piwik no script img

Nach dem Flugzeugbrand in TokioEvakuiert in 90 Sekunden

Zwei Flugzeuge in Japan kollidieren und gehen in Flammen auf. Alle 379 Passagiere des Airbus A350 überleben – nicht nur dank der gut trainierten Crew.

Ein Flugzeug der Japan Airlines brennt auf der Startbahn des Flughafens Haneda am Dienstag, 2. Januar 2024 in Tokio, Japan Foto: Kyodo News/via ap

Tokio taz | Nach der Kollision von zwei Flugzeugen auf dem Tokioter Großflughafen Haneda konzentrieren sich die Ermittlungen auf den Funkverkehr zwischen Fluglotsen und Piloten. Am Dienstagabend Ortszeit war ein Airbus A350 auf einem Inlandsflug der Japan Airlines (JAL) kurz nach dem Aufsetzen auf der Landebahn mit einem Bombardier-Propellerflugzeug der Küstenwache kollidiert. Dieses transportierte Hilfsgüter für die Erdbebenopfer in Westjapan.

Obwohl beide Flugzeuge brannten, konnten sich alle 379 Insassen aus dem Airbus retten, nur 14 Passagiere wurden leicht verletzt. Der Küstenwachen-Pilot überlebte mit schweren Verbrennungen, seine fünf Besatzungsmitglieder starben.

Das japanische Amt für Verkehrssicherheit konnte am Mittwoch zunächst den Flugschreiber und den Stimmenrecorder aus den verkohlten Überbleibseln der Bombardier-Maschine bergen. Am JAL-Airbus erschwerte der samt der Pilotenkanzel völlig ausgebrannte Rumpf die Suche.

Die Polizei ermittelt wegen Fahrlässigkeit im Amt. Nach Angaben von Japan Airlines ergab eine Befragung ihrer Piloten, dass sie vom Tower eine Landerlaubnis erhalten hatten. Ein Web-Mitschnitt des Funkverkehrs mit der JAL-Maschine – „Japan 516, setzen Sie Ihren Anflug fort“ – schien diese Aussage zu bestätigen. Nach Informationen der Agentur Kyodo besaß die kleine Transportmaschine keine Erlaubnis, auf die Start- und Landebahn zu rollen. Der Pilot habe jedoch nach dem Unglück das Gegenteil behauptet.

Evakuierung unter erschwerten Bedingungen

Die 379 Airbus-Insassen verdankten ihr Überleben einer Evakuierung wie aus dem Lehrbuch. Zwar müssen moderne Flugzeuge nachweisen, dass eine vollständige Evakuierung über die Hälfte der Notausgänge in 90 Sekunden gelingt. Doch die JAL-Besatzung kämpfte mit widrigen Umständen.

Die Maschine war wegen des weggebrochenen Bugrads nach vorne gekippt. Durch das brennende Kerosin auf der Außenhaut des Rumpfes füllte sich die Kabine mit Rauch, die Temperatur stieg. „Es war wie in der Sauna“, berichtete ein Passagier. Die Sprechanlage funktionierte nicht mehr. Die Stewardessen forderten die Passagiere über Megaphone und durch laute Rufe auf, ruhig zu bleiben und Mund und Nase zu bedecken.

Japan Airlines sind in der Branche bekannt für das akribische Sicherheitstraining der Crews. Neue Besatzungsmitglieder üben die Evakuierung bis zu drei Wochen lang, das Training wird jährlich wiederholt. Davon war Airbus so beeindruckt, dass der Konzern sich von den JAL-Methoden zu seinem im Vorjahr eröffneten Sicherheitszentrum in Toulouse inspirieren ließ.

Passagiere haben richtig reagiert

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Auch die Passagiere leisteten einen Beitrag zu ihrer eigenen Rettung. Videoaufnahmen aus der Kabine zeigen, dass sie den Anweisungen der Crew folgten und sich auf ihren Plätzen nach vorne duckten. Eine Kinderstimme schrie in förmlichem Japanisch: „Lassen Sie mich schnell hier raus!“, aber trotz der lodernden Flammen auf den Tragflächen, die ins Flugzeug leuchteten, blieben alle anderen ruhig.

Weil der Rumpf und die Tragflächen teilweise brannten und ein Triebwerk sich noch drehte, konnten nur drei der acht Notausgänge geöffnet werden. Daher mussten alle Passagiere entweder erst ganz nach vorne oder ganz nach hinten gehen, um sich über Notrutschen in Sicherheit zu bringen.

Die Videos zeigen, dass die Passagiere ihr Handgepäck zurücklassen. Das beschleunigte die Evakuierung zusätzlich. Schon wenig später erfassten die Flammen das Vorderteil der JAL-Maschine. „Ich bin den Leuten von JAL und den Göttern so dankbar“, erklärte ein 10-jähriger Junge nach seinem Entkommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Kleine Korrektur: laut anderen Meldungen hat die Evakuierung etwa 15 Minuten gedauert und war nach 18 Minuten abgeschlossen.

