Mögliches Tiktok-Verbot in den USA: Was passiert nun mit Tiktok?
Die USA drohen mit einem Verbot, ein EU-Kommissar vergleicht die App mit dem Suchtpotenzial von Zigaretten. Wird es eng für die populäre Plattform?
Verschwindet die populäre Videoapp Tiktok aus den USA?
In den USA ist ein Gesetz in Kraft getreten, das einen Eigentümerwechsel bei der Kurzvideo-App Tiktok erzwingen soll. US-Präsident Joe Biden unterzeichnete es am Mittwoch. In den Tagen zuvor hatten zunächst das Repräsentantenhaus und dann der Senat den Entwurf gebilligt. Das Gesetz gibt dem aus China stammenden Konzern Bytedance, Eigentümer der populären Kurzvideo-Plattform Tiktok, 9 Monate Zeit, das US-Geschäft der App an einen Akteur in den USA zu verkaufen. Die Frist kann um 3 Monate verlängert werden, wenn ein Verkaufsprozess bereits im Gange ist. Verstreicht diese Frist, soll Tiktok aus den US-App-Stores von Google und Apple verbannt werden.
Allerdings wird das Verbot selbst dann, wenn Bytedance nicht verkaufswillig ist, nicht unmittelbar nach Ablauf der 9-Monats-Frist wirksam. Denn der Fall wird absehbar vor Gericht landen – und ein Verfahren kann sich über Jahre ziehen. Auch die 9-Monats-Frist scheint bereits so gewählt zu sein, dass sich die Debatte um die Zukunft der Plattform nicht im aktuellen US-Wahlkampf zuspitzt. Gewählt wird im November, die Frist läuft erst im kommenden Jahr aus.
Welche Ziele verfolgen die USA damit?
Tiktok hat in den USA rund 170 Millionen Nutzer:innen, weltweit sind es mehr als eine Milliarde. Zwei Punkte stehen bei dem neuen Gesetz im Fokus: Der erste ist der Schutz von Daten US-amerikanischer Nutzer:innen. Das hält Matthias Kettemann, Forschungsgruppenleiter am Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft und Professor für Innovationsrecht an der Universität Innsbruck, im Gespräch mit der wochentaz für nicht stichhaltig – schließlich hätten die USA nicht einmal ein eigenes Datenschutzgesetz. Persönliche Daten von US-Bürger:innen könne China auch ganz legal bei Datenhändlern erwerben. Denn auch Apps und Dienste aus den USA sammeln umfangreich Nutzer:innendaten und erstellen zum Beispiel Bewegungsprofile.
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Das zweite Argument: Tiktok sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit. „Jahrelang haben wir der Kommunistischen Partei Chinas erlaubt, eine der beliebtesten Apps Amerikas zu kontrollieren, das war gefährlich kurzsichtig“, sagte der Senator Marco Rubio, der führende Republikaner im Geheimdienstausschuss. Experte Kettemann ist jedoch skeptisch, ob das Argument der Gefahr für die nationale Sicherheit vor Gericht standhält. Der US-Kongress habe im Gesetzgebungsverfahren keine entsprechenden Nachweise erbracht. Kettemanns Einschätzung: „Der Supreme Court wird das Gesetz wahrscheinlich für verfassungswidrig erklären, wenn Tiktok sich, wie zu erwarten, dagegen wehren wird.“
Bürgerrechtler:innen vermuten als wahren Grund für das neue Gesetz Geopolitik und Stimmungsmache im Wahlkampf. „Wir sind zutiefst enttäuscht, dass unsere Politiker wieder einmal versuchen, unsere Rechte aus dem Ersten Verfassungszusatz gegen billige politische Punkte in einem Wahljahr einzutauschen“, sagte Jenna Leventoff von der Bürgerrechtsorganisation ACLU gegenüber Reuters.
Was sagt Tiktok?
Tiktok widerspricht immer wieder den Vorwürfen. Firmenchef Shou Zi Chew bezeichnete das Gesetz als verfassungswidrig und kündigte an, Tiktok werde vor Gericht ziehen. Dass rechtliche Schritte wohl mindestens eine aufschiebende Wirkung haben werden, zeigt ein Blick in den US-Bundesstaat Montana: Dort hat das zuständige Gericht eine einstweilige Verfügung gegen das beschlossene Verbot gewährt.
Was würde passieren, falls es doch zu einem Verbot kommt?
Die App würde nur aus den US-App-Stores verschwinden, nicht von den Telefonen der Nutzer:innen. Da die App-Stores aber keine Updates mehr ausliefern dürften, würde die App nach und nach immer unsicherer und unbrauchbarer werden. Theoretisch gibt es andere Möglichkeiten, an Software heranzukommen, die im eigenen Land nicht vertrieben werden darf: Der eigene Standort lässt sich durch eine VPN-Verbindung verschleiern oder eine ausländische SIM-Karte nutzen.
Doch alle diese Wege erfordern einen Mehraufwand, den sicher nicht alle Nutzer:innen betreiben wollten und könnten. Und ob sie funktionieren, müsste sich ohnehin erst zeigen. Wahrscheinlicher wäre daher, dass Nutzer:innen auf andere Plattformen ausweichen. Das könnten zum Beispiel Instagram oder Youtube sein, die schon Kurzvideo-Formate anbieten – oder es entsteht eine neue Plattform.
Falls es zu einem Zwangsverkauf oder Verbot kommt – was hieße das für Nutzer:innen in Europa?
Vertragspartner und Anbieter für Nutzer:innen in Europa ist schon jetzt nicht Tiktok USA, sondern Tiktok Irland. Experte Kettemann geht davon aus, dass sich, was die Nutzung angeht, hierzulande nichts ändern würde. In den USA würde die Plattform jedoch durch einen Verkauf mutmaßlich deutlich unattraktiver, da die Algorithmen, die Nutzenden Videos vorschlagen, wohl kaum im Verkaufspaket enthalten wären.
Wäre ein Zwangsverkauf auch in der EU denkbar?
Das einem Zwangsverkauf ähnlichste Instrument sieht in der EU der Digital Markets Act (DMA) vor, das Gesetz über digitale Märkte. Das erlaubt als allerletzte Maßnahme eine Zerschlagung. Allerdings muss das beanstandete Unternehmen dafür erst einmal eine marktbeherrschende Stellung innehaben, und mildere Mittel dürften nicht zum Ziel führen, diese aufzulösen.
Experte Kettemann hält für Tiktok ohnehin den Digital Services Act (DSA) für entscheidender, das EU-Gesetz über digitale Dienste. Eine Zerschlagung sieht das nicht vor, sondern Geldstrafen, wenn Unternehmen ihre gesetzlichen Pflichten nicht erfüllen. Im Gegensatz zu Diensten wie Telegram oder X gilt Tiktok laut Kettemann aber als vergleichsweise kooperativer Anbieter, der auch mal etwas am eigenen System ändert, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Gilt Tiktok auch in der EU als Problem?
Die Sorge vor möglicher Spionage ist auch in Europa verbreitet. So darf auf den Diensthandys der EU-Kommission Tiktok nicht mehr installiert oder verwendet werden. Und auch für Bundeskanzler Olaf Scholz, der seit Kurzem einen Tiktok-Kanal bespielt, gilt: Bitte von einem separaten Telefon!
In der EU laufen derzeit auf Basis des DSA zwei Verfahren gegen Tiktok. Im ersten geht es um mögliche Verstöße beim Schutz von Minderjährigen, bei der Transparenz beim Umgang mit Werbung und beim Datenzugang für die Wissenschaft. Im zweiten Verfahren, das erst seit einigen Tagen läuft, hat die EU-Kommission eine Funktion der App Tiktok Lite im Visier. Diese bietet eine Art Bonusprogramm, in dem die Nutzer:innen mit digitalen Münzen belohnt werden, wenn sie beispielsweise Videos schauen oder andere Nutzer:innen auf die Plattform einladen.
Laut der Zeitung Le Monde ergibt der Konsum von einer Stunde Videos digitale Münzen im Wert von umgerechnet 36 Cent. In einem FAQ zu dem Thema erläutert Tiktok, dass Nutzer:innen mindestens 18 Jahre alt sein müssen, um an dem Programm teilzunehmen. Die digitalen Münzen lassen sich etwa in Gutscheine für Online-Händler eintauschen. „Wir vermuten, dass Tiktok ‚Lite‘ so giftig und abhängigmachend sein könnte wie Zigaretten ‚leicht‘ “, sagte Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton. Nachdem die EU-Kommission das Verfahren eingeleitet und eine Frist gesetzt hatte, reagierte Tiktok – und setzte eigenen Angaben zufolge die umstrittene Funktion vorerst aus.
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