Brennende Häuser in Bergkarabach: Hass und Rache

Armeniens Premier Paschinjan hatte beim Friedensabkommen keine Wahl und ist nun dennoch der Sündenbock. Die junge Demokratie ist gefährdet.

Ein Mann läd Möbel auf ein Auto

Unbändige Wut: Armenier sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und zünden ihre Häuser an Foto: AP

Was zu befürchten war, ist eingetreten. Jetzt, da die Waffen in Bergkarabach schweigen, werden die Messer in Armenien gewetzt. Ob Putschisten tatsächlich die Macht übernehmen wollten und ein Anschlag auf Regierungschef Nikol Paschinjan gerade noch vereitelt werden konnte, wie der armenische Geheimdienst behauptet, ist unklar.

Unabhängig davon, ob dieses Szenario der Wahrheit entspricht oder reine Propaganda ist: Die jüngsten Entwicklungen zeigen, wie explosiv die Lage in der Südkaukasusrepublik ist. Der ultimative Sündenbock ist Nikol Paschinjan. Er hat das Friedensabkommen zu verantworten, das für die meisten Ar­me­nier*in­nen einer beispiellosen Demütigung gleichkommt.

Dabei hatte der einstige Hoffnungsträger keine Alternative. Die Kämpfe fortzusetzen, hätte nicht nur weitere Menschenleben gekostet, sondern vielleicht sogar den Verlust des gesamten Gebietes Bergkarabach bedeutet. Doch für rationale Erwägungen ist derzeit in Armenien kein Platz, es geht nur noch um Rache und Hass. Wie sonst sollten Bilder von Armenier*innen zu deuten sein, die ihre Häuser niederbrennen, bevor sie die an Aserbaidschan zu übergebenden Gebiete verlassen?

Auch für die Opposition ist spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen, um mit „dem Verräter“ Paschinjan abzurechnen. Das gilt vor allem für diejenigen Kräfte, die bis zur Samtenen Revolution von 2018 selbst an der Macht und seitdem Zielscheibe von Paschinjans Antikorruptionskampf waren. Eine Opposition, die auf Vergeltung sinnt – auch um den Preis einer Destabilisierung der innenpolitischen Lage. Hinzu kommen Tausende Geflüchtete, die in Armenien eine neue Heimat finden müssen, und das auch noch in Pandemiezeiten.

Das Chaos ist programmiert. Aber es steht noch viel mehr auf dem Spiel: Der Prozess der Demokratisierung, der in Armenien seit zwei Jahren zu beobachten ist, könnte abrupt beendet sein. Das jedoch würde Armenien zurückwerfen, vielleicht sogar auf Jahrzehnte.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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