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Mitbestimmung in der KlimakriseGeloste Bür­ge­r:in­nen for Future

Nützen Klima-Bürger:innenräte oder kosten sie nur Zeit? Bei einer taz-Veranstaltung in Freiburg wird über Klimaschutz und Beteiligung diskutiert.

Bleibt uns in der Klimakrise Zeit für Diskussion? Beim klimaland Talk in Freiburg nehmen wir sie uns Foto: Peter Rohrmann Jr.

FREIBURG taz | In Freiburg und Umgebung sehen die Bür­ge­r:in­nen inzwischen jedes Jahr, wie die Klimakrise das Leben beeinflusst. Die Dreisam, ein 35 Kilometer kurzer, doch wichtiger Fluss für das örtliche Ökosystem, führt im Sommer immer weniger Wasser. Da, wo sich früher ein plätschernder Fluss durch die Stadt und Umland schlängelte, war etwa in diesem Sommer nur noch ein Rinnsal zu sehen.

Um die Klimaerwärmung abzubremsen, müssen Veränderungen her: Ausbau der erneuerbaren Energien, klimaschonendes Bauen. Doch welche Maßnahmen trägt die Bevölkerung mit, was sind konkrete Ziele, die zu erreichen sein sollten?

Gemeinsam mit Mit­strei­te­r:in­nen initiierte Gabriele Michel einen Kli­ma­bür­ger:in­ne­rat im Auftrag von 16 Gemeinden im Umland Freiburgs. 4.000 Menschen wurden in den Gemeinden angeschrieben, aus den Zusagen 200 ausgewählt, an sechs Samstagen diskutierte man, hörte Vorträge von Expert:innen.

Am Ende dieses kommunikativen Prozesses stehen 48 Maßnahmen, die am 15. September an die Gemeinden übergeben und fünf Tage darauf öffentlich und offiziell präsentiert werden. Ein wahrgewordener grüner Traum vom schnellen Durchbringen nachhaltiger Maßnahmen? Nicht ganz. „Es gab viele Menschen, die kritisierten, dass die Empfehlungen, wenn sie keinen juristisch bindenden Charakter haben, nichts taugen“, so Michel. Unter dem Titel „Weniger reden, mehr schaffen“, diskutieren sie und drei weitere Gäste in dieser Woche auf dem taz klimaland-Podium in Freiburg zur Frage: Kosten, ja rauben Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gun­gen nur Zeit, die wir in der Klimafrage nicht haben – oder bringen sie doch etwas?

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„Ja, das ist das richtige Instrument, aber es nützt nur, wenn die Politik das aufgreift, weil wenn nicht, wäre das eine Katastrophe für die Demokratie“, so Michel. Es würde zu berechtigtem Frust führen und Verwerfungen, weil der Bürger oder die Bürgerin davon ja zehre, von der Politik ernst genommen zu werden. Schnell kristallisiert sich an diesem Abend als Knackpunkt heraus, dass es nicht so leicht ist, die Gemeinderäte vom kommunalen Beratungsprozess zu überzeugen.

Innerhalb der Diskussion wurden verschiedene Lösungen genannt. Ein Hebel sei der öffentliche Druck. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vorschläge für die Maßnahmen am 20. September sei bewusst gewählt: Zwei Tage später ist eine große Fridays For Future-Aktion angemeldet. Das übe auf die Politik noch mehr Druck aus.

Reicht ein bisschen mehr Bewusstsein?

Bei der Formulierung der Empfehlungen habe Fridays for Future Tipps gegeben, meint Lissy Gehrham von der Klimaprotest-Bewegung auf dem Podium: „Die mussten viel härter sein, also zum Beispiel: ‚So viele Windräder bis dann und dann‘.“ Was sie allgemein von der Idee eines Klimabürger:innen-Rats halten? „Wir finden solche Gremien total positiv, je mehr, desto besser, um immer mehr Menschen einzubinden“, so Gehrham.

klimaland

Was bedeutet die Energiewende ganz konkret vor Ort? Wir als taz reisen für eine Reportageserie in Dörfer und Städte, in denen um die Energiezukunft und die Folgen der Klimakrise gerungen und gestritten wird. Alle Texte, lokalen Veranstaltungen und Videos finde Sie unter taz.de/klimaland.

taz-Moderator Benno Stieber, Landeskorrespondet dieser Zeitung in Baden-Württemberg, konfrontiert an dem Abend immer wieder den vierten Gast, Christian Ante, mit den Aussagen der anderen Podiumsteilnehmer:innen. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Merzhausen. Die 5.000-Einwohner-Kommune ist eine der 16 Gemeinden, die sich dem Bürgerrat anvertraut haben. Gefragt, ob ihn der Optimismus der Teil­neh­me­r:in­nen überzeuge, erwidert er, dass selbst falls der Bürgerrat nur zu einer Bewusstseinsbildung für die drängenden Probleme führe, dieser schon seine Aufgabe erfüllt habe. Auf die Aussage geht niemand ein. Es mag bezweifelt werden, dass den Teil­neh­me­r:in­nen des Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­ra­tes diese Aussage ausreichen wird.

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12 Kommentare

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  • Gewählt, gelost oda einfach hingegangen: Solche Panels werden ebenso, mit gelegentlichen positiven Neben-Effekten - verpuffen wie das ganze Gedöns der lokalen "Agenda"-Gruppen anno dunnemich. Deren Nebeneffekte (Bürgerstadtpläne, Kompostierplätze, Bushaltestellen...) waren - und sind- nicht zu unterschätzen, aber dafür sollte es keine pseudo-offizielle Nominierung geben - die wäre eher hinderlich plus würde alle überfordern: den zwangs-beratenen Bürgermeister wie die Ministerpräsidentin, die Teilnehmer allemal. Wenn Foren, dann: einfach hingehen. Das ständig hilflose Herumdoctern mit Pseudo-Pflästerchen auf den Läsionen der Parteien-Demokratie, das macht die auch nicht besser.

  • Es gibt also einen Bürgermeister, der gewählt ist, Gemeinderäte, die gewählt sind und daneben soll ein Bürgerrat ausgeguckt werden, dem es nicht reichen soll, nur angehört zu werden. Sondern es sollen "harte Forderungen" aufgestellt werden, die dann auch erfüllt werden sollen.



    Warum dann noch Gemeinderäte und Bürgermeister wählen?

    • 8G
      8190 (Profil gelöscht)
      @fly:

      weil Gemeinderäte und Bürgermeister (und vor allem Parlamentarier) häufig krass falsche Entscheidungen treffen. Ich weiß, fällt nicht jedem auf. Repräsentative Demokratie hat Schwächen.

      • @8190 (Profil gelöscht):

        Bürgerräte können sich selbstverständlich auch falsch entscheiden.

        Aber Ihr Kommentar macht deutlich, worum es eigentlich geht: über das Vehikel Bürgerrat wollen bestimmte Gruppen ihre Interessen an den Parlamenten vorbei durchsetzen. Die "Repräsentanz"und der Anschein des Urdemokratischen dienen dabei der Absicherung gegen Widerspruch. Welcher Politiker würde es denn auch wagen, einem Rat "der" Bürger zu widersprechen?

      • @8190 (Profil gelöscht):

        Ein Bürgerrat ist auch "repräsentativ", weil die Bürger nicht abstimmen, sondern durch den Bürgerrat repräsentiert werden sollen. Aber die Mitglieder den Bürgerrats werden nicht gewählt. Der Bürgerrat ersetzt also, wenn man ihm Entscheidungsbefugnisse einräumt, eine repräsentative Demokratie durch eine repräsentative Nicht-Demokratie. Mit dem Grundgesetz wäre das alles nicht vereinbar.

        Von Seiten der zahlreichen staatlich finanzierten Projekte zur Förderung der Demokratie hört man merkwürdigerweise keine Stellungnahmen zu den Forderungen, nicht gewählte Gremien mit Entscheidungsbefugnissen zu versehen. Vom Verfassungsschutz auch nicht.

