Nach dem Berliner Anschlag: Anis Amri in Mailand erschossen
Der Tatverdächtige ist bei einer Schießerei getötet worden. Er hatte bei einer Kontrolle eine Schusswaffe gezogen. Die Polizei erwiderte das Feuer.
Wie Italiens Innenminister Marco Minniti am Freitag auf einer Pressekonferenz in Rom erklärte, hatte Amri auf die Aufforderung, seine Papiere zu zeigen, „ohne zu zögern“ seine Kaliber-22-Pistole gezogen, auf einen der Beamten geschossen und ihn an der Schulter getroffen. Daraufhin habe der zweite Polizist Amri erschossen. Der verletzte Beamte, so Minniti, schwebe nicht in Lebensgefahr. Bei dem Toten handele es sich „ohne den Schatten eines Zweifels um Anis Amri“, so der Minister.
Weitere Details nannte die örtliche Polizei. Amri habe zunächst „in gutem Italienisch“ erklärt, er habe keine Dokumente. Wie in diesen Fällen üblich sei er aufgefordert worden, seinen Rucksack zu leeren, habe daraufhin die Pistole gezückt und das Feuer eröffnet. Anschließend sei er hinter einem Wagen in Deckung gegangen, die Waffe in der Hand. Der zweite Beamte habe ihn dort erreicht und erschossen. Amri sei allein unterwegs gewesen, außer einem kleinen Messer habe er keine weiteren Waffen und auch kein Telefon mit sich geführt. Italienische Medien meldeten auch, Amri habe „allahu akbar“ ausgerufen, die Polizei mochte dies jedoch nicht bestätigen.
Der Tote hatte ein Bahnticket in der Tasche, nach dem er vom im Südosten Frankreichs gelegenen Chambéry über Turin zunächst zum Mailänder Hauptbahnhof gefahren, wo er etwa um ein Uhr nachts eingetroffen sein soll. Danach fuhr er ins nahe Sesto San Giovanni. Dort sei er den Beamten aufgefallen, legte Minniti dar, weil er „sich verdächtig benommen“ habe.
Details über Amris Geschichte
Über mögliche Verbindungsleute Amris in Italien oder über sein Reiseziel äußerte sich der Innenminister nicht, er kündigte jedoch „weitere Entwicklungen in den Ermittlungen“ an. Ministerpräsident Paolo Gentiloni erklärte seinerseits, der Fahndungserfolg zeige, dass „diese Regierung präsent ist“ und fügte hinzu: „Unsere Aufmerksamkeit wird weiter sehr hoch bleiben, doch Sicherheit und Zusammenhalt müssen Hand in Hand gehen. Ein zerrissenes Land läuft das Risiko, unsicherer zu sein“.
In Italien hatte das Attentat von Berlin auch deshalb hohe Betroffenheit ausgelöst, weil mit der 31-jährigen, in Berlin lebenden und arbeitenden, Fabrizia Di Lorenzo eine Mitbürgerin zu den Opfern den Anschlags gehörte und weil der Attentäter sich zunächst mehr als vier Jahre in Italien aufgehalten hatte, ehe er im Sommer 2015 nach Deutschland ging.
Über Amris Jahre in Italien – die er zum größten Teil im Gefängnis verbrachte – wurden weitere Details bekannt, aus denen klar hervorgeht, dass er auch schon von den italienischen Behörden als gefährlicher islamistischer Extremist eingestuft worden war. Im Februar 2011 von der Polizei auf Lampedusa erstmals registriert, fiel er schon in der dortigen Erstaufnahmeeinrichtung auf, weil er sich an Ausschreitungen tunesischer Flüchtlinge beteiligte. Danach war der nach eigenen Angaben Minderjährige in einer Flüchtlingseinrichtung im Städtchen Belpasso unweit von Catania auf Sizilien untergebracht worden.
In seiner Unterkunft hatte er im Oktober 2011 zusammen mit vier Mittätern einen Brand gelegt, um gegen die seiner Meinung nach übermäßig lange Anerkennungsprozedur im Asylverfahren zu protestieren. Dies trug ihm die Verurteilung zu vier Jahren Haft ein, die er in diversen Gefängnissen Siziliens abbüßte.
Die Website corriere.it zitiert Quellen aus der italienischen Gefängnisverwaltung, aus denen hervorgeht, dass er schon während der Haft als radikaler Islamist auffiel. So habe er im Gefängnis Agrigent einen Mitgefangenen wegen dessen christlichen Glaubens bedroht und ihm angekündigt, er werde ihm „den Kopf abschneiden“. Und so habe er sich nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar 2015 zu offenen Freudenbekundungen hinreißen lassen. Amris Name wurde deshalb von der nationalen Gefängnisverwaltung dem „Komitee strategische Analyse Antiterrorismus“ mitgeteilt, einem Komitee, in dem die Gefängnisverwaltung und Italiens Geheimdienste ihre Erkenntnisse austauschen.
Und der Tunesier wurde nach seiner Haftentlassung am 18. Mai 2015 zwar für einen Monat in Abschiebehaft genommen, da es aber nicht gelang, Ersatzpapiere von den tunesischen Behörden zu erhalten, wurde er danach auf freien Fuß gesetzt. Seine Daten, inklusive Fingerabdrücke, wurden zwar in die europäischen Datenbanken eingespeist, ansonsten aber erhielt er von Italiens Behörden bloß die Ausweisungsverfügung, die ihn zum Verlassen des Landes binnen sieben Tagen aufforderte. Von da an verloren sich seine Spuren in Italien, bis zu seinem Tod am Freitag in Sesto San Giovanni.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht