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Nachlese zu den Stuttgarter KrawallenShopping on the wild side

Auch bei der Protestkultur gibt es eine Umverteilung von unten nach oben. Und die grünen Spitzenpolitiker haben ihre eigene Geschichte vergessen.

Schlimm. Schlimm-schlimm: einhellige Verurteilung der Stuttgarter Krawalle im Juni Foto: Christoph Schmidt/dpa

Als ich Mitte der 90er Jahre das erste Mal längere Zeit in Stuttgart war, ist mir beim Joggen in den akkurat gepflegten Waldgebieten der Umgebung ein Phänomen aufgefallen, dessen Eigenart unterdessen kein Erstaunen mehr hervorruft. Ein Mann zwischen dreißig und vierzig, eine Frau ähnlichen Alters oder, nicht selten, ein Paar schiebt beim Feierabendlauf einen leichtgängigen Wagen, in dem ein Kind schläft, auf dem asphaltierten Waldweg vor sich her. Praktisch.

Mir kam es damals indes vor, als sollte mit der Maßnahme – Nachwuchs beim Joggen prächtig aufgehoben, zudem schlafend, weil bewegt – noch der allerletzte Time­slot effektiv ausgequetscht werden. Auch heute ist das Verfahren, das längst bis in den letzten Winkel der Republik exportiert worden ist, für mich ein Sinnbild für eine Art zu leben, die ich als „Stuttgarter Modell“ bezeichnen möchte: Aktivität bis zur Nachtruhe, multifunktional und äußerst effizient organisiert.

Ich will das nicht schlecht reden: Wenn die Arbeit okay ist und die Familie sich heimelig anfühlt – bingo. Nicht wenige sind dort angekommen und fühlen sich wohl. Sie bilden das Rückgrat der Gesellschaft – na ja, einen Teil davon, darauf werde ich noch kommen.

Die Partyszene am Schloss und in dessen näherer Umgebung – ob gebürtig in Backnang oder Aleppo oder vielleicht in Split, in Dschalalabad – hat das „Stuttgarter Modell“ weder verinnerlicht noch bisher überhaupt begriffen. Die Anmutung des Bildes: Arbeit im Büro, Häuschen, Familie & gemeinsames Joggen am Bärensee, empfinden viele derer, die am warmen Wochenende die Zeit auf dem Schlossplatz totschlagen, entweder als unerreichbar oder – noch – als Zumutung.

Für die Abkürzung zum neuesten Handy, zur coolen Turnschuh-Kollektion sind sie hingegen häufig durchaus offen.

Womit wir bei der Nacht der Scherben wären.

Schlimm! Schlimm-schlimm!

Die Würdigung des Krawalls in – ausgerechnet! – der schwäbische Metropole war einhellig: Schlimm. Schlimm-schlimm. Und noch viel schlimmer. Zum Verwechseln ähnlich dem medialen Reflex auf die eine oder andere Randale, das eine oder andere vergleichbare Ereignis während der mittlerweile offenbar recht fernen 60er, 70er und 80er Jahre.

Auch die hohen Herren der Regierungen von Land und Stadt machten da keine Ausnahme, obwohl doch gerade die Grüne Partei, die demnächst mit Horst Seehofers CSU koalieren möchte, wie sonst wohl keine in der Republik aus der Krawallkultur quasi geboren wurde.

Sowohl Herr Kretschmann (ehemals: Kommunistischer Bund Westdeutschland, KBW) als auch Fritz Kuhn haben ein Alter, das es ihnen ermöglichen sollte, sich an derlei Geschehen zu erinnern.

Herr Kuhn und Herr Kretschmann

Gut, Fritz Kuhn, schon neoliberal angehaucht, als das Wort noch nicht erfunden war. Gut, der Herr Kretschmann: pastoraler Gestus, der jeden Pastor vor Neid erblassen lässt. Gut, Grüne Partei: heute der Hort von international agierenden Unternehmensberatern (die eine „exklusive Partnerschaft mit der Albright Stonebridge Group in Washington, D. C.“ unterhalten) oder nicht sonderlich erfolgreichen Kinderbuchautoren (die lieber Kanzler werden wollen) – dennoch: „Nulltarif / Nulltarif / sonst biegen wir die Schienen schief“, so der hübsche Slogan unter anderem des KBW in Heidelberg, entsprechend wurde verfahren.

Oder, zum Beispiel, die Schlacht um den Bauplatz von Grohnde, 1977, oder die illegalen 100.000, die sich Ende Februar 1981 auf den Weg nach Brokdorf machten und erst durch den massiven Einsatz von Tränengas, das aus Hubschraubern verschossen wurde, vom Zaun des AKW abgedrängt werden konnten – die eine oder andere maoistische Vorfeldorganisation der Grünen Partei hatte ihre Finger mit Gewissheit in nicht geringem Umfang immer mit im Spiel.

Alte Zeiten, zugegeben.

Trotzdem kann ein bisschen Geschichtsbewusstsein oder Erinnerungsvermögen hilfreich zur Beurteilung bestimmter Phänomene sein.

„Hier ging es sehr stark ab“

Ein Krawall wie der Stuttgarter wird nicht nur durch diejenigen ermöglicht, die zur Aktion schreiten, sondern vor allem auch durch die, die mitlaufen, die dabei bleiben, die die Angelegenheit, und sei es durch bloße Anwesenheit, befeuern.

Aufschlussreich in dem Zusammenhang der kaum volljährige Jüngling mit blond-modischer Frisur, der sich in der 20-Uhr-„Tagesschau“ vom 21. Juni äußern darf, später aber aus dem Video entfernt worden ist, und mit einer Stimme, der man noch die Verblüffung anhört und das Wissen, vorsichtig in der Wortwahl sein zu müssen, die jedoch von keinerlei Distanzierung gefärbt ist, die wenigen Worte äußert: „Hier in Stuttgart … ging es sehr stark ab.“ Im Hintergrund lächelt ein Mädchen.

Bei der Einordnung der Ereignisse wurde zunächst auf drei Aspekte abgestellt: kein politisches Motiv; Hälfte der Verhafteten ohne deutschen Pass; Testosteron.

Hinweis auf Testosteron

Dass die Hälfte der Festgenommen nicht den fraglichen Pass besitzt, lässt keinen Rückschluss auf die Gemengelage zu. Ob es stimmt, dass kein Motiv mit Gehalt vorliegt, möchte ich untersuchen. Der Hinweis aufs Testosteron – oft bemüht, stets debil – hat etwa die Qualität der Feststellung, dass beim Rumor nahezu alle Beteiligten über zwei Beine verfügen.

Die Woche gehört denen, das Wochenende uns: Kontrolle von Jugendlichen nach der Krawallnacht Foto: Max Kovalenko/imago
Der Autor

Michael Wildenhain ist Schriftsteller und lebt in Berlin. Sein neuer Roman, „Die Erfindung der Null“, der Ende Juli herauskommt (Klett-Cotta), wird in Stuttgart spielen.

Mit Gewissheit werden bei jedem Aufruhr, selbst bei den auch in Württemberg gern gefeierten Erhebungen der Bauernhaufen um 1525, junge Männer eine Rolle gespielt haben – Frauen oft eher indirekt. Testosteron und Alkohol, ach so.

Plötzlich jedenfalls wird etwas sichtbar (aufgepasst, PR-Strategen: Sichtbarkeit, ein Begriff der aktuell unheimlich Konjunktur hat!), dessen Existenz vorher gar nicht in Erwägung gezogen wurde. Kritik, nein, sogar Empörung, das zielte doch auf: richtiges Reden, richtiges Schreiben, richtiges Essen und richtigen Tonfall, Haut (und deren Pigmentierung), die eine oder andere Großbaustelle.

Protestkultur der Bessergestellten

Wenn man ganz vorn dabei sein wollte, wedelte man auf der Demo (jetzt im Stream – wow!) mit einer goldenen Rettungsdecke (um im Jargon zu bleiben: Wie ungemein peinlich ist das denn?) oder folgte einem medial Eins-a-inszenierten Hobbit aus Schweden.

