Muslimische Kita: Die Erste in Norddeutschland
In Neumünster stimmen nur AfD und NPD-Nachfolgepartei dagegen, eine muslimische Kindertagesstätte zu unterstützen. Anderswo geht das weniger reibungslos.
Eine Internetrecherche ergibt, dass sich die meisten muslimischen Kitas in Berlin befinden. In Niedersachsen gibt es seit 2018 eine interreligiöse Kita, in Bremen gar keine, in Hamburg gibt es zwar muslimisch geprägte, aber offenbar keine von einem Moscheeverein getragene Kita.
Es wundere ihn, dass es im Jahr 2024 – mehr als zehn Jahre nach Abschluss der ersten Staatsverträge mit muslimischen Verbänden – so wenige seien, sagt Murat Kayabasi. Er beantwortet die Frage nach dem Warum daher auch mit der Gegenfrage: „Warum erst jetzt?“
In anderen Städten gibt es heftigen, zum Teil vor Gericht ausgefochtenen Streit über muslimische Kitas – etwa in Dortmund und Kassel, wo den Betreibern eine verfassungsfeindliche Haltung unterstellt wird. In Neumünster hingegen stimmten vergangene Woche in der Ratsversammlung nur die sechs Vertreter:innen von AfD und einer NPD-Nachfolgepartei gegen den Antrag des Oberbürgermeisters Tobias Bergmann (SPD), das Vorhaben zu unterstützen.
Konservativ, aber nicht extremistisch
Das liegt auch daran, dass der Moscheeverein, der die Kita betreiben wird, zum Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ) gehört. Dieser gilt zwar als konservativ, ist aber anders als zum Beispiel Ditib unabhängig von einem Staat und bildet nach eigener Darstellung seit den 80er- Jahren seine Imame in Deutschland aus.
Zudem ist die Merkezefendi-Moschee gut in der Stadt vernetzt, hat ihren Sitz schon seit 50 Jahren am selben Standort in der Christianstraße, in einem Stadtteil, in dem viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte leben. Murat Kayabasi erzählt, dass er dort die Moscheearbeit vor 20 Jahren mit aufgebaut habe, nachdem das Gebäude im Jahr 2001 abgebrannt ist, vermutlich aufgrund von Brandstiftung, die Täter seien nie gefasst worden.
Dennoch suchte der Vereinsvorstand zunächst das Gespräch mit allen Fraktionen, um etwaigen Sorgen und Bedenken gegenüber einer muslimischen Kita begegnen zu können. Diese Gespräche seien sehr gut und unkompliziert verlaufen, sagt Kayabasi. Der Zeitpunkt war zudem günstig, weil bekannt geworden war, dass in der Stadt 500 Betreuungsplätze fehlten.
Beim Konzept für die Kita Sonnenblume hätten sie sich von Pädagog:innen beraten lassen, sagt Murat Kayabasi. Dieses betont die „Vermittlung eines positiven Selbstwerts und Zugehörigkeitsgefühls“, gleichzeitig geht es um „Anerkennung des Anderen sowie Offenheit, Achtung, Empathie, Toleranz, Multiperspektivität und Integrität“.
Murat Kayabasi Vorstand Merkezefendi-Moschee
Der Alltag unterscheidet sich auf dem Papier nicht von dem in anderen Kindertagesstätten. Ausnahme: Auf Wunsch der Eltern können die Kinder etwas über islamische Kultur und Ethik lernen. Andere Religionen bekämen aber genauso ihren Platz, sagt Murat Kayabasi. Ausdrücklich richtet sich das Angebot an Eltern aller Konfessionen sowie Konfessionslose.
Anders als bei der katholischen und evangelischen Kirche sei der Glaube keine Einstellungsvoraussetzung für die Fachkräfte. „Sie sollen liebevoll mit den Kindern umgehen und professionell arbeiten.“ Es spreche nichts gegen männliche Erzieher und auch nichts gegen sexuelle Bildung, sagt Kayabasi, Letzteres nach Rücksprache mit einem Pädagogen. „Ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper ist wichtig, das wird altersgerecht vermittelt.“ Damit wäre die Kita Sonnenblume weiter als viele andere Kindertagesstätten, die sich mit dem Thema schwertun.
Eröffnen soll die Kindertagesstätte für 60 Kinder zwischen ein und sechs Jahren nach einjähriger Bauzeit im kommenden Jahr – sobald der Bauantrag gestellt und bewilligt wurde. Über die Betriebserlaubnis entscheidet das Landesjugendamt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen