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Mitglied einer kriminellen Vereinigung?Anklage gegen Öko-Aktivistin

Die Staatsanwaltschaft Flensburg klagt Miriam Meyer an. Die Letzten Generation-Aktivistin soll Mitglied einer kriminellen Vereinigung sein.

Miriam Meyer war auch an Protesten auf dem Sylter Flughafen beteiligt Foto: Julius Schreiner/dpa

Hamburg taz | Sie hat schon eine Ölpipeline nahe Köln sabotiert, ist in die Sicherheitsbereiche von Flughäfen eingedrungen, hat auf einem Golfplatz den Rasen umgegraben: Die Schleswig-Holsteinerin Miriam Meyer hat in den vergangenen Jahren mit radikalen Aktionen auf die Klimakrise aufmerksam gemacht. Auf 361 Seiten erhebt die Staatsanwaltschaft Flensburg nun Klage gegen die Letzte-Generation-Aktivistin wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung.

Zweimal saß die 32-jährige bereits in Präventivhaft. „Ich bin verzweifelt aufgrund der Klimakrise“, schrieb sie 2022 in einem Brief aus ihrer Haft in Bayern heraus. Sie wolle die Klimakatastrophe nicht verdrängen oder darauf hoffen, dass andere die Situation regeln würden. „Wenn wir uns die Lage wirklich bewusst machen, können wir entweder verzweifelt aufgeben oder handeln. Wir brauchen Menschen, die handeln“, schrieb sie.

Die Haft hielt Meyer nicht davon ab, für mehr Klimaschutz zu kämpfen. „Ich werde auf jeden Fall weitermachen. Und ich riskiere es, wieder im Gefängnis zu landen“, sagte sie nach ihrer Entlassung der Süddeutschen Zeitung. Später war sie an weiteren Aktionen beteiligt, besprühte etwa in Berlin und auf Sylt Flugzeuge mit Farbe.

Die Staatsanwaltschaft Flensburg wirft ihr nun vor, „für die Organisation und professionelle Vorbereitung von Straftaten und für das gezielte Anwerben von Mitgliedern zur Begehung derartiger Taten verantwortlich gewesen zu sein“. In insgesamt sieben Fällen geht es dabei um gemeinschädliche Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und die Störung öffentlicher Betriebe. Die Schadenssumme bewegt sich laut Staatsanwaltschaft im siebenstelligen Bereich.

Anklagen auch in München

Besondere Brisanz hat der Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. Denn ob die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung nach dem Strafgesetzbuch ist, hat bislang noch kein Gericht in Deutschland festgestellt.

Gestritten wird aber schon seit Längerem, ob Straßenblockaden und Farbattacken auf öffentliche Bauten oder Gemälde, für die die Letzte Generation am meisten Aufmerksamkeit erhalten hatte, ausreichen, um diesen Straftatbestand zu erfüllen. Im Mai erhob die Staatsanwaltschaft Neuruppin erstmals Anklage gegen Letzte-Generation-Aktivist*innen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. In München wird dagegen seit einem Jahr gegen fünf Ak­ti­vis­t*in­nen wegen des Verdachts, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, ermittelt. Meyers Fall ist nun der zweite dieser Art. Bei einer Verurteilung sind bis zu fünf Jahre Haft möglich. Ob es zu einem Prozess kommt, muss noch das Landgericht Flensburg entscheiden.

Die Klimaschutzaktivistin reagiert mit Unverständnis auf die Anklage. „Man will an mir ausdiskutieren, ob es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt“, sagt Meyer der taz. „Die Ressourcen, die dafür verwendet werden, könnten viel sinnvoller genutzt werden.“ Einschüchtern lassen will sie sich von der Anklage jedenfalls nicht, sagte sie am Mittwochnachmittag. Da kam sie gerade aus einer Gerichtsverhandlung in Berlin, wo sie sich derzeit wegen mehrerer Straßenblockaden und Sachbeschädigungen verantworten muss.

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8 Kommentare

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  • Es ist kaum erforderlich, dass die gesamte Letzte Generation als kriminelle Vereinigung eingestuft werden müsste wie der Text suggeriert. Mit der kriminellen Vereinigung dürfte vielmehr eine kleine Gruppe von Leuten gemeint sein, die gemeinschaftlich Straftaten planen und durchführen. Dieser Nachweis wird wahrscheinlich leicht zu führen sein. Dass sie sich u.a. auch als Mitglieder der Letzten Generation sehen hat damit nichts zu tun und wird sie auch nicht schützen.

  • Bei geplanter Sachbeschädigung mit Schäden mit mehreren Hunderttausend Euro pro Schadensfall, kann man schon von Kriminalität sprechen. Und wenn sich dazu mehrere Leute verabreden, auch von einer kriminellen Vereinigung.

  • Eine Gesellschaft, die das 1,5 Grad-Ziel nicht eingehalten hat, klagt mit ihren staatlichen Vertretern die Letze Generation als Kriminelle Vereinigung an, obwohl sie nur dafür sorgen wollte, dass das Klimaziel von 1,5 Grad eingehalten wird.



    Lobbys der Autoindustrie und der Wirtschaft, die über Jahre die Erreichung dieses Klimaziels mit der Politik hintertrieben, werden nicht angeklagt. Was für eine Farce! Höchste Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht die Staatsanwaltschaften in ihre Schranken verweist.

    • @Lindenberg:

      Ihre letzte Forderung läuft auf eine Aufhebung der Gewalteinteilung hinaus. Wohin das führt könnten wir in den letzten Jahren in einigen europäischen und außereuropäischen Ländern beobachten. Das kann man sich eigentlich nicht wünschen.

    • @Lindenberg:

      Gemeinschädliche Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und die Störung öffentlicher Betriebe mit einem Millionenschaden ("Schadenssumme im siebenstelligen Bereich") ist schon eine Nummer.

      Da die Geschädigten (Private und Öffentliche) mangels entsprechendem Geldvermögen der "Aktivistin" auf ihrem Schaden sitzenbleiben und das aus eigener bzw. des Steuerzahlers Tasche selbst zahlen dürfen, hält sich deren Verständnis für die hehren Ziele der Dame vermutlich in Grenzen. Gleiches gilt für den Gesetzgeber, welcher gerne seine Gesetze eingehalten sehen möchte und deshalb die Strafverfolgungsbehörden anweist für die Durchsetzung dieser Gesetze zu sorgen, statt sich bei der Dame dafür zu bedanken, dass sie uns alle mit ihren Aktionen retten will.

      Insofern erscheint es mir eher unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht "die Staatsanwaltschaften in ihre Schranken verweist" und der Dame einen Freibrief für ihre weltenrettenden Aktionen ausstellt.

    • @Lindenberg:

      "...klagt mit ihren staatlichen Vertretern die Letze Generation als Kriminelle Vereinigung an, obwohl sie nur dafür sorgen wollte..."



      Ich geh mal mit der juristischen Argumentation mit, obwohl man dazu viel sagen könnte, aber das ist schlicht Selbstjustiz und nicht erlaubt.



      Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel.



      Ja, das sollte für alle gelten. Aber eine Nichtverfolgung anderer als Grund zu nehmen, selber die Gesetze nicht einzuhalten ist eben nicht haltbar.

      • @Encantado:

        Warum nicht auch auf das Gericht in Flensburg hoffen, zumal eine mutige Richterin in Flensburg schon einmal eine Klimaaktivistin freisprach.

        Der Grund: Klimaschutz als rechtfertigender Notstand.

        Zitat aus dem Flensburger Urteil

        "Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

        Weiterer wichtiger Hintergrund: Staaten, Umweltverbände, die die Bundesregierung aufgrund mangelhaften Klimaschutz verklagen.

        www.bund.net/hande...nicht-handeln-wir/

        www.duh.de/presse/...de-klimaschutzpro/

    • @Lindenberg:

      Ich sehe das BVG nicht als leuchtenden Gipfel aus dem Sumpf der Wohlstandsverwahrlosung, durch die letztendlich diese Farce verursacht wird, herausragen.