Nach dem Bremer Bamf-Skandal: Ein Medienskandal?
Tausende Flüchtlinge, hieß es, hätten in Bremen illegal Asyl erhalten. Dann wurden es immer weniger. Was ist übrig und wie gehen Medien damit um?
Es schien wie ein riesiger Fall von Korruption und Bestechung, der vor gut einem Jahr als „Bamf-Affäre“ öffentlich wurde. Die Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stand in Verdacht, Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Geflüchteten widerrechtlich Asyl gewährt zu haben. Von mindestens 1.200 Fällen war die Rede, womöglich gar 2.000. Süddeutsche Zeitung, NDR und Radio Bremen kooperierten für die Recherche und berichteten als Erstes, andere Redaktionen zogen nach. Sie fanden Anwälte, die der Bremer Amtsleiterin Ulrike B. Hotelübernachtungen gezahlt haben sollen, die Busse voll Flüchtlinge nach Bremen gekarrt haben sollen – was sich als falsch herausstellte. Das Bamf wurde zum „Bundesamt für Murks und Führungsversagen“ (Spiegel), es sei „notwendig, hart durchzugreifen“ (SZ). Für die Bild stand gleich fest, dass es sich um „groß angelegten Asylbetrug“ handelte. Die Vorwürfe aus Bremen traten eine massive Kampagne los, MitarbeiterInnen der Behörde und Geflüchtete gerieten unter Generalverdacht, die Debatte über Migration und Flucht rückte weit nach rechts – das Ganze führte beinahe zum Bruch der Großen Koalition.
Gut ein Jahr später ist von „Skandal“ kaum noch die Rede (siehe Kasten). Die Zahl der Asylentscheide, die das Bamf widerrufen oder zurücknehmen musste, ist nach gegenwärtigem Stand viel kleiner als angenommen. Noch ist die Überprüfung nicht abgeschlossen, aber die Quote der widerrufenen Asylverfahren aus Bremen ist bisher ähnlich hoch wie die bundesweit. In einigen Fälle hat das Bamf Hinweise gefunden, dass bei Bremer Asylbescheiden Regeln des Asylverfahrens bewusst umgangen wurden. Andere Fehler seien auf eine Zeit zurückzuführen, „in der das Bundesamt angesichts der hohen Zugangszahlen vor einer immensen Herausforderung stand“, so ein Bamf-Sprecher gegenüber der taz.
Litten die MitarbeiterInnen in der Bremer Außenstelle also eher unter Überforderung, als unter einer korrupten Amtsleiterin, wie die Berichte zeitweise nahelegten? Das prüft die Bremer Staatsanwaltschaft derzeit. Kommentieren will sie den Ermittlungsstand nicht. Zuletzt hieß es, der Kreis der Beschuldigten habe sich auf neun Personen ausgedehnt, der Tatverdacht habe sich erhärtet. Im Sommer will die Behörde bekannt geben, ob sie Anklage erhebt oder nicht.
Beweise dafür, dass in Bremen aber „hochkriminell und bandenmäßig mehrere Mitarbeiter mit einigen Rechtsanwälten zusammengearbeitet“ hätten, wie ein Staatssekretär des Innenministeriums behauptet hatte, gibt es jedenfalls noch keine. Das Bremer Verwaltungsgericht hat dem Staatssekretär diese Aussage verboten. Auch das Innenministerium will mittlerweile nicht mehr, wie Horst Seehofer noch Mitte 2018, von einem „handfesten, schlimmen Skandal“ sprechen.
War der Bamf-Skandal also eine von Medien aufgeblasene Geschichte? Ein „Rufmord“ ohne Recherche, wie der Regensburger Strafrechtler Henning Ernst Müller im Sommer behauptete? Ein „Presseskandal“, wie Datenjournalist Lorenz Matzat schrieb?
Das Dilemma mit dem Verdacht
Das bestreiten die Investigativredaktionen, die damals berichteten. „Unsere ersten Berichte waren klassische Verdachtsberichterstattung: Wir haben den Verdacht der Staatsanwaltschaft wiedergegeben“, sagt Christine Adelhardt, die für SZ/NDR/Radio Bremen die Bamf-Recherche koordiniert. „Dieser Verdacht, Korruption und Bestechung in einer deutschen Behörde, kam so monströs daher, da wüsste ich nicht, wie wir nicht hätten berichten sollen.“ Richtigzustellen habe man bei SZ/NDR/Radio Bremen nichts. Vielmehr habe sich wohl das Bamf selbst mit seinen Anschuldigungen gegen Ulrike B. verrannt.
Tatsächlich bringt Verdachtsberichterstattung immer ein Dilemma mit sich: dass man über Dinge schreibt, die noch nicht gerichtsfest sind. Behörden, wie die Staatsanwaltschaft, werden von vielen Redaktionen als privilegierte Quelle, also als besonders glaubwürdig, behandelt. Dass das problematisch sein kann, zeigt ein Beschluss des Bremer Verwaltungsgerichts aus der vergangenen Woche. Die Richter befanden, dass die Staatsanwaltschaft die ehemalige Leiterin des Bremer Bamf, Ulrike B., in den Medien unzulässig vorverurteilt hat. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft hatte einem Journalisten der Zeit private Details von Ulrike B. erzählt. ZeitOnline musste den Bericht löschen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Auch Christine Adelhardt ist bei privilegierten Quellen vorsichtig. „Solche Informationen müssen sorgfältig geprüft werden, das haben wir gemacht.“
Aber: Es gab und gibt ja tatsächlich ein Ermittlungsverfahren mit schwerwiegenden Vorwürfen gegen Ulrike B. und andere. Ermittler haben Wohnungen und Kanzleien durchsucht, KollegInnen glaubten schon länger, dass Ulrike B. einige Geflüchtete anderen vorziehe.
Woher SZ/NDR/Radio Bremen seine Informationen im Einzelnen hatte, sagt Christine Adelhardt nicht. Nur so viel: Am Anfang der Recherche habe mehr gestanden als der Durchsuchungsbeschluss der Bremer Staatsanwaltschaft. Für die Zahl der 1.200 respektive 2.000 angeblich manipulierten Akten, habe man zwei unabhängige Quellen gehabt. Ein Bamf-Sprecher bestreitet gegenüber der taz, dass diese Zahlen damals in der Behörde kursierten.
Verdachtsberichterstattung muss auch sprachlich erkennbar sein. Das war sie – in den meisten Texten und Beiträgen der seriösen Medien. Da hieß es oft, Ulrike B. könnte, habe, soll, womöglich, mutmaßlich. Auf die Spitze getrieben wurde das unter anderem in dem ersten Kommentar, der in der SZ erschienen ist: „Noch ist nichts bewiesen … noch gibt es nicht einmal eine Anklage, und für Haftbefehle reichen die Ermittlungen … offenbar noch nicht aus. Dennoch und bei aller gebotenen Vorsicht, … hätte das Bundesamt einen echten Skandal.“ Formal ordentlich formuliert, nur: Wem nützt ein solcher Kommentar?
Der Spiegel scheute sich trotz der vielen Konjunktive nicht vor härterer Rhetorik: „Bundesamt für Durchwinken“, hieß einer der ersten Texte, darin: „Bundesamt für Murks und Führungsversagen“, „Zwei Wochen später platzte die Bombe“, „Merkel hatte den Mund zu voll genommen“, später, es sei zu „Hunderten fragwürdigen Asylbescheiden“ gekommen.
„Bis heute steht im Raum, dass es in Bremen zu Hunderten fragwürdigen Asylbescheiden kam“, sagt die Spiegel-Sprecherin Anja zum Hingst auf die Frage, ob diese Rhetorik angemessen war. „Die Bundesregierung spricht von rund 200 ‚schwerwiegenden‘ Fällen. Wie Sie das bewerten, bleibt Ihnen überlassen, das gilt auch für einzelne Formulierungen im Spiegel. Wir stehen zu unserer Berichterstattung.“
Die Rechercheure des Spiegel finden nicht, dass der Bamf-Skandal kleiner wird. Wie groß er war, lasse sich erst beantworten, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen habe und die Gerichte Urteile gesprochen hätten.
Der Anwalt der früheren Bremer Bamf-Leiterin, Johannes Eisenberg, der auch die taz vertritt, ist gegen die Berichterstattung im Spiegel vorgegangen. Er ist unter anderem der Meinung, der Spiegel habe zum Nachteil der Beschuldigten berichtet und ihr keine faire Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Diese rechtlichen Schritte seien von den Gerichten überwiegend zurückgewiesen worden, sagt Anja zum Hingst, „nur ein einziger Satz wurde dem Spiegel verboten“.
Der Spiegel schrieb auch: „Der Skandal in Bremen sendete Schockwellen durch die Republik“. Stimmt. Nur: Waren es nicht auch viele Medien, die diese Schockwellen mitsendeten?
„Das kann ich so nicht erkennen“, sagt Christine Adelhardt von SZ/NDR/Radio Bremen. „Wir haben so gut wir konnten in beide Richtungen recherchiert. Was daraus politisch gemacht wird, dafür können wir nichts.“ Abgesehen davon sei es ihre Redaktion gewesen, die schon früh viele Fakten infrage gestellt hätten: Die angeblich von Anwälten gemieteten Busse, die Flüchtlinge nach Bremen gebracht haben sollen, die Hotelrechnungen und Abendessen, die Anwälte Ulrike B. gezahlt haben sollen. Sehen kann man das zum Beispiel in dem NDR-Film „Die Akte Ulrike B.“, der am 15. Juni, also gut zwei Monate nach den ersten Vorwürfen, lief. Zwei Tage vorher veröffentlichten sueddeutsche.de, NDR und Radio Bremen einen Bericht, dass die Zahl der manipulierten Akten doch viel kleiner sein könnte als angenommen.
Transparenz bei Recherchen
Als sich das im September 2018 bestätigte und das Bamf einräumte, dass „flächendeckender Asylbetrug“ in Bremen nicht erkennbar sei, berichteten das alle Medien, allerdings meist deutlich kleiner als beim Anfangsverdacht. Von „Skandal“ sprach zu dieser Zeit kaum noch ein Berichterstatter – über eventuellen Fehleinschätzungen in der eigenen Recherche allerdings auch nicht.
Wenn es darum geht, ihre Erfolge zu inszenieren und zu vermarkten, präsentieren sich viele Redaktionen stolz: Egal ob Panama Papers oder Football Leaks. Inzwischen gehört dazu, dass man die Recherche selbst spannend aufbereitet. Die Story hinter der Story gehört heute zu jedem Scoop. Wäre so eine Transparenz nicht auch angebracht bei Recherchen, die sich im Nachhinein als überzogen erweisen könnten?
Der NDR sendete Ende März im Politmagazin „Panorama“ einen Film zum aktuellen Stand. Der „‚Bamf-Skandal‘ wird immer kleiner“, heißt es darin. Der Film kritisierte auch die aufgeblasenen Berichte vieler Medien – allerdings nicht die eigenen. „Wir haben unsere Berichterstattung intern diskutiert und darüber gesprochen, wie weit Verdachtsberichterstattung gehen kann“, sagt Christine Adelhardt. „Vielleicht hätten wir an der ein oder anderen Stelle noch deutlicher machen sollen, dass es sich um einen Verdacht handelt. Ich finde aber nicht, dass wir Fehler gemacht haben.“ Die Redaktion halte weiter Kontakt zu allen Beschuldigten. Adelhardt glaubt: Hätten die sich von der Berichterstattung diffamiert gefühlt, hätten sie den Kontakt doch abgebrochen.
Auch der Spiegel sieht keinen Anlass, die eigene Berichterstattung zu thematisieren: „Der Spiegel hat zur Bremer Bamf-Affäre korrekt berichtet, es steht nicht eine unwahre Tatsachenbehauptung im Raum.“
Ein Ort, an dem Journalisten regelmäßig über ihre Arbeit sprechen, ist das Jahrestreffen des Netzwerk Recherche beim NDR. Einen Antrag, beim nächsten Treffen im Juni über die Bamf-Recherchen zu sprechen, hatte die Organisatoren zuerst abgelehnt. „Aber nicht, weil wir uns dem Thema nicht stellen wollen. Sondern weil wir zu viele Vorschläge für zu wenig Platz hier hatten“, sagt Kuno Haberbusch, NDR-Journalist und Organisator des Jahrestreffen. Mittlerweile sehe er aber den Bedarf an einer öffentlichen Auseinandersetzung. Eine Veranstaltung zu den Bamf-Recherchen wird es wohl geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen