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Nachruf auf Autorin Toni MorrisonVon den Kämpfen mit Dämonen

Ein halbes Jahrhundert hat Toni Morrison den Rassismus in den USA angeklagt. Das brachte ihr den Nobelpreis. Jetzt ist die Schriftstellerin gestorben.

Anerkennung von ganz oben: Schriftstellerin Toni Morrison mit US-Präsident Barack Obama Foto: reuters

Als Toni Morrison 1993 den Nobelpreis für Literatur zugesprochen bekam, war das eine „kleine inneramerikanische Sensation“, wie die damalige USA-Korrespondentin der taz Andrea Böhm schrieb: „Dieses Land wird nicht alle Tage dazu gezwungen, auf eine schwarze Frau, eine Schriftstellerin, stolz zu sein.“ Mehr denn je wünscht man den USA, ihre afroamerikanischen Künstler als innersten Teil ihrer Kultur zu schätzen.

Toni Morrison ist tot. Die 1931 in Ohio geborene Schriftstellerin starb am Montagabend mit 88 Jahren in New York. Die Tochter eines Stahlarbeiters besuchte als erste Frau der Familie ein College und war 1953 mit einem Universitätsabschluss in Englisch eine große Ausnahme in den USA. Ihre Eltern und Großeltern hatten noch lebensgefährliche Konfrontationen mit weißen Rassisten in Alabama erlebt.

Ihre Romane zu lesen ist fordernd. Wer spricht, wo befinden wir uns? Man kämpft um Ausblick, um Orientierung, etwas stemmt sich gegen das einfache Verstehen, bis man merkt, mit dieser Empfindung schon ganz nah herangerückt zu sein an das, was die Erzählenden drückt, was die Protagonisten einengt, was ihren Blick verstellt.

Und dann lässt einen das Erzählen von Toni Morrison nicht mehr los. Gepackt von den Stimmen will man mit ihnen ins Freie. Ihre Geschichten wachsen beim Lesen, sie verändern sich, schlagen neue Richtungen ein. Oft liest man auch voller Angst im Herzen. Es ist nicht immer leicht auszuhalten.

Sie war eine große Erzählerin, die nicht nur über Rassismus und Ausgrenzung schrieb, sondern vor allem auch von den inneren Verwüstungen der davon Getroffenen. Vom Kampf mit dem Selbstbild, von der Schwierigkeit, stolz auf sich selbst zu sein und sich als Person annehmen zu können. Die Scham und das Schweigen der Gedemütigten, das Nichtredenkönnen, die Sprache verlieren machte einen großen emotionalen Teil ihre Romane aus.

Immer weit entfernt vom Klischee

„Gnade“ – „Menschenkind“ – „Jazz“ – „Paradies“ – „Heimkehr“ – jeder Roman packte von Neuem auch mit den Widersprüchen der Figuren. Was sie erlitten, machte sie auch grausam. Toni Morrison erzählte von Sklavinnen und Sklavenhaltern, von freigelassenen Sklaven und verkauften Kindern, von Müttern, die ihre Kinder nicht in dieser Welt leben lassen wollen, von jungen Städtern und Musikern, und jede Figur war immer weit entfernt vom Klischee. Beim Versuch, sich rauszustrampeln aus einengenden Verhältnissen, aus vorbedachten Rollen, laufen sie auch in bösartige Fallen, erzeugen Missverständnisse und kämpfen mit Dämonen.

Und wenn es dabei meistens um ein Kapitel afroamerikanischer Geschichte ging, dann auch in dem Wissen, dass dieser Teil Amerikas noch immer zu selten erzählt wird und im Kanon nicht genug sichtbar ist.

Toni Morrison sorgte nicht nur mit ihren eigenen Romanen für die Etablierung der afroamerikanischen Literatur. Sie arbeitete auch als Verlagslektorin 16 Jahre lang für Random House (1967 bis 1983), und lehrte bis 2006 an der Princeton University.

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1 Kommentar

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  • Ja, auch ich wünsche den USA, dass sie „ihre afroamerikanischen Künstler als innersten Teil ihrer Kultur zu schätzen“ lernen. Denn auch der „weiße Teil“ der USA ist Opfer gesellschaftlicher Verwerfungen. Mit allen Folgen, die das für seine Psyche hat - und allen Konsequenzen für den Rest der Welt. Er braucht das bloß nicht zu realisieren, so lange es noch Menschen gibt, die wegen ihrer Hautfarbe oder anderer Merkmale diskriminiert werden.

    Das zu kapieren wird natürlich schwer, wenn sich „die USA“ dazu gezwungen fühlen, diese Leute zu schätzen, Nein, nicht als Gruppe. Nur als Individuen, die sich den kranken Regeln unterwerfen und sie effektiver nutzen, als die meisten Weißen. Aber Ist nicht auch die Möglichkeit, Preise zu vergeben, ein Privileg? So lange man als weißer Mensch noch, je nach Bedarf, Preise verleihen, Essen spenden oder das (Über-)Leben schwer machen darf, ist man privilegiert - und taugt als Identifikationsfigur für Leute, mit denen man rein gar nichts gemeinsam hat. Abgesehen von der Hautfarbe.

    Vermutlich ist das die Wurzel aller gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Man kann sich damit wunderbar ablenken vom eigenen Elend und von der Notwendigkeit, etwas dagegen zu tun. Man ist ja immer noch privilegiert. Das zu erkennen, wird allerdings nicht leichter, wenn man „dazu gezwungen [wird], auf eine schwarze Frau, eine Schriftstellerin, stolz zu sein“. Im Gegenteil.

    Wer Menschen mit Preisverleihungen zum Stolzsein zwingen will, hat nicht verstanden, wie sie „ticken“. Mehr noch: Er hat nicht mal verstanden, wie er selbst „tickt“. Vielleicht aber hat er es auch einfach nur vergessen. Bei Leuten, die jahrelang taz-Korrespondentin in den USA waren, wäre das kein großes Wunder, fürchte ich, sondern eine Art Berufskrankheit.