Nabu-Chef über EU-Agrarpolitik: „Die Ampel sollte mit Nein stimmen“
Die Agrarpolitik von Rot-Grün-Gelb droht schlechter zu werden als die der CDU, sagt Nabu-Chef Jörg-Andreas Krüger. Auch bei Abstimmungen auf EU-Ebene.
taz: Herr Krüger, die EU-Kommission will als Reaktion auf die Bauernproteste einige der wenigen Fortschritte für die Umwelt in der letzten Reform der Agrarsubventionen wieder rückgängig machen: Die Pflicht, dass Bauern 4 Prozent ihrer Ackerfläche der Natur überlassen müssen, soll nun auch dauerhaft entfallen. Was für Folgen wird das für die Umwelt haben?
Jörg-Andreas Krüger: Die Populationen von Insekten und Feldvögeln werden sich so nicht erholen. Dabei haben wir ein massives Insektensterben und einen Rückgang von Feldvögeln. Das liegt unter anderem daran, dass es zu wenig Brachen, zu wenig Flächen für die biologische Vielfalt gibt. Wissenschaftler*innen sagen, dass wir auf rund 10 Prozent ökologische Vorrangflächen gehen müssen, damit sich die Populationen wieder gut entwickeln. Wir müssen damit rechnen, dass sogar noch Flächen, die heute existieren, verschwinden, sodass es den Populationen in Zukunft noch schlechter gehen wird.
Die Kommission will auch Regeln für mehr Vielfalt auf dem Feld abschwächen. Könnte man darauf nicht verzichten, um den Bauern zu helfen?
Nein. Aktuell ist geplant, Regeln zu Bodenschutz, Fruchtfolge und Grünland wie Wiesen und Weiden aufzuweichen. Das wird den Landwirt*innen nicht helfen, im Gegenteil: Die negativen ökologischen Folgen werden auf sie zurückfallen. Je abwechslungsreicher die Fruchtfolge, desto weniger wachsen störende Kräuter und Gräser, desto weniger teure Pestizide müssen eingesetzt werden. Man muss auch befürchten, dass bald die Vorschriften zum Erhalt von Dauergrünland angegriffen werden. Das würde dem Klima schaden, denn diese Böden speichern besonders viel CO2. Es ist irre, wie schnell gerade der Naturschutz abgebaut wird – wider besseren Wissens. Die EU und viele Regierungen rennen vor den Fakten davon und knicken ein.
Jörg-Andreas Krüger (55) ist seit 2019 Präsident des Naturschutzbunds (Nabu), Deutschlands größten Umweltschutzverbands. Zuvor arbeitete der studierte Landschaftsarchitekt für einen Grünen Abgeordneten im Bayerischen Landtag und war Mitglied der Geschäftsleitung das WWF.
In mehreren EU-Ländern haben Bauern mit ihren Traktoren Straßen blockiert. Die Landwirte sagen, die Pflichtbrachen und andere Umweltvorschriften würden sie zu stark wirtschaftlich belasten.
Hier in Deutschland haben etliche Betriebe in den vergangenen Jahren gute Ergebnisse gehabt. Was wir aus Gesprächen mit Landwirt*innen aber wissen, ist, dass sie vor allem an der Bürokratie verzweifeln, die damit verbunden ist, Gelder aus europäischen Förderprogrammen zu erhalten. Und da geben wir ihnen in Teilen auch recht. Wir haben eine europäische Bürokratie, eine Bundesadministrationsbürokratie und dann noch Länderregelungen. Das muss besser abgestimmt werden. Aber es kann nicht die Lösung sein, alle Maßnahmen gegen die Krise von Ökologie und Klima einfach zu streichen. Das verstärkt die Krisen nur.
Wie bewerten Sie das Verhalten von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) in dieser Sache?