  • 9G
    94799 (Profil gelöscht)

    Was bei der Rettung der Passagiere völlig untergeht ist der Umstand, dass die AIRBUS-"Flugmaschine" zum grössten Teil aus brennbarem Kunststoff besteht - Gewichtseinsparungen auf Kosten der Sicherheit bei Feuer?

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Der Rumpf besteht aus Kohlefaserverbundstoffen. Manche Rümpfe bestehen aber auch aus Aluminium, welches bei Temperaturen von ca. 600-650°C schmilzt, somit temperaturbeständiger aber auch teurer ist.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Kohlefaserverbundstoffe im Flugzeugbau müssen mindestens so schwer entflammbar und schwer brennbar sein wie Flugzeugaluminiumlegierungen . Sie sind auch deutlich teurer und schwerer zu verarbeiten, aber dafür steifer, leichter und damit spritsparender. Außerdem schmelzen Metalle zwar erst bei höheren Temperaturen (Aluminium wie oben geschrieben bei 600 bis 650 Grad), verlieren aber viel früher ihre Festigkeit. Dass der brennende Rumpf des Airbus 350 beim Rutschen über die Landebahn nicht zerbrach, war ein Riesenglück. Ein älteres Flugzeugmodell (und abgesehen von der ebenfalls mit ein Kohlefaserverbundstoffrumpf ausgestatteten Boeing 787 gibt es nur ältere Flugzeugmodelle) wäre allerdings mit an Sicherheit anzunehmender Wahrscheinlichkeit auseinandergebrochen, denn für sie gelten noch deutlich geringere Vorschriften für Härte, Steifigkeit und Bruchsicherheit.

        Sicherheitsvorschriften für die Hardware eines Flugzeugs beziehen sich im Allgemeinen auf die Zeit der Erstzulassung eines Flugzeugmodells, bei der Boeing 737 sind das die 60er Jahre. Wer es genauer wissen will, mal nach "grandfathering" googeln.

  • In Krisen / Katastrophensituationen reagiert die sehr grosse Mehrheit der Menschen ruhig und kooperativ. Es braucht natürlich genaue Infos! Respekt dem Team der Flugmaschine, die sich schnell den erschwerten Evakuationsbedingungen angepasst hat !

  • Mein Beileid an die Angehörigen der 5 Menschen des Katastrophenschutzes.

    Gleichzeitig ist es bewundernswert wie eine Maschine mit über 300 Menschen in 90 Sekunden evakuiert werden kann. Respekt!

  • Danke für die seltene positive Sichtweise auf die glückliche Rettung. Gerade einen Tag vorher geisterten die Opferzahlen zum Vorjahr herum. 80 Tote. Diese sind, wie gerade erst bemerkt, ein schönes Beispiel für eine Kopierwelle einer Falschnachricht, die wahrscheinlich durch einen Flüchtigkeitsfehler beim Abtippen entstand und weiterverbreitet wurde. Ältere Artikel erwähnen schon am 25.12.2023 86 Todesopfer bei zwei Unglücken mit zivilen Flugzeugen ab 14 Sitzplätzen weltweit in 2023.



    duckduckgo.com/?q=...ug+todesopfer+2023

  • In Europa undenkbar diese japanische Disziplin. Ruhe bewahren, nächster Ausgang suchen und dem Personal Folge leisten, wie in der Anleitung beschrieben. In Amerika sowieso undenkbar. Da wird erstmal das Handgepäck aus dem Fach gekramt und die Rettungsgasse blockiert.

    Natürlich darf man jetzt nicht den Fehler machen, und Japaner als "perfektes Volk" romantisieren. "Disziplin" bedeutet auch ein strenger, nahezu militärischer Erziehungsstil, der den Spaß am Leben schon im Kindesalter unterdrückt.

    Es ist auf jeden Fall schön zu lesen, dass die Menschen es alle raus aus dem Flugzeug geschafft haben. Schade um das Flugzeug - hatte erstmal die Befürchtung JA784A oder JA607A hätte es erwischt. Wäre schade um die Lackierung gewesen.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Das war noch nicht einmal der "nächste Ausgang", sondern die geöffneten Ausgänge waren weit entfernt. Einige der Passagiere mussten quer durch das ganze Flugzeug. Insgesamt waren nur 2 der 10 Notausgänge richtig nutzbar. Ein dritter wurde geöffnet, aber den Augenzeugenberichten nach von der Crew wieder gesperrt, da die Passagiere dort sehr nah hinter dem noch laufenden Triefwerk aufkamen. Wären da einige Passagiere in Panik in den Abgasstrahl rein relaufen, wäre das fatal gewesen.

      Ein wenig mehr dieser Disziplin würde ich mir aber in unserer Gesellschaft auch wünschen, auch wenn das Erlenen nicht nur Freude bereitet. So sind es doch Kleinigkeiten wie man kein öffentliches Eigentum vorsätzlich beschädigen sollte, seinen Müll aufräumt, etc.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Vielleicht liegt es ja auch daran, dass bei uns Rücksichtslosigkeit und Egomanie auch gerade in den sogenannten "sozialen" Medien als Erfolgsfaktoren propagiert werden.

  • Wenn man auf einem deutschen Flug so Leute hat, wie die, die Sandsäcke vom Deich stehlen, um ihr eigenens Haus "zu schützen", werden wohl im Falle eines Feuers an Bord auch eher Kosmetikkoffer gerettet als Menschenleben ...

  • die Videos zeigen vor allem Menschen die die Rutsche am hochaufragenden Heck benutzen.

    • @Friderike Graebert:

      Dieser 3. Notausgang am Heck wurde den Augenzeugen nach aber wieder gesperrt, da das Triebwerk auf dieser Seite noch lief. Es ist in der besagten Aufnahme deutlich zu sehen, wie die Rutschenbenutzer die Nähe zum Triebwerk meiden. Wenn da jemand in Panik in den Abgasstrahl läuft wäre das fatal.

    • @Friderike Graebert:

      Bei The Telegraph sieht man tatsächlich eine Backbord Notrutsche am Heck, aber keine Menschen ...

    • @Friderike Graebert:

      Ja, es gab nur noch 3 Notausgänge, vorne links / rechts und hinten der am Heck (*).



      Die hatten alle ziemlich Glück, auch das sie rechtzeitig zum stehen gekommen sind. Möchte mir gar nicht vorstellen wie das bei den uns üblichen "Rollkoffergeschwadern" abgelaufen wäre. So eine Evakuierung kann wahrscheinlich nur in Japan ablaufen.

      --



      (*) en.wikipedia.org/w...t_runway_collision

      • @Thorsten Gorch:

        Obwohl ich bei der jungen Generation schon noch Hoffnung habe. Vor Weihnachten habe ich in der Straßenbahn mehrere Kindergartengruppen auf dem Weg von und zum Weihnachtsmarkt erlebt. Sehr diszipliniert auch ohne Anweisungen und höchstens lustig aber nicht laut. Dem gegenüber ein Rentnergruppe in der Regionalbahn .... wenn ich da öfter fahren müsste müsste ich mir Noise-Cancelling-Ohrhörer besorgen, ich dachte ich bekomme Tinnitus und bei Ein- und Aussteigen haben die sich fast umgebracht. Wo die doch angeblich früher alle so gut erzogen worden sind?!

      • @Thorsten Gorch:

        Die Japaner sind in der Hinsicht auch von Kind an ganz anders sozialisiert worden. Die Kinder lernen, sich auf ein bestimmtes Stichwort, das völlig ungeplant und spontan im Unterricht fällt, z.B. unter den Tisch zu werfen.



        Und es gibt riesige, volksfestartige Erdbebenübungen mit tausenden Teilnehmern: In ruckelnden Erdbebensimulatoren krabbeln z.B. ganze Familien dabei unter Küchentische. Aus dem Grund ist die Nachbarschaft auch in Zivilschutz-Gemeinschaften organisiert. Die haben einen kleinen Transporter mit dem Nötigsten und fangen oft vor dem Eintreffen der Feuerwehr schon mit dem Löschen an!

        Und sie sind dementsprechend, bezogen auf den jetzigen Fall mit dem Flugzeug, in der Lage geordnet und diszipliniert das Flugzeug zu verlassen. So etwas wäre in Europa und vor allem in Deutschland gar nicht möglich.

        • @SeppW:

          "Die Sprechanlage funktionierte nicht mehr. Die Stewardessen forderten die Passagiere über Megaphone und durch laute Rufe auf, ruhig zu bleiben und Mund und Nase zu bedecken."



          Ihre Ausführungen zu Japan sind zu unterstreichen, ich habe starke Bedenken, dass in Düsseldorf oder München eine Evakuierung, selbst bei einem Inlandsflug, derart erfolgreich sein könnte. Aber die Kritik an anderswo übertriebener Disziplin bleibt. Gehorsam in der japanischen Gesellschaft und die Vasallentreue als eingeforderte Loyalität zum Arbeitgeber sind Attribute, die mit Einschränkungen der Freiheit verbunden sind, für uns hier befremdlich und gesellschaftlich überwunden.



          /



          taz.de/Phaenomen-Karoshi/!5153454/