Nach Merkels Parteivorsitz-Verzicht: Tick, tack

Angela Merkel versucht ihren Abschied aus der Politik selbst zu lenken. Fragen und Antworten zu ihrer Restmacht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel schaut auf ihre Armbanduhr

Ist es realistisch, dass Merkel bis 2021 Kanzlerin bleibt? Foto: reuters

Ist Merkel jetzt eine Lame Duck?

Nach Angela Merkels eigenen Maßstäben ist ihr Rückzug vom Amt der CDU-Vorsitzenden „ein Wagnis, keine Frage“. Auf die Journalistenfrage, ob sie nicht ab sofort eine politische lame duck, eine lahme Ente, sei, antwortete sie in der Pressekonferenz am Montag: „Alles hat seine Vor- und Nachteile. Ich habe mich jetzt für diese Variante entschieden.“

Ein typischer Merkel-Satz mit jeder Menge Interpretationsspielraum. Klar ist aber, dass die Entscheidung viel früher gefallen ist, als die parteiinternen Planungen das vorgesehen hatten. Demnach sollte sich Merkel nicht nur ein weiteres Mal als CDU-Vorsitzende bestätigen lassen. Auch die Übergabe an eine neue Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten war erst zum Jahreswechsel 2020/21 vorgesehen.

Kann sie ab jetzt kraftvoller regieren?

Merkels ziemlich abrupte Strategieänderung war zum einen dem nicht länger zu ignorierenden politischen Druck auf sie geschuldet. Gleichwohl wirkte sie bei der Verkündung ihrer Entscheidung erleichtert. Nach den heftigen Stimmverlusten bei allen zurückliegenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl 2017, dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen, den Querelen in der Großen Koalition sowie dem auf der Person Merkel basierenden Hass im Osten musste Merkel einsehen, dass ihr Verbleib an der Macht ihrer Partei und dem Land mehr schadet denn nützt. Es bestand die Gefahr, beim Parteitag gestürzt zu werden.

Insofern ist die Aufgabe des Vorsitzes eine deutliche Schwächung ihrer politischen Kraft. Zum anderen jedoch ist Merkel bemüht, ihren Rückzug als freie Gewissensentscheidung darzustellen. Da ist was dran. Eine Regierungschefin, die keine allzu großen Rücksichten mehr auf ihre Partei nehmen muss, ist freier in ihren Entscheidungen. Gut möglich, dass das Kabinett dies bald zu spüren bekommt.

Welche Herzensthemen könnte Merkel jetzt noch abarbeiten?

Mit dem Rückzug vom Parteivorsitz zählt Angela Merkels Uhr rückwärts. Sie weiß, dass ihre Zeit abläuft, und hat deshalb guten Grund, sich ein paar ihrer Lieblingsthemen zuzuwenden. In den dreizehn Jahren ihrer Kanzlerschaft hat sie noch jedem ihrer Außenminister erfolgreich das Terrain streitig gemacht.

Möglich, dass sie nach der vergeigten Chance, mit Frankreichs Präsident Macron die Europäische Union zu reformieren, doch noch einmal die Initiative ergreift. Auch beim Thema Brexit könnte sie – befreit von parteipolitischen Zwängen – einen gesichtswahrenden Kompromiss für die Briten aushandeln. Weitere Themen sind die Künstliche Intelligenz, die seit ihren Chinareisen zum Mantra in allen ihren Reden geworden ist. Und natürlich Afrika und der Konflikt mit Russland. US-Präsident Donald Trump doch noch von der Notwendigkeit diplomatischer Mindeststandards zu überzeugen – dafür dürfte der Pragmatikerin Merkel nun schlicht der Langmut fehlen.

Ist es realistisch, dass sie bis 2021 Kanzlerin bleibt?

Denkbar ist das, aber nicht wahrscheinlich. Merkel hat immer die These vertreten, dass beide Ämter, der Parteivorsitz und die Kanzlerschaft, in einer Hand liegen müssten. Der oder die neue CDU-Vorsitzende ist automatisch auch ein Kanzler im Wartestand. Dass sich zum Beispiel ihr – soeben zur Kandidatur bekennender – Intimfeind Friedrich Merz als neuer Parteichef gütlich mit ihr arrangieren würde, ist schwer vorstellbar. Er stünde für einen marktliberalen, erzkonservativen Kurs und hätte an einem von Merkel dominierten Regierungshandeln kein Interesse. Viel zu sozialdemokratisch.

Eine Erinnerung: Gerhard Schröder, der wegen seiner Agenda 2010 unter Druck geraten war, gab im Februar 2004 den SPD-Vorsitz an den damaligen Fraktionschef Franz Müntefering ab. Eineinhalb Jahre später war er auch den Job als Kanzler los. Merkel bezeichnete den Schritt Schröders damals übrigens als „Autoritätsverlust auf ganzer Linie“. Der Tag seines Rücktritts vom Parteivorsitz sei zugleich „der Anfang vom Ende von Rot-Grün“.

Warum ist es richtig, dass sie keine Nachfolgerin, keinen Nachfolger empfiehlt?

Mit dem Montag dieser Woche ist der Sturz von Angela Merkel eingeläutet. Das Ringen um ihre Macht wird umso gnadenloser, je länger sie sich noch im Kanzleramt halten kann. Merkel kennt so was. Vor 18 Jahren, am Anfang ihrer Zeit als Parteivorsitzende, galt die politisch unbelastete Frau aus dem Osten als Übergangspäpstin zwischen Helmut Kohl und einem neuen, noch auszukungelnden Mann aus dem Westen. Schon damals hatten die CDU-Jungs Merkel unterschätzt. Sie war gekommen, um zu bleiben.

Diese Erfahrung vor Augen, hält sich Merkel nun mit Empfehlungen für ihre Nachfolge zurück. Schaut man sich die bislang bekannten KandidatInnen Jens Spahn, Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer an, scheint klar, dass Merkels Favoritin die Generalsekretärin ist. Aber wie es so ist bei einem offenen Rennen: Wichtig ist nicht nur Tempo, sondern auch Ausdauer. Und manchmal gewinnt auch ein Außenseiter, den noch niemand auf dem Zettel hat. Was ist zum Beispiel mit Armin Laschet?

In der CDU gebe es nun die Chance auf eine offene Debatte über den Vorsitz, hat Angela Merkel am Montag erklärt. „Die hatten wir 18 Jahre nicht“, scherzte sie auf ihre eigenen Kosten. Sollte sich dabei die mit so viel Freiheit nicht vertraute Partei anfangen zu zerfleischen, wäre ihre Exvorsitzende Merkel dafür nicht verantwortlich.

Was heißt das für die Performance der Großen Koalition?

Die Groko steht ja jetzt schon so vertrauenerweckend da wie eine Garage voller Benzinfässer. In der SPD hat keiner Lust auf das Bündnis, Andrea Nahles und Olaf Scholz natürlich ausgenommen, und die CSU wird das Trauma ihres Bedeutungsverlustes in Bayern irgendwann wieder öffentlich ausleben. Der bevorstehende Machtkampf in der CDU macht die Lage noch instabiler. Als werfe jemand ein paar Fackeln in die Garage. Kann man machen, ist aber keine gute Idee.

Die Kandidaten für die Merkel-Nachfolge müssen sich bis zum CDU-Parteitag im Dezember gegeneinander profilieren. Jens Spahn muss klarmachen, dass er der Richtige ist, um der CDU einen modernen Konservatismus zu verpassen (wenn es den überhaupt gibt). Friedrich Merz auch. Und Annegret Kramp-Karrenbauer wird sich tunlichst von der Kanzlerin emanzipieren, die sie als Generalsekretärin aus dem Saarland nach Berlin geholt hat. Bei diesem Wettkampf werden Sticheleien gegen die mitregierende SPD nicht ausbleiben. Schließlich murren viele Christdemokraten auch deshalb über Merkel, weil sie die CDU sozialdemokratisiert hat.

Auch nach dem Parteitag muss es nicht besser werden: siehe oben. Die Lage in der Groko wird also volatiler. Horst Seehofer konnte der Kanzlerin zuletzt so auf der Nase herumtanzen, weil sie schon nicht mehr die Kraft hatte, ihn zu entlassen. Masterplan, Flüchtlinge und so. Künftig werden die Fliehkräfte noch stärker. Eine irrlichternde CSU auf der einen, eine zusehends verzweifelte SPD auf der anderen Seite. Und in der Mitte eine Königin ohne Land, die nicht mehr als Ruhepol taugt.

Apropos Seehofer. Was kann er aus Merkels Teilrückzug lernen?

Dass es möglich ist, in Würde und selbstbestimmt abzutreten. Dass man dafür viel Respekt erntet – von Freunden und Feinden. Dass Rücktritte befreien, ja: Spaß machen können. Seehofer könnte es wie Merkel machen. Aber natürlich besser: Komplettrücktritt, CSU-Vorsitz und Bundesinnenministerium in einem Aufwasch. Und dann geht die Party ab in München und Berlin. Na, Herr Minister? Wie wär's?

Und was macht jetzt die SPD?

Die Konservativen machen Revolution, die SPD macht einen Fahrplan.

Wenn alles getan ist – was könnte aus Angela Merkel noch werden?

Elder Statesmen, die via Spiegel oder Bild-Zeitung das selbstredend jämmerliche Wirken ihrer politischen NachfolgerInnen kommentieren, gibt es ausreichend. Für Merkel käme erschwerend hinzu, dass sie mit ihrem protestantischen Ethos und der mäandernden Sprache kaum in der Lage wäre, pointiert zu lästern. Das fällt also schon mal aus.

Vielleicht lernt sie als Exkanzlerin und Exparteivorsitzende deshalb noch mal richtig gut Englisch, Russisch spricht sie bekanntlich fließend. Es trifft sich, dass ihre Mutter Herlind Kasner, 90, seit diesem Semester wieder Englisch für Fortgeschrittene an der Volkshochschule Templin unterrichtet. Die Kursnummer lautet XT46B299.

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