Der Bundeslandwirtschaftsminister hat auf europäischer Ebene immer wieder versucht, gute Lösungen zu erreichen. Aber da unterstützen ihn oft nur ein oder zwei andere europäische Länder. Deswegen wollen wir, dass Bundeskanzler Olaf Scholz das selbst in die Hand nimmt, auch im Rahmen der Gespräche der europäischen Staats- und Regierungschefs. Denn wir reden ja hier über die Voraussetzungen für Subventionen. Hier wird landwirtschaftlichen Betrieben immer noch Geld dafür gegeben, dass es sie gibt und dass sie Landwirtschaft machen. Das ist, als ob jemand Geld dafür bekommt, dass er an einer roten Ampel hält.
Steuergelder sollten aber dazu dienen, Landwirt*innen für öffentliche Leistungen zu honorieren. Die Zahlungen sollten deshalb schrittweise ökologisiert werden. Das wird jetzt rückabgewickelt, gleichzeitig bleibt aber das Geld erhalten. Das geht nicht.
Özdemir hat in seiner ersten Stellungnahme zu diesen Vorschlägen der EU-Kommission nicht gesagt, dass er zum Beispiel die langfristige Abschaffung der Pflichtbrache ablehnt.
Ja, und das halten wir für falsch. Darauf dauerhaft zu verzichten, macht das gesamte Instrument ökologischer Mindestanforderungen kaputt. Die Agrargelder sind einer der riesengroßen Steuergeldposten im Haushalt der EU, allein nach Deutschland fließen 6 Milliarden Euro pro Jahr. Es kann nicht sein, dass wir damit eine Landwirtschaft dauerhaft unterstützen, die die Krisen von Klima- und Ökologie eher nach vorne treibt, statt sie zu lösen.
Gleichzeitig zieht die Bundesregierung damit letztlich auch der Zukunftskommission Landwirtschaft den Stecker, in der Bauern und Bäuerinnen, Wissenschaftler*innen, Lebensmittelindustrie, Umwelt- und Verbraucherschützer*innen gemeinsam Empfehlungen vereinbart haben. Dieser große gesellschaftliche Konsens wird gerade leichtfertig aufgegeben, denn die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission fallen weit hinter die Empfehlungen zurück.
Wie sollte die Bundesregierung sich bei den kommenden Abstimmungen in der EU verhalten – zum Beispiel zur Abschaffung der Pflichtbrache?
Wir fordern vom Bundeskanzler, dass Deutschland mit Nein stimmt.
Wenn das jetzt doch so kommt, würden die Umweltvorschriften unter einem grünen Agrarminister dann am Ende schwächer sein als unter seiner CDU-Vorgängerin Julia Klöckner?
Das ist dann so, ja. Es geht um die Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen der Landwirte, raus aus den Subventionen, hin zu einer qualifizierten Honorierung. Diese Schritte werden gerade rückabgewickelt, und wir haben dann wieder eine europäische Agrarpolitik, die eigentlich sogar weiter zurückfällt als fünf oder sechs Jahre. Da kann man fast schon in die nuller Jahre des Jahrhunderts gehen. Das ist erschütternd.
Sollte Özdemir zurücktreten, wenn er diesen Rollback nicht verhindert?
Das würde ich noch nicht so sehen, weil es am Ende eine Gesamtverantwortung ist. Wir wissen aus den Diskussionen, die wir hier in Berlin führen, dass es auch die SPD und der Bundeskanzler sind, die diesen Rollback wollen.
Sollten die Grünen SPD und FDP drohen, die Ampelkoalition platzen zu lassen, wenn sie den Umweltschutz dermaßen zusammenstauchen?
Das ist eine Frage, die die Grünen beantworten müssen. Die Leistungsbilanz im Bereich Ökologie ist jedenfalls deutlich schwächer als das, was wir erhofft und erwartet haben unter einer grünen Regierungsbeteiligung.
Wie wird sich das auf das Verhältnis der Umweltschutzszene zu den Grünen auswirken?