Längst okkupiert von einer Schicht der tatsächlich (manchmal nur: vermeintlich) Bessergestellten, hat auch die Protestkultur eine rapide Umverteilung von unten nach oben erfahren: Quoten bis in die Vorstandsetagen, herrschaftsfreie Diskursgesänge, Gender und Sternchen in möglichst jeder Akademie, und nicht zu vergessen: satt Suppenküchensolidarität auf sämtlichen Ebenen, für das reine Gewissen oder das gute Gefühl.

Und plötzlich tauchen da Leute auf, die machen Fensterscheiben kaputt, beulen sich mit der Polizei – in Schwaben, in Stuttgart: Fuck you, was soll das?

Risse durch die Gesellschaft

Wenn man an den Wochenenden vor der Scherbennacht durch die Partyecke Stuttgarts schlenderte, war eine zunehmende Anspannung mit den Händen zu greifen. Es war warm geworden. Die Abschottung wegen Corona hatte die Jungs und Mädels, die rings um den Schlossplatz abhingen, langsam kribbelig werden lassen. Blöd bloß, das die sinnentleerten Surrogatfunktionen „Stadion“ und „Club“ weiterhin geschlossen waren. Die Überdruckventile für Freitag-Samstag-Sonntag blieben leider zu.

Einer der, vielleicht wesentlichen, Risse durch die Gesellschaft besteht zwischen denen, die nicht nur im „Modell Stuttgart“ angekommen sind, sondern in ihrer Tätigkeit zudem einen Sinn sehen (firmiert dann in der Regel unter dem, etwas albernen, Begriff der Selbstverwirklichung), und denen, die, wenn überhaupt, arbeiten, um ihren Lebensbedarf zu decken und: um zu konsumieren.

Für die Plebejer aller Schattierungen, denen der herrschende Zustand vor allem Zumutung ist, heißt der Job: knechten & shoppen – knechten, um zu shoppen.

Die Maschine muss laufen

Allein die Bezeichnung „Shoppen“, das dekadente Defilieren durch zumeist zweckfreie Warenbestände sowie deren Erwerb, ist derart aberwitzig, um nicht zu sagen: voll pervers, dass jedem, der es in den Mund nimmt, die Spucke zu Trockeneis gefrieren müsste.

Weit gefehlt. Von der FDP bis zu den Gewerkschaften und, klar, auch Gerhard Schröder, aufrechter Sozialdemokrat, ganz in der Tradition seiner Partei (H. Schmidt: Leningrader Hungerblockade; W. Brandt: Berufsverbote; G. Noske: „Meinetwegen! Einer muss der Bluthund werden“), haben sie alle den Konsum zur nationalen Aufgabe geadelt. Hier mal ein bigottes Bekenntnis zum Verzicht, dort mal ein kleines Krächzen zum Klima, aber: Die Maschine muss laufen. Das heißt: Malochen, um zu kaufen.

Die Mädels und Jungs vom Schlossplatz haben zumindest das längst begriffen: Die Woche gehört denen, das Wochenende uns.

Anhängen und tanzen

Da hängen wir ab, da gehen wir tanzen (so wir den Eintritt aufbringen können), da nehmen wir Drogen, all das Zeug, das sich im Angebot befindet und das die Veranstalter der Festivals (Beispiel: die „Fusion“ – als sie noch stattfand) dazu gebracht hat, eigens Sanitätsstationen zur Nothilfe für die an den Pillen fast Verreckten einzurichten – Tanzen bis zur Dehydrierung; oder eventuell Ketamin, Narkosemittel für Pferde: Beim Rausch muss darauf geachtet werden, dass die starr geöffneten Augen nicht unversehens austrocknen.

Das sind die Alternativen zum „Stuttgarter Modell“.

Das markiert den Unterschied zu den 60er, 70er und 80er Jahren, als Protest wie Aufruhr auf eine radikal veränderte Gesellschaft abzielten.

Als die Grünen noch radikal waren

Kretschmann und Kuhn werden das wissen. Kuhn und Kretschmann kennen die Anfänge der Grünen Partei, den durchaus originellen Umgang mit staatlichen Institutionen, können die drei der (ersten) sieben Grünen-Kandidaten, die 1984 ins Europaparlament gewählt wurden und so Immunität errangen, gewiss noch beim Namen nennen: Brigitte Heinrich, verurteilt unter anderem wegen Waffenschmuggels für ein Anarchistennetzwerk, Benny Härlin und Micha Klöckner, in Haft wegen presserechtlicher Verantwortung für das Erscheinen der nicht genehmen linken Zeitschrift radikal (der Name war Programm).

Kretschmann und Kuhn werden vielleicht eine Ahnung vom enormen Anstieg psychischer Krisen und Therapien bei jungen Menschen zwischen 16 und 30 Jahren haben. Kuhn und Kretschmann werden sich vage daran erinnern, dass die zweite Generation der Roten Armee Fraktion ihre Wurzeln im So­zia­listischen Patientenkollektiv hatte, SPK (vornehmlich Heidelberg), das die Parole kreiert hat: „Aus der Krankheit eine Waffe machen.“

Kuhn und Kretschmann werden zudem ahnen, dass einige Akteure der Scherbennacht nach einer Karenzzeit von ein paar Jahren das Ereignis für eine pfiffige Agentur mit dem Slogan „Shopping on the wild side“ für Stuttgart touristisch vermarkten werden. Und vielleicht wird Kuhn und Kretschmann dunkel die Erkenntnis dräuen, die einst als selbstverständlich galt: des wirklich armen Schluckers Ini­tiative war stets die Rebellion.

Betreuung für Krawallanten

Das Wissen jedoch werden sie lieber für sich behalten und stattdessen einen ­40-köpfigen Untersuchungsausschuss einrichten, bei circa 400 Krawallanten ein durchaus guter Betreuungsschlüssel, besser als in Kitas und Schulen, der einen gewiss gendergerechten Untersuchungsbericht in mühsamer Arbeit erstellen wird (Ran­da­lie­re­r*in­nen?; Ran­da­lie­re­r:in­nen?) und zu dem Ergebnis kommt, dass 17 oder 37 neue Streetworker, fein quotiert, eingestellt werden müssen, um an warmen Wochenenden unauffällig am Eckensee oder auf dem Schlossplatz zu kiffen.

Kein politischer Anspruch, keine kommunizierbaren Forderungen, keinerlei diskursive Qualität können nun die Altvorderen zusammen mit dem gesamten Spektrum der Neo-Konstruktivisten und Neo-Moralisten in einmütiger Eintracht deklamieren und sich, wohl situiert und saturiert, gegenseitig auf die Schultern klopfen, wenn das „social distancing“ wieder aufgehoben ist.

Und wie immer werden die, die ihre Arbeit für sinnvoll halten und als großartig empfinden, das Leben derer erklären, denen der Zugang zu jener eloquenten Klasse, so oder so, verwehrt bleibt.

Dabei ist die implizite Forderung dieser einen Scherbennacht im Quartier der so verführerisch funkelnden Scheiben einer Möchtegern-Metropole nahe­liegend und deutlich vernehmbar, man muss nur halbwegs hinhören können – sie lautet: Gebt unserem Leben endlich einen Sinn.

Konsum als Staatsziel

Zugegeben: Schwer zu erfüllen in einer Gesellschaft, die den bedingungslosen Konsum zum höchsten Staatsziel erklärt hat.

Aber keine Angst: Die Clubs und Stadien öffnen bald wieder, der Nachschub an Drogen bleibt gesichert und der Sektor „Therapie und Soziale Arbeit“ ist ein boomenden Zukunftsmarkt, dessen Überführung in die Sphäre der Verwertung dem glorreichen Kapitalismus wann immer nötig einen Schub verschaffen kann.

Also: Alles in Butter.

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29 Kommentare

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  • Die Riots tauchen immer dort auf, wo man sie nicht erwartet - wo sie aber gerade überfällig sind: 1962 die Schwabinger Krawalle im betuchten Adabeiviertel Münchens. 1987 der Kampfmai im eigentlich schon ökospießig müffelnden Kreuzberg. 1994 die Chaostage in der trostlosen Fußgängerzone Hannover. Und nun die Stuttgart Riots. Kretschmann und Kuhn stehen nun da als die dauerempörten Sauertopf-Opas, die hoffnungslos aus der Zeit gefallen sind.

  • Aha. Die Krawalle kamen also zustande, weil nicht näher benannte Mächte den ausgelassenen Rangen keinen Lebenssinn geben... Mal von der Frage abgesehen, ob das eine Begründung sein darf: Kann man die Verantwortung für das eigene Leben derart outsourcen? Ist man für den eigenen Lebenssinn nicht ganz allein entscheidungsfähig?

  • Kann in dem reichlich durcheinander gehenden Text nur einen Sinn erkennen: Selbstdarstellung des Autors. Wenn schon von früher die Rede ist, dann fehlt definitiv Wackersdorf, da passierte auch einiges. Und die Verhinderung des Baues einer zweiten Startbahn am Stuttgarter Flughafen. Von der Vernichtung wertvollster Böden auf den Fildern ganz zu schweigen.

  • Schöner, treffender Kommentar an alle , die sich sofort im Chor zusammen fanden: "Das waren nicht unsere Gören, das waren die Juden- und Zigeunerlümmel!"

    Und selbstverständlich begreift der eine oder andere Leserkommentar nicht, das genau er gemeint ist.

    Ja ist richtig. In Gorleben und in Brokdorf, auf der Hofgartenwiese und an der Startbahn West. Das waren zumeist die, die so sehr sie es auch bestritten, etwas hatten wohin sie zurück konnten. Wie das so ist im gut situierten Mittelstand. Heute sitzen sie auf dem Erbe, das ihre Eltern irgendwo zusammengerafft haben. Im Zweifelsfall mit der Treuhand. Und können doch nichts dafür wo es herkommt! "Oh. Ah Uh - glaub mir ist mir manchmal auch unangenehm!". Und nehmen es dennoch gerne. Und wollen aber der bessere Mensch genannt werden. Weil sie jetzt im Prenzlauer Berg wohnen. Ökologisch korrekt. Statt der alten Dame, die sich 40 Jahre die Wohnung am Kollwitzplatz mit Kohlen hoch tragen verdient. Und schon vor langem und mit 80 jähren raus musste. Wo es jetzt eine Zentralheizung gibt.

    Ja Ihr alten KBWler und Ihr Nachwuchs dem die geschulte Elternschaft das nicht mehr vermittelte: Es sind nicht die gebildeten, die fein geschulten in gewaltfreier Kommunikation, es sind nicht die kulturell Interessierten, nicht die die sich den ganzen Tag mit ihrer persönlichen Ernährungen beschäftigen - als bräuchte Biedermeier aktualisierte Auffrischung -



    Es ist der Plebs. Die mit den Fäusten. Und der Spucke und dem Rotz. Der Pisse und der Scheisse am Hacken. Die ohne Wohnung. Ohne Pass. Ohne irgendeine Aussicht. Ob in die Metropolen gekommen - weil Postkolonialismus eben für sie keine Theorie ist, oder aus den Vorstädten, den Plattenbauten Stuttgarts, Münchens, Frankfurts, Düsseldorfs, Hamburgs.



    Ja echt. Die gibt es wirklich. Und die haben nichts von dem Erbe, das ihr dann doch für selbst verdient haltet.

    Lasst uns doch mal testen: Wer hält hier 3500 /Netto für normal oder ihm zustehend?



    Hat kaum jemand: Realität.

    • RS
      Ria Sauter
      @Martinxyz:

      Wenn Sie zu denen gehören, die Sie hier beschreiben, ist das schön für Sie.



      Ich war bei den Demos dabei und habe nix geerbt, wohne zur Miete und erhalte eine kleine Rente.



      Damit bin ich aus der Generation nicht die Einzige.



      Ihr Weltbild ist geradezu extrem naiv.

  • Alles gut und schön. Nur: Warum um alles in der Welt muss die Gesellschaft oder der Staat, oder wer auch immer oben angesprochen wird, dem Leben dieser jungen Leuten einen Sinn geben. Das darf jeder ruhig selber machen. Wenn das tatsächlich alles shopping-Popkultur-Opfer sind, vielleicht ist die Schuld daran in jedem einzelnen Elternhaus zu suchen, nicht bei Fremden.

    Oder möchte der Autor lieber eine HJ- oder FDJ-artige Sinnstiftung?

    • @Fabian Wetzel:

      Wenn doch solche Überlegungen die potentiellen Eltern bewegen würden, *bevor* sie Kinder in die Welt setzen. Im Versagensfall dann nach der Gesellschaft zu rufen, ist doch etwas zu billig.

  • Angesichts dass, das bei diese Krawallen ein Student von einem der Randalierer mittels eines gezielten Tritts an den Kopf ins Koma befördert wurde, ist dieser Beitrag unter alles Sau.



    www.zeit.de/politi...nen-horst-seehofer

    • RS
      Ria Sauter
      @sb123:

      Perfekt geantwortet. Es ist beschämend dieses Verharmlosen

  • "Jung", "Mädels", "tanzen", "abhängen", "kiffen" ...

    Welch tief gehende Analyse der Krawalle, Verortung und Definition von Protestkultur. Lange nicht mehr so gelacht.

  • Bester Kommentar zu den Stuttgarter riots. Danke!

  • Ist das jetzt wieder Satire, ohne das dazuzuschreiben?

    Brokdorf war was anderes, da ging es nun wirklich nicht um zu wenig Geld zum einkaufen und darum Sachen ziehn.

  • „Das markiert den Unterschied zu den 60er, 70er und 80er Jahren, als Protest wie Aufruhr auf eine radikal veränderte Gesellschaft abzielten.“



    Viele Parallelen gibt’s allerdings zu den sogenannten Halbstarkenkrawallen der 50er und frühen 60er Jahre, da wurde so manche Innerstadt zerlegt (z.B. Dortmund 56, nach einem Bill Haley Konzert). Auch die Zusammensetzung der Akteure hatte Gemeinsamkeiten, ein Gutteil jeweils mit Migrationshintergrund - damals halt sogenannte ‚Beutedeutsche‘.



    Allesamt Jugendliche, die auf den Putz hauen wollten, um dann später brav auf dem Pütt oder bei Opel zu knechten, in den 50ern zielmich spießige Teddy-Boy-Darsteller(www.youtube.com/watch?v=oFtRtm8HQiI), maximal Haley oder Elvis eher noch Ted Herold (Ich Brauch' Keinen Ring), Peter Kraus (Mach Dich Schön) oder Delle Haensch & Die Rockies (Warenhausrock). Heute hört man halt Kollegah, Bang und Bushido, macht auf Gangsta und hofft auf einen Job in der Automobilzulieferindustrie. Umsturz woll(t)en die – wie seit spätestens '33 praktisch alle Proletarier – nicht, es ging und geht ums Saufen (Kiffen), Zündapp fahren (Autoposen) und Schwächeren die Fresse polieren. Als später die Studenten bei VW und Opel agitieren wollten, hat man die bestenfalls ausgelacht, manchmal auch verdroschen. Nun redet man von „Warenhausstürmerei“ als „Bilderstürmerei“, - das ist ähnlich aussichtsloses Wunschdenken.

  • Was an dem Kommentar sehr gut ist: auch die deutsche "bürgerliche Klasse", auch nicht in der Teilausprägung "Stuttgarter Modell", steht kurz vor der Erleuchtung und der Errichtung der letzlich universellen Werte, denen sich die Menschheit anschließt. Die meisten Menschen in der Welt denken anders und viele hauen lieber am Wochenden Teile dieser Welt kaputt. Soviel zur echten Vielfalt.

    Zitat:



    "Und wie immer werden die, die ihre Arbeit für sinnvoll halten und als großartig empfinden, das Leben derer erklären, denen der Zugang zu jener eloquenten Klasse, so oder so, verwehrt bleibt."

    Das kommt mir aber doch etwas billig vor. Es stimmt (siehe oben), dass die großen universellen Welterklärer kaum ihre eigene Blase erklären - auch die Linken, die im Selbstanspruch für die Menschheit sprechen.

    Das "verwehrt bleibt" zielt dann aber doch wieder in eine komische Richtung. Ist da wieder das "Stuttgarter Modell" oder der Beruf als taz-Autor, denen eigentlich jeder beitreten will, nur manchen wird es verwehrt? Ich denke dann doch eher, dass Menschen sehr unterschiedliche Dinge denken und wollen. Und einige haben wenig eigenen Antrieb, oder auch zuviel, (und viele andere Motivlagen) und hauen lieber Dinge anderer kaputt. Das führt auch zu neuen Dingen, aber nicht jeder findet das gut, nur weil die Grünen früher auch Dinge kaputtgehauen haben.

    Es gibt eben trotzdem Leute, die zumindest bestimmtes Kaputthauen schlecht finden - und die wird es auch weiterhin geben. Selbst wenn die Grünen früher auch kaputtgehauen haben und wenn manche kaputthauen, weil ihnen irgendwas verwehrt wurde. Das wird wohl, wie immer, nebeneinander stehen bleiben.

  • www.sterneck.net/p...ebellion/index.php

    ....der Mann ist leider auch dran gescheitert und hat sich letztendlich das Leben genommen.....



    Originalzitat:



    "Anpasser, Angepaßte, aufgepaßt:



    Ihr wollt überleben?



    Mit Rüstung? Mit Atomwaffen? Mit der Neutronenbombe? Mit Militär?



    Ihr wollt überleben?



    Indem sie euch zu Tode rüsten? Indem sie aus unserem Europa ihr Schlachtfeld machen?



    Überleben werdet ihr nur ohne Waffen.



    Überleben wird aber nur, wer Widerstand leisten kann.



    Widerstand leisten können nur jene, die schon vorher Widerstand geleistet



    haben.



    Widerstandsfähig war nie die schweigende Mehrheit.



    Widerstandsfähig sind nur die Rebellen.



    Die schweigende Mehrheit - die Angepaßten - passen sich unverzüglich auch



    einem neuen Herrscher an.



    Rebellen bleiben Rebellen.



    Wollt ihr überleben?



    Dann rebelliert!



    Hier und jetzt!"

    (1982).

  • Ein wirklich guter Artikel der sich auch stilistisch erfreulich vom schlecht geschriebenen Wutstampfen des aktuell medial so hochgekochten Müllartikels der Kolleg*in Yaghoobifarah abhebt.



    Und der Kern des randalierenden Pudels: Die Sinnfrage!



    Exzellente Analyse und auch sehr angemessen, das einer grünen Partei unter die borniert gewordene Nase zu reiben, die sich aktuelle als "linken" Flügel der CDU positionieren möchte (nachdem man die letzten Jahrzehnte erfolgreich alle "Krawallanten" aus der Partei gemobbt hat).



    Die Sinnfrage jedoch wird uns alle noch überrollen, denn unser Platz im System wird enger, wenn die Intelligenz künstlich wird und sich (erstmal) noch keine Sinnfragen stellt. Das System in Frage zu stellen oder mit neuem Sinn zu bestiften vermögen die vom System bis auf die Knochen besudelten Grünen aber nicht mehr. Die Sonnenblume ist mittlerweile aus Plastik.

  • schöner kommentar. kleine anm.: "die schärfsten kritiker der elche war früher selber welche" (gernhardt?) und überhaupt: es gibt nur "temporäre autonome zonen", d.h. von zeit zu zeit muss man weiterziehen sonst ist man selber teil des problems. einige können das nicht und dann kommt sowas wie ein katholischer, grüner ex-kommunist raus, gruselig.

    • @pjotr:

      Nein, Bernstein. FW seineszeichens.

  • Völlig überraschend. Wenn man nach Hasch sucht, aber die Radfahrer übersieht, weil man die so schlecht erwischt, wenn schlagkräftige Gegendemos erwünscht sind und politisch befürwortet werden, frägt sich das Prekariat aus der Nord Bronx und Ost (ohne Gänsheide), warum wir? Racial Profiling?



    Und unsere Politiker verkünden alle dasselbe und versuchen dabei verzweifelt, nicht so zu klingen wie die AfD.

  • Soweit sehr richtig und zustimmungswürdig! Allein: Ketamin ist in der Notfall(-human-)medizin ein sehr wirkungsvolles Mittel und auch in Hinblick auf Behandlung von schweren Depressionen in letzter Zeit sehr aussichtsreich. Und dass die Fusion sich im Gegensatz zu all den Kommerzfestivals und -clubs Gedanken um das Wohl ihrer Gäste gemacht hat sollte vielleicht auch gewürdigt werden. Trotzdem danke!

  • Sauber & ich dacht schon -

    “Wo bleibt Behle?“

    unterm—-



    Begrabt sie an der Biegung der Kehrwoche - 👹 -

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - sodann

      “ Ahoi



      Kommentare wieder freu.







      Jaja, wenn der "Protest"



      die Elbchaussee verlässt...



      bleibt für die Andren nur der Rest.“ 😈 -

      • @Lowandorder:

        Ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet.

        Erst war ich froh, mehr Zeit für meine Koi-Karpfen zu haben und endlich mit dem Aufbau des Jaguar-E-Type-Oldtimers, der schon Jahre in der Garage steht zu beginnen.

        Aber dann wachte ich eines Morgens auf und spürte, dass etwas in mir zerbrochen war.

        Und jetzt also, Stuttgart. Ich finde, die Position von Wildenhain ist lässig und richtig.

        Da werden wohl all diejenigen, die mit 40 und der Fernbedienung in der Hand, auf der Couch in die Welt gekommen sind, kaum zustimmen.

        • @Jim Hawkins:

          Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - anmerkte -

          So - "wir pausieren vorübergehend die Kommentarfunktion: Wir freuen uns darauf, bald wieder von Euch zu hören. Bis dahin wünschen wir Euch eine gute Zeit!



          Eure taz "

          "let the good vibes get a lot stronger..." www.youtube.com/watch?v=bNowU63PF5E

          Satter Rimshot - 😎 -

  • 0G
    02614 (Profil gelöscht)

    Der Kommentar trifft den Nagel auf den Kopf.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    "Dabei ist die implizite Forderung dieser einen Scherbennacht im Quartier der so verführerisch funkelnden Scheiben einer Möchtegern-Metropole nahe­liegend und deutlich vernehmbar, man muss nur halbwegs hinhören können – sie lautet: Gebt unserem Leben endlich einen Sinn."

    Und wer soll das bitte sein, an den sich die Aufforderung, Sinn für das eigene Leben zu stiften, richtet? Ich kann mich täuschen, aber hat der Autor damit implizit den Anspruch formuliert, dass "wir" es sein müssten, die dem Leben dieser Menschen einen Sinn geben? Wenn das so ist, kann ich nur sagen, dass ich mich nicht dafür zuständig fühle und es auch gar nicht könnte.

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Ich glaube, dass die implizite Forderung ganz wo anders liegt. Die Forderung, die für mich da mitschwingt, ist eher: "Lasst uns in Ruhe, oder wir sind in der Lage, eurer Glitzerwelt Schaden zuzufügen!" Immerhin fing das Ganze ja meines Wissens nach damit an, dass ein Mensch von der Polizei aufgehalten wurde und sich in die "Meute" zurückgezogen hat. Die Leute haben ja nicht einfach so angefangen, zu randalieren. Wenn da noch mehr an Forderungen drin steckt, dann wäre das zum Beispiel: Wenn ihr uns schon eine Welt vorsetzt, in der sich die Mehrheit über Konsum definiert, dann lasst uns daran teilhaben!

      Kann mir kaum vorstellen, dass die Randalierenden keinen Sinn im Leben sehen. Gemeinsam feieren ist in dem Alter schon eine ziemlich sinnvolle Angelegenheit. Nur: Dabei gestört werden will man natürlicherweise nicht.

  • RS
    Ria Sauter

    Herr Wildenhain, es ist ein sehr großer Unterschied für mich, ob jemand in Brokdorf demonstriert oder in Stuttgart Scheiben einschlägt und plündert.



    Diese Verharmlosung finde ich persönlich zum kotzen!