Nach dem Ende der Kämpfe um Bergkarabach: Armenier brennen ihre Häuser nieder

Die beiden Kriegsparteien haben einander gefallene Soldaten übergeben. Aus einigen Regionen Berg-Karabachs, die an Aserbeidschan gehen sollen, fliehen die Bewohner.

Menschen auf einer Mauer des Klosters Dadivank. Eine Person hält eine armenische Flagge. Im Mittelpunkt der Klosterturm, umhüllt von Rauch

Gläubige besuchen ein letztes Mal den Klosterkomplex von Dadiwank, bevor aserbeidschanische Truppen in das Tal einrücken Foto: dpa

BAKU/ERIWAN/SCHAREKTAR dpa/afp | Nach der Ankunft russischer Friedenstruppen in der Konfliktregion Berg-Karabach im Südkaukasus haben Aserbaidschan und Armenien einander mehrere gefallene Soldaten übergeben. Dabei handele es sich um Soldaten, die bei den Kämpfen um die von Aserbaidschan zurückeroberte Stadt Schuscha ums Leben gekommen waren, teilte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium am Samstag in der Hauptstadt Baku mit. Unterdessen kehrten mehrere vor den Kämpfen geflüchtete Menschen in die Hauptstadt Stepanakert zurück.

In Videos war zu sehen, wie vor allem Frauen und Kinder sowie ältere Bewohner in elf Linienbusse stiegen und zurück nach Berg-Karabach gebracht wurden. Bei ihrer Ankunft lagen sich einige mit ihren Angehörigen in den Armen. Es flossen Tränen.

Dagegen gab es aus anderen Gebieten in Berg-Karabach zuvor Berichte, dass Bewohner flohen, weil diese Regionen an Aserbaidschan gehen sollen.

„Heute ist der letzte Tag, morgen werden die aserbaidschanischen Soldaten da sein“, sagte ein Soldat im Dorf Scharektar. Ein Hausbesitzer, der mit brennenden Holzscheiten den Fußboden seines Wohnzimmers in Brand setzte, sagte, er werde sein Haus nicht den Aserbaidschanern überlassen. „Alle werden heute ihr Haus abbrennen. Uns wurde eine Frist bis Mitternacht gesetzt, um zu gehen.“ Schon am Freitag hatten in der Umgebung dutzende Häuser in Flammen gestanden.

Gläubige besuchten ein letztes Mal den Klosterkomplex von Dadiwank in einem Gebirgstal in Kalbadschar, eine der wichtigsten Stätten der Armenisch-Apostolischen Kirche. „Es ist sehr hart, sehr schmerzhaft. Wir sind gekommen, um Abschied zu nehmen“, sagte ein 40-jähriger Besucher mit Tränen in den Augen der Nachrichtenagentur AFP.

„Ich kann nicht glauben, dass dies das letzte Mal ist, dass ich hier sein werde,“, sagte der 28-jährige Mjasnik Simonjan aus Wardenis in Nord-Armenien. „Dies ist das Land unserer Großväter. Diese Steine sind 800 Jahre alt“, sagte er, während er auf zwei kunstvoll verzierte armenische Kreuze deutete. Der Priester Vater Howhannes sprach bitter über die bevorstehende Übergabe des Klosters an das mehrheitlich muslimische Aserbaidschan – dieses habe „nicht die gleichen Werte wie wir“. „Das Kloster gehört uns. Ich kann nicht gehen“, sagte er.

Friedenssoldaten haben bereits Stellung bezogen

Die verfeindeten Nachbarstaaten Armenien und Aserbaidschan hatten sich Anfang der Woche unter russischer Vermittlung nach sechswöchigen schweren Kämpfen auf einen Waffenstillstand in Berg-Karabach geeinigt. Das Abkommen sieht vor, dass beide Kriegsparteien jene Gebiete behalten dürfen, in denen sie derzeit die Kontrolle haben – für Armenien bedeutet das große Gebietsverluste. Bis Sonntag muss es die Kontrolle über den Bezirk Kalbadschar abgeben. Folgen sollen dann noch die Bezirke Aghdam bis zum 20. November und Laschin bis zum 1. Dezember.

Anfang der Woche hatten sich Armenien und Aserbaidschan unter Vermittlung Russlands nach mehreren Wochen heftiger Kämpfe auf das Abkommen zum Ende aller Kampfhandlungen verständigt. Es sieht etwa die Rückgabe größerer Gebiete an Aserbaidschan vor, die bislang unter Kontrolle Armeniens gestanden haben. Die Einigung wurde als Niederlage Armeniens und als Sieg Aserbaidschans gewertet.

Kern der Übereinkunft ist der Einsatz von rund 2000 russischen Friedenssoldaten in Berg-Karabach. Sie sollen die Einhaltung der Waffenruhe überwachen. Kommandeur Rustam Muradow sagte am Samstag der Agentur Interfax zufolge, es gebe keine Kämpfe mehr. „Wir hören heute keine Schüsse. Die Situation stabilisiert sich langsam.“

Die meisten Friedenssoldaten bezogen bereits Stellung, darunter auch in der von Armenien kontrollierten Hauptstadt Stepanakert. Mittlerweile seien zwölf Beobachtungsposten eingerichtet worden, teilte das russische Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Moskau mit. Zudem habe die Militärpolizei mit Patrouillen begonnen.

Nach armenischen Angaben soll die Übergabe gefallener Soldaten fortgesetzt werden. Zunächst war unklar, wie viele Leichen am Samstag ausgetauscht worden waren. Aserbaidschan nannte lediglich die Zahl sechs, die Armenien überstellt habe.

Nach Angaben des armenischen Gesundheitsministeriums in der Hauptstadt Eriwan wurden bereits die Leichen von mehr als 2300 Getöteten forensisch untersucht. Einige seien noch nicht identifiziert worden, teilte das Ministerium auf Facebook mit. Die Karabach-Behörden gaben die Zahl der getöteten Soldaten zuletzt mit 1383 an. Das aserbaidschanische Militär machte mit Blick auf die Zensur während des Kriegsrechts zunächst keine Angaben zu den Verlusten in den eigenen Reihen.

Gespräche über Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe

Unterdessen wurden die Gespräche zwischen Russland und der Türkei über ein Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe am Samstag unterbrochen. Sie sollen in den kommenden Tagen fortgesetzt werden. Das teilte das türkische Verteidigungsministerium mit. Die Verhandlungen hatten am Vortag in der türkischen Hauptstadt Ankara begonnen.

Das Abkommen zwischen den beiden verfeindeten Ländern Armenien und Aserbeidschan, gegen das es in der armenischen Bevölkerung heftigen Widerstand gibt, sieht auch einen für die Türkei wichtigen Punkt vor: einen Korridor von Aserbeidschan zu seiner Exklave Nachitschewan. Damit erhält Aserbaidschan eine Landverbindung zur Türkei und Ankara Zugang zum Kaspischen Meer.

Aserbaidschan hatte in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren die Kontrolle über Berg-Karabach mit etwa 145 000 Bewohnern verloren. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. In dem neuen Krieg hat sich Aserbaidschan weite Teile des Gebiets zurückgeholt. Das Land berief sich dabei auf das Völkerrecht und sah sich von seinem „Bruderstaat“ Türkei unterstützt. Armenien wiederum setzt auf Russland als Schutzmacht.

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