piwik no script img

Mord an Armeniern vor 100 JahrenPapst spricht von „Genozid“

Franziskus hat das Wort „Genozid“ zur Bezeichnung des Mords an schätzungsweise 1,5 Millionen Armeniern benutzt. Die Türkei betrachtet dies als Affront.

Gewählte Wortwahl: Papst Franziskus am Sonntag im Vatikan. Bild: dpa

ROM ap | Papst Franziskus hat den Tod von schätzungsweise 1,5 Millionen Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich als „ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Er machte die politisch brisante Äußerung am Sonntag bei einer Gedenkmesse im Petersdom, in deren Mittelpunkt der Heilige Gregor von Narek stand.

Es sei seine Pflicht, die Erinnerung an die unschuldigen Männer, Frauen, Kinder, Priester und Bischöfe zu würdigen, die „sinnlos“ ermordet worden seien, verteidigte er seine Äußerung.

„Das Böse zu verbergen oder abzustreiten ist genauso wie eine Wunde bluten zu lassen, ohne sie zu bandagieren“, sagte er. Historiker schätzen, dass bis zu 1,5 Millionen Armenier durch die Ottomanen zu Zeiten des Ersten Weltkriegs umgebracht wurden.

Zuvor war mit Spannung erwartet worden, ob der Papst den Begriff Völkermord in den Mund nehmen würde. Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, die einen Genozid nach wie vor abstreitet, soll nach Berichten türkischer Medien hinter den Kulissen versucht haben, Papst Franziskus vom Gebrauch des Begriffes abzuhalten.

Das Land behauptet, die Zahl der Opfer sei überdimensioniert. Die Getöteten seien Opfer von Bürgerkrieg und Unruhen. Die türkische Botschaft am Heiligen Stuhl sagte eine für Sonntag geplante Pressekonferenz ab – vermutlich, nachdem sie mitbekommen hatte, dass der Papst das Wort „Genozid“ ausgesprochen hatte.

Deutschland scheut das Wort

Als Kardinal Jorge Mario Bergoglio hatte der heutige Papst keine klaren Worte gescheut: In seinem Buch „Über Himmel und Erde“ bezeichnete er die Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich bereits dreimal als „Völkermord“. Auch vor knapp zwei Jahren benutzte er den Begriff bei einem Besuch armenischer Christen. Die Armenier, zahlreiche unabhängige Wissenschaftler und eine ganze Reihe von Regierungen sprechen ebenfalls von „Völkermord“. Deutschland ist ebenso zurückhaltend wie Italien oder die USA.

Im Vatikan wurde der Begriff bereits von Papst Johannes Paul II. benutzt. Sowohl vor als auch während seines Armenien-Besuchs 2001 bezeichnete er die Verfolgung als „Genozid“. Er unterzeichnete sogar zusammen mit dem armenischen Kirchenführer ein Dokument, in dem es hieß, auf die Geschehnisse werde allgemein Bezug genommen „als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts“.

Papst Franziskus, der enge Beziehungen zur armenischen Gemeinde hat, feierte in der Messe am Sonntag die Erhebung des vor rund einem Jahrtausend lebenden armenischen Mönchs und Mystikers von Narek zum Kirchenlehrer. Er trägt damit einen Titel, mit dem der prägende Einfluss auf die Theologie der Kirche gewürdigt wird und der bislang nur 35 weiteren Gelehrten zuteilwurde. Das bekannteste Schriftstück des Heiligen, das „Buch der Gebete“, wird auch „Buch der Klagen“ genannt und gilt als Meisterwerk der klassischen armenischen Literatur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!