Nach Schlägereien in Berlin: Angstort Freibad
Innenministerin Nancy Faeser fordert mehr Polizei in Freibädern. Sie bedient damit das Narrativ des Freibades als gefährlichen Ort.
Ende Juni kommt es im Columbiabad in Berlin-Neukölln zu einer Schlägerei, laut Medienberichten sollen 250 Menschen beteiligt gewesen sein. Begonnen haben soll es im Streit mit Wasserpistolen an der Wasserrutsche, geendet hat es mit dem Nasenbruch einer 21-Jährigen. Zuvor hatte es auch im Sommerbad am Insulaner in Berlin-Steglitz eine Schlägerei mit etwa 100 Personen gegeben, wieder waren Wasserpistolen der Auslöser. Die empörten Reaktionen in sozialen Medien ließen nicht lange auf sich warten. Wer sie liest, bekommt den Eindruck, Freibäder seien der gefährlichste Ort Deutschland: Eigentlich könne man keines mehr betreten, ohne es mit gebrochener Nase wieder zu verlassen.
Unterstützt wird das Narrativ vom Freibad als Angstort, das häufig rassistisch argumentiert wird, durch Medien und Politik. In der Bild warnt Peter Harzheim, Präsident des Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister, vor einem Freibadbesuch. Er sagt: „Ich habe selbst drei kleine Enkelkinder – wenn ich mit denen da hereingehen würde, würde ich schlicht unverantwortlich handeln!“
Und jetzt legte auch noch Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach. Im Interview mit Bild Live sagte sie am Mittwochabend: „Für mich ist wichtig, dass der Rechtsstaat durchgreift, dass es genug Personal gibt, damit so etwas nicht passiert. Da muss hinreichend Polizeipräsenz hin, wenn es solche Probleme gibt. Ich werde das auf der Innenministerkonferenz ansprechen.“ Dass mehr Polizeipräsenz automatisch für mehr Sicherheit sorgt, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Doch vor allem mit Folgenden reiht sie sich fröhlich in das Angstort-Narrativ ein: „Familien und Kinder müssen unbeschwert ins Schwimmbad gehen können in Deutschland.“
Die Schlägereien sind natürlich zu verurteilen, doch dass man in Deutschland nicht mehr unbeschwert ins Freibad gehen kann, hat wenig mit der Realität zu tun. Es ist ein Mythos, der Jahr für Jahr aufs Neue beschworen wird – zu den Angstschürern gehören in der Regel die AfD und die Bild.
Wie auch in Vorjahren stellen die Berliner Bäder-Betriebe auch heute fest, dass es kein „grundsätzliches Sicherheitsproblem“ in ihren Bädern gebe. Und auch ein Faktencheck der „Tagesschau“ von 2019 widerlegt das Bild des Gefahrenorts Freibad. In Deutschland lässt sich also weiterhin gefahrenlos planschen, wenn man denn noch ein Ticket ergattert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen