten? Ist die Schnecke weniger wert als der Regenwurm, der dem Gärtnernden zuarbeitet? Andererseits sind auch Mücken bei genauem Hinsehen ein Wunder der Natur, und bei denen nehme ich wenig Rücksicht, wenn sie sich auf meinem Nacken niederlassen. Vermutlich leiden Wirbellose nicht im selben Sinne wie uns näher verwandte Tiere.
Gut fühlt es sich trotzdem nicht an. Im kommenden Sommer werde ich die einzig wirksame und gewaltfreie Methode perfektionieren: den Schneckenzaun. Die Kunststoffstreifen mit scharf abgeknicktem Rand sind für Arion vulgaris tatsächlich kaum zu überwinden – solange sie halten. Um stabil und lückenlos zu bleiben, bedarf es einiger Bastelarbeit. Dem Gärtner wird eben nichts geschenkt.
Aus der Mitte des Schlachtfelds ziehe ich einen der wenigen Überlebenden. Das Radieschen ist schwach auf der Brust und hat winzige Bissspuren. Es schmeckt vorzüglich. Kann man den Schnecken ihren Appetit verdenken?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen