„Mitte-Studie“ der Universität Bielefeld: „Feindselige Zustände“

Eine Studie verzeichnet hohe Zustimmung für die Demokratie in Deutschland. Doch auch die Vorurteile gegen Minderheiten sind ausgeprägt.

„Menschenrechte" und „Solidarität" steht bei der Abschlusskundgebung der Demonstration gegen Rassismus und Rechtsruck mit dem Motto «Unteilbar» vor der Berliner Siegessäule auf zwei Schildern.

Die Studie hat einen positiven Grundbefund, wie er auch bei der #unteilbar-Demo im Oktober 2018 zum Ausdruck kam Foto: dpa

BERLIN taz | Die Lage hat sich eigentlich entspannt. 185.800 Asylanträge wurden im vergangenen Jahr in Deutschland gestellt – 16 Prozent weniger als im Vorjahr. Die ganz große Fluchtdebatte hat sich gelegt, inzwischen diskutiert die Politik auch wieder andere Themen prioritär. Die Bevölkerung aber scheint die Zuwanderungsfrage weiter umzutreiben – und zu spalten.

Das jedenfalls belegt die neue „Mitte-Studie“ der Universität Bielefeld, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Demnach lehnen 54,1 Prozent der befragten Deutschen Asylsuchende eher ab – ein Höchstwert seit 2011, dem Beginn der Abfrage. Und dies trotz der gesunkenen Zuwanderung. Auf der anderen Seite befürworten viele Befragte eine offene Gesellschaft: 80 Prozent erklären, sie finden es gut, wenn Menschen sich gegen Hetze gegen Minderheiten einsetzen. Genauso viele stehen für eine vielfältige Gesellschaft ein.

Die Bielefelder Studie zählt zu den prominentesten in Deutschland. Seit 2002 fragt sie Einstellungen zu „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ ab, aktuell im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Diesmal wurden 1.890 Personen von Ende 2018 bis Anfang 2019 befragt.

Und der Grundbefund ist ein positiver: Denn der größte Teil der Befragten verteidigt die Demokratie. So halten es 86 Prozent für unerlässlich, dass Deutschland demokratisch regiert wird. 93 Prozent erklären, die Würde und Gleichheit aller sollte an erster Stelle stehen. Auch die Europäische Union findet Zuspruch: 86 Prozent finden, der Zusammenhalt in der EU müsse gestärkt werden.

13 Prozent stimmen Nationalchauvinismus zu

Aber: Ein gar nicht so kleiner Teil der Bevölkerung vertritt genau gegenteilige Positionen. So ist ein Drittel der Befragten der Meinung, dass die Demokratie zu „faulen Kompromissen“ führe. Ebenso viele wenden sich gegen das Prinzip der gleichen Rechte für alle. Und immerhin 13 Prozent stimmen einem Nationalchauvinismus zu, wie es die Forscher nennen. Etwa mit der Aussage: „Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.“ Immerhin acht Prozent stimmen auch dem Satz zu: „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen.“

Ein gänzlich geschlossenes, rechtsextremes Weltbild vertreten laut Studie allerdings nur 2,4 Prozent der Deutschen – im Osten genau so viele wie im Westen. Nach einem Ost-Ausreißer 2016 (5,9 Prozent) ist dieser Wert seit 2014 stabil.

Aber: Vorurteile gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen existieren auch darüber hinaus – und haben sich über die Jahre verfestigt. Die höchste Ablehnung erfahren derzeit Asylsuchende. Jeder zweite Befragte stimmte der Aussage zu, dass die meisten Asylbewerber in ihren Heimatländern gar nicht verfolgt würden – oder widerspricht, dass der Staat großzügig bei Asylanträgen sein sollte. Hohe Negativwerte erhalten auch Sinti und Roma (25,8 Prozent) und Muslime (18,7 Prozent). Die Ablehnung von Homosexuellen, Obdachlosen oder Menschen mit Behinderung ist dagegen gesunken.

Vor allem AfD-Wähler neigen zu Vorurteilen

Vor allem AfD-Wähler neigen zu Vorurteilen. Hier sind es gar 84,7 Prozent, die Asylsuchende ablehnen. Auch Muslimen stehen AfD-Wähler zu 66,2 Prozent eher ablehnend gegenüber. Bei „Ausländern“ generell sind es 59,0 Prozent. Hier wird die Zustimmung zu den Thesen gemessen, dass „zu viele Ausländer in Deutschland leben“ und diese in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollten, wenn Arbeitsplätze hierzulande knapp werden. Die Werte der Wähler anderer Parteien liegen bei diesen beiden Fragen zwischen 6,1 (Grüne) und 15,8 Prozent (Union).

Hier wiederum tun sich sehr wohl Unterschiede zwischen Ost und West auf. Die Abwertung von Asylsuchenden ist in Ostdeutschland höher als im Westen (63 zu 51 Prozent), auch die von Muslimen (26 zu 19 Prozent) oder „Fremden“ (23 zu 18 Prozent). Die Erfahrungen aus zwei unterschiedlichen politischen Systemen seien ernstzunehmen, erklärt Studienautorin Beate Küpper. „Doch entlässt dies, bei allem Verständnis, nicht aus der Verantwortung für die eigene politische Haltung.“

Dazu konstatiert die Studie weitverbreitete rechtspopulistische Einstellungen: 21 Prozent der Befragten würden zu diesen neigen – ein über die Jahre stabiler Wert. Die Forscher verstehen hierunter ein Misstrauen in die Demokratie, die Zustimmung zu Law-and-Order-Politik sowie die Abwertung von Minderheiten. Gestiegen sei auch der Zuspruch zu neurechten Einstellungen – die einem völkischen Leitbild folgten und zu Widerstand gegen Eliten aufriefen. Vertreten wird dies etwa von der Identitären Bewegung. So sei ein Drittel der Befragten der Ansicht, die Regierung verschweige der Bevölkerung „die Wahrheit“. 55 Prozent sprechen von einem „Meinungsdiktat“ in Deutschland, ein Drittel fordert Widerstand gegen die herrschende Politik.

45 Prozent stimmen „Verschwörungsmythen“ zu

Und etliche Befragte stimmen auch „Verschwörungsmythen“ zu – ein Punkt, den die Forscher erstmals erhoben. So meinen 45 Prozent der Befragten, geheime Organisationen würden politische Entscheidungen beeinflussen. Ein Viertel glaubt, Politik und Medien „stecken unter einer Decke“.

Die Forscher nennen ihre Studie nicht von ungefähr „Verlorene Mitte – Feindselige Zustände“. „Die Mitte verliert ihren festen Boden und ihre demokratische Orientierung“, lautet ihr Resümee. Vor allem die neurechten Einstellungen, die eine „Überfremdung“ behaupteten und ein „homogenes Volk“ beschwörten, würden die liberale Gesellschaft schwächen – und den klassischen Rechtsextremismus ablösen.

„Lippenbekenntnisse zur Demokratie werden nach der Studie nicht reichen“, befindet Autor Andreas Zick, Direktor des Bielefelder Instituts. Es brauche mehr Demokratiebildung in Deutschland. Und weniger Verharmlosungen von menschenfeindlichen Meinungen.

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