Da wird deutlich, dass diese Kurzformel „Alle Umweltverbände sind super eng mit den Grünen“ falsch ist. Wir Umweltverbände haben das in den vergangenen Jahren nicht empfunden, weil die Grünen in der Regierungsverantwortung auch in den Bundesländern viele Entscheidungen mit getroffen haben, über die wir den Kopf schütteln.
Sehen Sie die ökologische Kompetenz der Grünen in Gefahr?
Mir fehlt bei den Grünen momentan zumindest ein klares Konzept, wie man die Ziele des Weltnaturschutzabkommens von Montreal erreichen will. Dazu zählt unter anderem, umweltschädliche Subventionen in Milliardenhöhe umzulenken, damit das Artensterben reduziert wird.
Die Ampel hat jetzt auch ihr Vorhaben verschoben, das Düngerecht zu verschärfen. Wie sehen Sie das?
Das ist der gleiche Mechanismus und das gleiche Muster. Die Nitratbelastung durch die Düngemitteleinträge vor allem ins Grund- und Oberflächengewässer ist immer noch zu hoch. Aus Angst vor der tagespolitischen Diskussion werden wichtige Zukunftsfragen gar nicht mehr diskutiert oder gelöst. Dann geht das noch ein, zwei Jahre so weiter, und plötzlich sind die ökologischen Probleme so groß, dass man dann umso härter agieren muss. Das fällt am Ende den Landwirt*innen voll auf die Füße. So bekommen sie keine Planungssicherheit.
Beispiel Insekten: Sie sind wichtig für die Bestäubung und für den biologischen Pflanzenschutz. Viele Arten fressen ja auch die Arten, die Landwirtschaft schädigen. Das Insektensterben ist nach wie vor da. Wenn man das bis zum Exzess treibt, geht es uns irgendwann wie den Menschen in der chinesischen Provinz Sichuan, dann landen wir dabei wie in dieser einen Region in China, wo am Ende Apfelblüten per Hand bestäubt wurden, weil es die Insekten nicht mehr gab.
Was bedeutet das für unsere Demokratie, wenn es eine winzige Minderheit mit großen Traktoren schafft, dass die Kommission und mehrere Regierungen in wichtigen Punkten auf Kosten der Umwelt einknicken?
Das muss keine Gefahr für die Demokratie werden, weil wir als Wähler*innen die Möglichkeit haben, genau dieses Regierungshandeln bei der nächsten Wahl zu korrigieren oder auch zu belohnen. Aber klar: Es gibt unglaublich viele Bevölkerungsgruppen, die sicherlich genügend Gründe hätten zu demonstrieren, aber nicht diesen Organisationsgrad haben.
Warum sind die Umweltverbände so leise geblieben, zum Beispiel als die EU-Kommission ihre Pläne vorgestellt hat?
Wir haben immer sehr stark den Kompromiss hochgehalten, den wir in der Zukunftskommission Landwirtschaft gemeinsam erarbeitet haben. Jetzt sehen wir mit einer gewissen Fassungslosigkeit, was da gerade passiert. Wir haben in den vergangenen Wochen auch gelernt, dass wir trotz des wissenschaftlich bestätigten hohen Handlungsdrucks mit unseren Botschaften nicht durchdringen. Unsere sachlichen Argumente sind im Moment nicht so durchschlagskräftig wie die große Emotionalität der Landwirt*innen.
Wir müssen selbstkritisch sagen: Uns fehlt tatsächlich ein Momentum, jetzt schnell auch mal eine große Demonstration mit oder ohne Traktoren auf die Straße zu kriegen. Wir haben das das letzte Mal im Januar geschafft bei der „Wir haben es satt“-Demonstration für eine Agrarwende. Das war gut, aber in der Taktung können wir das nicht so leisten, wie es eine so gut organisierte Interessengruppe wie die Agrarlobby kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge