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Nach der BayernwahlBloß keine Aufregung

Auf das bayerische Beben folgt in der Berliner Großen Koalition ein vernehmliches Rumpeln. Der SPD bleibt wenig außer Durchhalteparolen.

Verlässt nach nur zehn Minuten die Bühne des Willy-Brandt-Hauses: SPD-Parteichefin Andrea Nahles Foto: dpa

München/ Frankfurt a.M./ Berlin taz | Isabell Zacharias’ Abbild ist abgerutscht. Gras bedeckt ihr Gesicht. Sie packt es mit der linken Hand, zieht es hoch, klopft mit der Kneifzange dagegen. Dann zwackt sie die Plastikringe durch, einen oben, einen unten, und zieht das Plakat vom Laternenpfahl. „SPD“ steht unten rechts im roten Kästchen: Zacharias wollte den Wahlkreis 108 erobern, München-Schwabing. Da wollte sie Ludwig Spaenle (CSU) ablösen. Das hat jetzt Christian Hierneis gemacht, für die Grünen. „Ich war die einzige Frau im Wahlkreis, die eine realistische Chance hatte, zu gewinnen“, sagt Zacharias.

Mit der Zange zwackt sie die anderen Plastikringe durch, die die Pappe am Pfahl hielten. Ihre „Allwetterplakate“ sind aus Altpapier, Zacharias trennt. Ein Auto hat sie nicht. „Ich brauche kein Auto. Noch nie eins gehabt.“ Zacharias fährt Rad: eins mit vorderseitigem Anhänger wie eine Schubkarre. „Damit transportiere ich meine Einkäufe, meine Kinder – meine Wahlplakate.“ Zacharias ist 53, alleinerziehend – drei Kinder, das jüngste hat Down-Syndrom. Auf der Seite ihres Fahrradanhängers kleben Regenbogensticker und ihr Name.

Als Zacharias das letzte Plakat löst, ist es etwa halb zwölf. Eigentlich wollte sie heute früher aufstehen. „Aber ich konnte gestern Abend nicht einschlafen, deshalb haben wir uns später getroffen.“ Das von Plastik befreite Plakat legt sie auf den Boden, faltet es, stellt drauf, um die Pappe möglichst flach zu pressen.

Heute entscheidet sich, ob Zacharias über ihren Listenplatz doch noch in den Bayerischen Landtag einzieht. Ausgleichsmandate bekommt die Oberbayern-SPD nicht. „Die kommen den größeren Parteien zugute. Nicht den kleineren. Zu denen gehören wir jetzt.“

Die Landtagskandidatin ist ratlos

Woran es gelegen haben könnte, dafür fallen Zacharias einige Gründe ein. Ratlos ist sie trotzdem. Bisher war sie hochschul-, kultur- und queerpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Ich habe dafür gekämpft, dass die Lage der Künstlerinnen und Künstler in Bayern besser wird.“ Sie habe viel vorzuweisen, sagt Zacharias. „Und trotzdem: Ein sauschlechtes Wahlergebnis.“ Der Wahlkampf sei zu langweilig gewesen. Die Bundes-SPD hätte mehr tun können. Außerdem würden Frauen nicht mehr Frauen wählen, sondern Männer. „Der Landtag macht es dem Bundestag nach: Das männlichste Parlament seit den 50ern.“

Gernot Grumbach ist wie Isabell Zacharias Landtagskandidat, nur nicht in Bayern, sondern in Frankfurt, wo in 14 Tagen gewählt wird. Der Chef der SPD Hessen-Süd gibt sich betont zuversichtlich. „Hessen ist anders als Bayern“ lautet seine Botschaft. Während Zacharias in München ihre Plakate abmontiert hat, war Grumbach in seinem Wahlkreis unterwegs, im Nordwestzentrum, einer Ladenmeile im Norden der Stadt. „Ich habe kleine Marmeladengläser mit meinem Foto verteilt, Geschmack Erdbeer, Johannisbeer oder Kirsch, Hauptsache rot“, sagt er. „Das ist für das Frühstück am Wahltag“, gebe er den WählerInnen mit, „damit sie die Wahl nicht vergessen“. Fast alle Angesprochenen hätten ihn ermutigt.

Bayern ist Bayern, und Hessen ist Hessen. ‚Weiter so‘ hat in Hessen einen Namen: Schwarz-Grün

Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Spitzenkandidat

In der letzten Umfrage lag die SPD in Hessen bei 23 Prozent, sechs hinter der CDU. „Das können wir aufholen“, macht sich Grumbach Mut.

Die Grünen werden übrigens mit 18 Prozent vermeldet.

Ausgerechnet an diesem Vormittag stellt der hessische Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel, auch TSG genannt, seine Wahlkampftour vor. Es soll eigentlich ein dynamischer Endspurt werden, TSG am Bahnhof Dreieich mit Pendlern, TSG beim Roten Frauensalon in Frankfurt, auf eine Suppe mit TSG in Offenbach. TSG der Mann bei den Menschen, der ihre Sorgen viel besser kennt als die schwarz-grüne Landesregierung. Aber jetzt muss er den Irrsinn in Bayern erklären. 9 Prozent!

Grabesstimmung im Berliner Willy-Brandt-Haus

Der Kandidat steht vor Kameras auf dem Wiesbadener Schlossplatz zwischen seiner Frau Anette Gümbel und seiner Generalsekretärin Nancy Fae­ser. Im Hintergrund lächelt TSG in Überlebensgröße vom Wahlkampfbus. Aber der TSG vor den Mikros schaut ernst. „Bayern ist Bayern, und Hessen ist Hessen“, sagt er. „‚Weiter so‘ hat in Hessen einen Namen: Schwarz-Grün.“

Schäfer-Gümbel muss verhindern, dass die Hessen-Grünen vom Image ihrer bayerischen Freunde als dynamische Veränderer profitieren. „Wer einen echten Politikwechsel für mehr bezahlbare Wohnungen und gebührenfreie Bildung will, muss SPD wählen. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben“, sagt er. Dann noch ein Ordnungsruf nach Berlin: „Ich erwarte von meiner Partei, dass alle jetzt mit mir in Hessen für den Wechsel kämpfen und zeigen, dass die SPD auch anders kann!“

Im Berliner Willy-Brandt-Haus herrscht an diesem Montagmorgen Grabesstimmung. Mit hängenden Schultern huschen die MitarbeiterInnen der SPD-Zentrale durch die Gänge. Mit ernsten Mienen treten pünktlich um 11.15 Uhr Andrea Nahles und Natascha Kohnen vor die Presse. Es ist ein kurzer, schmuckloser Auftritt. Martin Schulz hatte bei solchen Anlässen noch die gesamte Parteiführung antanzen lassen, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Diesmal steht niemand hinter Nahles und Kohnen auf der Bühne. Nicht einmal mehr der obligatorische Blumenstrauß wird der traurigen bayerischen Spitzenkandidatin überreicht. „Wir müssen jetzt nach vorne schauen“, sagt Nahles. Wenn nichts mehr bleibt, bleiben nur noch Durchhalteparolen.

Viel erwartet hatten die Sozialdemokraten ohnehin nicht von dieser Wahl. Bayern gilt von jeher nicht gerade als ihr Stammland. Aber dass es so knüppeldick kommen würde! Seitdem Bayern kein Königreich mehr ist, also seit hundert Jahren, hat die Partei hier noch nie so schlecht abgeschnitten.

„Wir haben in Bayern so geschlossen wie nie gekämpft in diesem Wahlkampf“, sagt Kohnen. Geholfen hat das nichts. Das Ergebnis habe „unglaublich viel damit zu tun, dass die Menschen uns mit einer ganz großen Skepsis begegnen und mit einer unglaublich großen Distanz.“ Verantwortlich macht Kohnen dafür die Große Koalition im Bund, die die bayerische SPD in einen Spagat gezwungen habe.

SPD-Spitze setzt auf Abwarten

Auch Parteichefin Andrea Nahles räumt ein, dass das schlechte Bild der Bundesregierung nicht gerade förderlich gewesen sei: „Dass sich der ganze Stil der Zusammenarbeit ändern muss, ist offensichtlich.“ Grundsätzlich will Nahles die sozialdemokratische Regierungsbeteiligung aber nicht infrage stellen. Danach gefragt, antwortet sie mit einem Schachtelsatz: „Also die Frage, ob diese Große Koalition funktioniert, auch im Sinne dessen, was wir gemeinsam verabredet haben im Rahmen des Koalitionsvertrages, entscheidet sich nicht alleine am Ergebnis, so schmerzlich es ist, einer Landtagswahl.“

Sie halte es „zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angesagt“, rote Linien zu definieren, fügt Nahles noch hinzu. Nun stehe erst mal die Wahl in Hessen an, „wo wir alle Power jetzt reinstecken, deshalb verschwenden wir unsere Kraft und Zeit nicht auf interne Debatten“. Nach exakt zehn Minuten verlassen Nahles und Kohnen die Bühne und entschwinden in den Tiefen des Willy-Brandt-Hauses zur Parteivorstandssitzung. Den Eindruck, dass sie irgendeine Idee hätten, wie die SPD wieder aus ihrem Jammertal herausfindet, haben die Parteivorsitzende und ihre Stellvertreterin nicht vermitteln können.

Routiniert beschließt der Vorstand, sich Anfang November zu einer Klausur zu treffen. Die SPD-Spitze setzt auf Abwarten. Das Kalkül: Dann ist das Debakel in Bayern verblasst und von einem besseren Ergebnis in Hessen überdeckt.

„Wer jetzt den Schuss nicht gehört hat, dem ist nicht mehr zu helfen“, ärgert sich Marco Bülow. Der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete war schon immer strikt gegen die Große Koalition – und hält immer noch nichts davon, auf ein besseres Morgen zu hoffen. „Auch für Hessen wäre es doch besser, wenn die SPD in Berlin diskutiert und nicht ruhig bleibt“, sagt er der taz. „Die hessischen Genossen brauchen das Signal, dass nicht alles bleibt, wie es ist.“ Bülow denkt laut über radikale Lösungen nach: „Nur raus der Groko reicht nicht mehr“, ist er überzeugt. „Wir müssen über alles reden: einen kompletten Wechsel der Führung und einen kompletten Wechsel der Strategie.“

Allerdings fehlen sowohl für das Ende der Groko in Berlin und erst recht für ein Tabula rasa in der Partei entschlossene AkteurInnen und Mehrheiten. Die moderate Parteilinke hält nach dem bayerischen Debakel den Ball flach. Bei einem Basiskongress der SPD-Linken am Freitag in Berlin war zudem der Zuspruch bescheiden. Revolten beginnen anders.

Wenigstens zwei sind sich hier einig

Isabell Zacharias von der SPD montiert in München noch ihre Wahlplakate ab, da tritt in Berlin die Konkurrenz vor die Presse. Oder sollte man besser sagen, die Leidensgenossen? Schließlich geht es der Union kaum besser als den Sozialdemokraten, hat auch die CSU in Bayern knapp 10 Prozentpunkte verloren.

Der wahlkämpfende Hesse Volker Bouffier, dessen CDU in den Umfragen 9 Prozentpunkte unter dem Ergebnis von 2013 liegt, versucht es mit ein bisschen Zuversicht. Er präsentiert ein Plakat, auf dem steht: „Jetzt geht’s um Hessen: BOUFFIER“. Seine PR-Agentur hat auch gleich noch Buttons mit dem Slogan produzieren lassen. Volker Bouffier trägt ihn nun am Revers, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Ausschnitt ihrer signalgrünen Bluse. Wenigstens zwei sind sich hier einig.

Der 66 Jahre alte Landesvater würde gern seine schwarz-grüne Regierungskoalition wiederauf­legen. Aber aktuell kämen beide zusammen nicht über die erforderlichen 45 Prozent hinaus. Seine Angst, das Abstrafen der CSU durch die Bayern würde am 28. Oktober auch von seinen ­HessInnen praktiziert, ist spürbar. „Hessen ist anders“, raunzt er in seinem unnachahmlichen ­Timbre, nämlich erfolgreich und ohne Zoff mit den Grünen. „Wenn uns die ganze CDU dabei unterstützt, kann das nur helfen“, sagt er und macht für die Fotografen eine heranholende Geste.

Klar ist: Wenn Bouffier scheitert, steht die CDU-Parteiführung in Frage. Und damit die Regierungsfähigkeit. Bei der CDU heißt sowohl die Partei- als auch die Regierungschefin Angela Merkel. Und die möchte sich nach jetzigem Stand Anfang Dezember zur Wiederwahl für das Amt der Vorsitzenden stellen.

Ist Merkel noch die Führungsfigur?

Als Regierungschefin wird ihr die Hauptverantwortung für den desaströsen Auftritt der Großen Koalition zugewiesen. Ist Merkel noch die Führungsfigur? Dass sie am Montag nach der Bayernwahl nicht die Gelegenheit nutzt, sich nach den Sitzungen vor Vorstand und Präsidium zu äußern, spricht nicht eben dafür.

Jetzt alle mal zusammenrücken und den Hintern zusammenkneifen. So in etwa könnte man die Gefechtslage unter den CDU-Funktionären beschreiben – nicht unähnlich den Sozialdemokraten. In der CDU-Parteizentrale huschen am Montagnachmittag die Vorstands- und Präsidiumsmitglieder auffallend wortkarg an den wartenden JournalistInnen vorbei zu ihren Limousinen. Alle tragen sie den Bouffier-Button. „Unspektakulär“, „geordnet“, das sind so die Beschreibungen für die hinter ihnen liegenden Sitzungen. Die Botschaft ist klar: Wenn wir uns jetzt wie die Bayern fetzen, geht für uns die Hessenwahl flöten.

Nur einer traut sich aus der Deckung. Thüringens Landeschef Mike Mohring sagt über das fremdenfeindliche Getöse der CSU, die Schwesterpartei habe „die richtigen Fragen gestellt“, aber den Ton nicht recht getroffen. Mohring, bekannt als einer der jüngeren Scharfmacher aus dem Anti-Merkel-Team, will beim CDU-Landesparteitag am kommenden Wochenende zum Spitzenkandidaten gewählt werden. Zusätzlich ist es ihm ein Anliegen, zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass seine Parteivorsitzende dort auftreten wird. „Sie hat mich im Februar gefragt: Wann machst du Wahlparteitag? Ich komme.“ Mohring macht an diesem Montag nicht unbedingt den Eindruck, als freue er sich auf den Besuch aus Berlin. Die Merkel-Entourage, sie war auch schon mal respektvoller.

Es ist kurz nach neun, als der bayerische Wirtschaftsminister auf den Eingang der CSU-Zentrale zusteuert. „Worauf warten Sie eigentlich“, fragt Franz Josef Pschierer die Journalisten. „Glauben Sie, dass das irgendwie spannend wird heute?“ In Pschierers Frage schwingt etwas Ironie mit, schließlich ist es die Sitzung des CDU-Vorstands am Morgen danach. Auf der Tagesordnung stehen Fragen, die nicht alltäglich sind, schon gar nicht in Bayern: Mit wem soll man koalieren? Welche Lehren zieht man aus dem katastrophalen Wahl­ergebnis, wer wird Ministerpräsident? Und doch soll der Minister vollends recht behalten: Der Verlauf der Sitzung gestaltet sich recht erwartbar.

Hessen ist anders. Wenn uns die ganze CDU dabei unterstützt, kann das nur helfen

Volker Bouffier, CDU-Spitzenkandidat, bei seinem Auftritt in der Berliner CDU-Zentrale

Dabei ist es ja wirklich absurd: Die CSU fängt bei der Wahl die größte anzunehmende Watschn ein und macht sich als Erstes daran, festzulegen, wer alles bleibt: der Regierungschef, der Frak­tionschef, der Parteichef. Und dann einigt man sich auch noch darauf, dass man am liebsten mit den Freien Wählern koalieren möchte. Klar, eine bürgerliche Koalition verspricht schließlich die geringste Veränderung.

Ein bisschen Kritik soll es in der Sitzung auch gegeben haben, vor allem an Horst Seehofer. Die kommt etwa vom ehemaligen CSU-Chef Theo Waigel oder regionalen Parteigrößen. Sonst bleibt alles ruhig. Als er gemeinsam mit Söder am Nachmittag vor die Presse tritt, spricht Seehofer nur von einer langen, offenen, ehrlichen und intensiven Debatte.

Keine Antworten auf die wichtigsten Fragen

Die Frage, ob es Schuldzuweisungen an ihn gegeben habe, will er nicht beantworten. Auch nicht, ob er eine Sekunde lang an Rücktritt gedacht habe. Stattdessen verspricht er, dass es nach der Regierungsbildung in Bayern in einem „geeigneten Gremium“ eine tiefere Analyse des Wahlergebnisses und eine Erörterung möglicher Folgen ­geben werde – mit allen Vorschlägen, die es konzeptionell, aber auch personell geben mag.

Kenne man doch schon, wendet ein Journalist ein, solche Analysen würden immer gern nach Wahlniederlagen angekündigt, versandeten dann aber im politischen Alltag schnell wieder. Diesmal werde es nicht so kommen, verspricht Seehofer. Sobald „der Markus“ mit seiner neuen Regierung im Amt sei, könne man loslegen. Söder hebt eine Augenbraue: „Also liegt’s an mir?“

Das Zeitfenster ist ohnehin kurz: In vier Wochen muss der Landtag den Ministerpräsidenten wählen. Es ist ein Zeitfenster, das Seehofer entgegenkommt. Er weiß, dass viele in der Partei in dieser Zeit keine Debatte über seine Person führen wollen. Zu groß die Gefahr von Verwerfungen, die Gefahr, dass Seehofer noch andere mit in den Abgrund reißen könnte.

Was er denn aus dem Ergebnis gelernt habe, wird Seehofer schon auf seinem Weg in die Sitzung gefragt. Da spricht er von Wählerwanderungen und dass man den Trend umdrehen müsse. Von den Veränderungen in der Gesellschaft, von der Herausforderung, die die Grünen in den Großstädten darstellten. Und nein, die Sonderstellung der CSU sei nicht geschwächt, das Ergebnis sei zwar „nicht gut“, aber man habe doch einen Regierungsauftrag erhalten. Das Eingeständnis eigener Fehler sieht anders aus.

Es wirkt fast, als habe die Partei manche Verhaltensweisen nach Jahrzehnten selbstgefälliger Regierung einfach nicht mehr im Repertoire. Selbstkritik findet man allenfalls in homöopathischen Dosen. Als Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wenig später vor der Tür ebenfalls gefragt wird, ob Berlin etwas falsch gemacht habe, erwidert er nur: „Ich erkenne die Falle, aber Sie haben Verständnis, dass ich darauf nicht antworte.“

Eine Freundin reicht ein Taschentuch

Auch Söder ist guter Dinge, lächelt fröhlich, als er sich am Montag vor den Journalisten aufbaut. Vor einem Jahr, als die Bundestagswahl gerade verloren gegangen war, blickte man hier nur in versteinerte Gesichter. Wer heute solche Mienen sehen will, der muss zur SPD gehen. Söder spricht sogar von einem „tollen Schlussspurt“ und dass seine klare Abgrenzung zur AfD Wirkung gezeigt habe. Klar, mache auch er sich Sorgen – um die SPD. Bayern bräuchte eine zweite Volkspartei.

Die gescheiterte Münchner SPD-Direktkandidatin Isabell Zacharias montiert ihre letzten Plakate ab. Wenn sie dabei über die Zukunft spricht, kommen ihr kurz die Tränen. Sie entschuldigt sich, eine Freundin reicht ihr ein Taschentuch. Was sie besonders beschäftige, sei gar nicht sie selbst, sagt Zacharias. „Ich mache mir Sorgen, in welche Richtung wir gehen. Polen, Finnland, Schweden, Ungarn, Italien Österreich, überall Rechtsruck. Gestern ist er in Bayern angekommen. Das rechte Lager hat mehr Sitze als vorher. CSU und FDP ahmen die AfD nach.“

Schließlich ist das letzte Plakat im Fahrradanhänger. Zacharias verabschiedet sich. „Ich gehe gleich Mittag essen. Heute Nachmittag hole ich meinen Jüngsten im Hort ab, was ich seit Wochen nicht getan habe. Und danach werde ich mit ihm ein Eis essen gehen.“ Einen großen Becher. Und irgendwann kommt auch noch die Auszählung der Zweitstimmen, die entscheidet, wer noch Listensitze bekommt. Zacharias steht auf Platz 7.

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15 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Jetzt heißt es Durchhalten, Ruhe bewahren und die Notausgänge frei halten. Normal!?

  • taz: Münchner SPD-Direktkandidatin Isabell Zacharias „Ich mache mir Sorgen, in welche Richtung wir gehen.“

    Die SPD und ihr Niedergang. – Der kleine Bürger lässt sich eben nicht mehr für dumm verkaufen, das sieht man ja schön an den Wahlergebnissen der SPD. So ist es eben, wenn man Goethes Zauberlehrling spielen will, ohne etwas von der Zaubererkunst zu verstehen. Die Geister die man rief (Agenda 2010), die wird die SPD nicht mehr los. Die einst soziale Partei hat sich seit der Agenda 2010 doch immer mehr zerlegt. Aber anstatt sich von dem Urheber dieser Agenda-2010-Politik - also Gerhard Schröder - endlich zu distanzieren, machen die SPD-Lemminge mit dem Abbau des Sozialstaats immer weiter und hüpfen freudig über die Klippe. Die CDU/CSU freut sich jedenfalls, denn die SPD hat die Schmutzarbeit für die CDU/CSU in den ganzen vergangenen GroKos gemacht, und wird dafür seit Jahren von ihren Wählern abgestraft. Die Arbeitgeberpartei CDU konnte ihre Konkurrenzpartei SPD sogar noch ausschalten, ohne sich groß anzustrengen, denn die SPD hat sich selbst zerlegt.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Ricky-13:

      SPD nicht zu wählen ist noch kein Hinweis auf politische Klugheit. Die Mehrheit von CSU/CSU, Freien Wählern und FDP ist ein untrügerisches Zeichen dafür, dass sich der Bürger doch für dumm verkaufen lässt. Es muss nur rechts genug sein.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Die Frage ist doch: Welche Partei kann man überhaupt noch wählen? Sobald es gute Posten zu ergattern gibt, sind doch alle Politiker gleich. Die Grünen verkaufen sich für Ministerposten doch auch an die CDU und wie lange es noch dauert, bis die CDU/CSU mit der AfD gemeinsame Sache macht, kann ich mir jetzt schon denken. Es sind eben Berufspolitiker und keine Volksvertreter. Da zählt nur die eigene Erfolgsleiter und das eigene Konto, aber sicherlich nicht die Sorgen der Bürger.

        „Die Politik ist das Paradies zungenfertiger Schwätzer“



        [George Bernard Shaw]

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Wenn Parteien bei Wahlen verlustreich abrutschen, haben die Wähler „zugeschlagen“. Getroffen haben sie den Sack - gemeint war der Esel. Die politisch handelnden Personen im Bund und zunehmend auch in den Ländern betreiben in beänstigender Weise eine reine Selbstoptimierung. Der Staat nimmt jedem arbeitenden Menschen mittelweile 70% seines Erwerbseinkommens direkt oder indirekt als Steuern weg - ohne das Bürgerinnen und Bürger individuellen oder kollektiven Fortschritt bzw. Verbesserungen bemerken. Jetzt kommen Enttäuschung und Säuernis. Das Auswechseln der aktuellen Führungsriege wie Merkel, Seehofer und Nahles bringt praktisch nichts - nachrücken würde ja die auf absahnen gezüchtete 2. Riege. Ich persönliche kenne Bundestags- und Landtagsabgeordnete, die außer einem Abitur und einer politischen Familiendynastie keinerlei Wertschöpfungsaktivitäten vorzuweisen haben und nach Abschluss ihrer politischen Tätigkeit Alterssicherungen erhalten, von denen selbst Gutverdienende nur träumen können. Seit Jahren verlassen wir die Demokratie „ehrenhalber“ in Richtung „gekaufter“ Politmanager. Langsam zeigen sich die ersten Folgen.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @97088 (Profil gelöscht):

      @WOLFGANG SIEDLER



      Da ist sehr viel Wahres dran. Die Frage, die sich stellt(e): Wie verhindert man, oder wenigstens, inwieweit erschwert man die Herausbildung einer Polit-Kaste wie Sie sie beschreiben? Wir haben es Jahrzehnte verschlafen, uns mit dieser Frage ernsthaft auseinanderzusetzen, ja sie überhaupt erst als eine bedeutende Grundsatzfrage unserer Demokratie wahrzunehmen

      • 9G
        97088 (Profil gelöscht)
        @61321 (Profil gelöscht):

        Na ja: Mandatsbegrenzung auf maximal zwei Legislaturperioden, keine Kettenmandaten, Alterssicherungsanteile z. B. auf Basis von Richterbezügen, Begrenzung der Mandatsplätze für Parteien zu Gunsten „freier“ Beweber, etc.

  • Bei allem Respekt vor Frau Zacharias und ihren Leistungen als alleinerziehende Mutter dreier Kinder - aber:



    "Sie ist (...) queerpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Ich habe dafür gekämpft, dass die Lage der Künstlerinnen und Künstler in Bayern besser wird.“"



    Langsam verstehe ich, warum die SPD unter 9% abgerutscht ist...

  • „Wir müssen über alles reden: einen kompletten Wechsel der Führung und einen kompletten Wechsel der Strategie.“

    Recht hat er. Nicht nur für die SPD.

  • Das Problem der SD ist: Sie hat nicht den Mut, etwas zu riskieren, unbequem zu werden, aufzustehen und 'NEIN' zu sagen, auch zu einer Koalition, die sie kaltlächelnd über den Tisch zieht und letztendlich nur benutzt und sie dann zerlegt. Parteisoldaten - äh -genossen sind nicht mehr die Mehrheitsbeschaffer, es sind mehr die jungen Rebellen, die frischen Wind zu bringen wissen, die die nicht in langen Jahren Frondienste an der Parteifront abgeleistet, sich rundschleifen und verschleißen lassen haben, sondern sich eigene Gedanken machen, die sich die Köpfe heiss diskutieren und auch anderen mal zustimmen können. Und die, die noch in der Lage sind ihrem eigenen Gewissen, für das sie gewählt worden sind, zu folgen.

  • Die SPD wird nicht mehr gebraucht - von den Wählern. Die Wirtschaft und vor allem die Finanzindustrie lechzt auf einen zweiten Gerd Schröder - nur wird der nicht kommen. Stattdessen wird die SPD den Turn-Around nicht hinbekommen. Die Partei hat kein klares Profil, fischt im selben Teich wie CDU, CSU, FDP, AfD und Grüne nur mit schlechterem Profil. Ich denke mal, in zwei oder drei Legislaturperioden wird die SPD bereits mit der Fünf-Prozent-Hürde kämpfen. Und das liegt daran, dass diese Partei sich nicht regenieren kann. Sie besteht nur aus Karriersten des Öffentlichen Dienstes, die Beförderungen anstreben. Das ist viel zu wenig, um wirklich um Macht kämpfen zu wollen. Und das wahllose Eintreten in Regierungen hat der Partei eine besondere Schlagseite verpasst - Besserung nicht in Sicht. Denn die Karrieristen vom Ortsamt sind die gleichen wie an der Spitze, nur dass die eben Minister, Staatsminister oder Staatssekretär werden wollen. Aber um Macht mit Idealen, Inhalten und Ideen kämpfen wollen sie nicht. Sie treten offensiv für den Status Quo ein - und fahren persönlich dabei extrem gut, wie z.B. Scholz oder Gabriel. Für sie persönlich zahlt sich das starke Absacken der SPD eben noch aus: Konkurrenz und Machtkämpfe finden in der Partei ja nicht mehr statt.

  • Die Bemerkungen Isabell Zacharias (SPD) sind typisch für die SPD und erst recht für die arroganten SPD Politiker in München. Sehen Sie sich nur deren Facebook Seiten an. Kommentare der Bürger nicht zugelassen. Diskussion unerwünscht! So operiert die Bayern SPD schon immer. Selbst die rechtsradikalen von der AfD oder der UNION, zensieren ihre Facebook Kommentare nicht und lassen Bürger zu Wort kommen.



    Isabell Zacharias ist wirklich ein sehr sympathischer Mensch, aber eines sollte sie doch anerkennen. Wenn es darauf ankam, Haltung, Moral und Anstand (alles Themen was die SPD in München plakatiert hat) zu zeigen, haben sie allesamt in der Bayern SPD versagt. Totalausfall! Und noch schlimmer, sie wussten es auch, dass diesen Totalausfall der Bürger ihnen nicht binnen 12 Monate vergessen wird. Als die SPD Fraktion im Bay. Landtag März 2018 geschlossen für die erneute GroKo Auflage stimmte, obwohl sie vor der Bundestagswahl und gleich nach der Bundeswahl eine GroKo kategorisch abgelehnt hatten. Insgeheim hofften sie wahrscheinlich, der Bürger werde schon bis zur Landtagswahl vergessen haben.



    Nach so einem Hin und her, GroKo nein, nochmals GroKo nein und anschließend JA, sowas vernichtet selbst bei Gutgläubigen jedwedes Vertrauen. Jetzt so zu tun, als sei man völlig überrascht vom Wähler, ist scheinheilig.

    Wenn Natscha Kohnen (SPD Spitzenkandidatin) sagt:



    „unglaublich viel damit zu tun, dass die Menschen uns mit einer ganz großen Skepsis begegnen und mit einer unglaublich großen Distanz“ und dafür die GroKo im Bund Verantwortlich macht, wieso hat dann Fr. Kohnen u F. Zacharias ihre Pfoten für die GroKo gehoben?

    Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen SPD) ist das Selbe in Grün wie in Bayern. Der hessische SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel hielt das Ergebnis der Berliner Koalitionsverhandlungen Februar 2018 für „richtig gut“. Er hat offensiv für die GroKo geworben, obwohl er zur BT-Wahl ebenfalls eine erneute GroKo ausgeschlossen hatte. Pfuii!

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Ich finde aber, man sollte sich jetzt nach der Bayernwahl nicht so viel beschäftigen mit den Altverlierern (die SPD pflegt das nun schon seit einigen Jahren im Bund, in Bayern seit Jahrzehnten), sondern über die Neuverlierer. Warum die SPD in Bayern seit 20 Jahren + vor sich hindümpelt ist eine Sache, warum die kraftstrotzende und präpotente CSU nun von vorgestern auf heute 10 Prozent einbüßt, ist die weit interessantere Sache, wenn man wissen will, was eigentlich los ist und warum die Wähler solche Purzelbäume schlagen.

    • @91672 (Profil gelöscht):

      2008 ist die CSU von 60,7 auf 43,3 abgestürzt, somit ist 2018 nichts Neues.



      Allerdings ist die CSU in den letzten 25 Jahren von 50+ auf 37+ abgestiegen - ein Verlust von +- einem Drittel der Stimmenanteils. Die SPD verlor zwei Drtittel und das ist Grund genug zu fragen warum?

      • 9G
        91672 (Profil gelöscht)
        @agerwiese:

        Mich interessiert das z.B. überhaupt nicht, weil die SPD in Bayern doch nicht in Regierungsverantwortung kommen wird. Das ist zur Zeit in Bayern so wichtig, wie der berühmte umgefallene Reissack in China.