        Ich warte darauf, dass mal ein Bürgerrat etwas beschließt, das zu den Konzepten der hiesigen Klimaschutzbewegung im Widerspruch steht, z. B. dass ein Bürgerrat sich gegen die Errichtung eines Windparks ausspricht oder gar fordert, zwecks CO2-armer Stromerzeugung neue Atomkraftwerke zu bauen. Dann werden voraussichtlich die meisten, die heute fordern, dass Beschlüsse von Bürgerräten verbindlich sein sollten, diese Forderung stillschweigend fallen lassen.

      • @8190 (Profil gelöscht):

        Solche Räte würden selbstverständlich niemals irren. Warum haben sich Räte-Republiken nach 1918 nicht durchgesetzt? ... weil sie undemokratisch sind.

  • Ich bin ganz froh, dass die Bürgerräte keine weitergehenden Befugnisse haben oder deren Empfehlungen Folgen haben.

    Wir haben gewählte Politiker, das reicht. Ich brauche nicht noch eine irgendwie ausgewählte Gruppe, die irgendwelche Vorschläge in kleinem Kreis ausklüngelt, mit Input von irgendwelchen Experten. Und die dann angeblich „für alle Bürger“ spricht.

    Wenn man mehr Bürgerbeteiligung will, dann finde ich Volksbefragungen usw. deutlich besser, auch wenn diese Instrumente natürlich auch ihre Probleme mit sich bringen.

    • @gyakusou:

      Die Grünen sind deswegen von Volksbefragungen auf Bürgerräte umgeschwenkt, weil die direkte Demokratie zu oft "falsch", also gegen ein Anliegen der Grünen, entschieden hat. Das war zB beim allerersten Volksentscheid in Hamburg so. Die Grünen hatten jahrelang auf die Einführung von Referenden gedrängt. Und das erste hat dann ihre ebenso lang geplante Schulreform rückgängig gemacht.



      Bürgerräte bzw ihre Ergebnisse sind vermeintlich oder tatsächlich kontrollierbarer, weil zum einen schon eine Selbstauswahl der Teilnehmer dafür sorgt, dass eher gebildete, politisch interessierte Menschen (also statistisch gesehen mit höherer Wahrscheinlichkeit Grünenwähler) teilnehmen, zum anderen, weil man die Auswahl der eingeladenen Experten beeinflussen kann.

    • 8G
      8190 (Profil gelöscht)
      @gyakusou:

      Volksbefragungen sind eigentlich genau die falsche Richtung, weil neuerdings medial zu sehr beeinflussbar. Da wird jede Abstimmung zur Facebookschlacht. Gewählte Vertreter sind häufig fachfremd, haben zu wenig eigene Interessen am Thema, oder - schlimmer noch - zu viel davon.

      Allein z.B. im BT sitzen überwiegend Juristen, das Ergebnis: Probleme werden kaum gelöst, Gesetze, Bestimmungen, Verordnungen usw. werden einfach nur noch komplexer. Die machen, was sie lieben.

      Wie lange ist das her, als wir mal unsere Steuergesetzgebung glattziehen wollten?

  • „Klima-Bürger:innenräte“ sind perse wirkungslos, weil man ein globales Thema nicht lokal diskutieren kann. Der vielerwähnte Vorbildcharakter trägt auch nicht, dazu sind die Beteiligten auf viel zu vielen Augen blind. Es werden Dinge über- und Unterschätzt. Beispiel: ein Hund (als Haustier) emittiert ähnlich viel CO2 im Jahr wie ein Diesel mit einer Laufleistung von 15.000 km. Bauen ist 20 mal schädlicher als Verkehr … usw. Solange so viel Unkenntnis und ideologische Themensetzung vorherrschen kann das nicht gelingen.

    • @Taztui:

      ...selbstverständlich können, sollen und müssen globale Themen - wie Klimawandel, globale Industrie -und Wirtschaftsinteressen, Staatenabhängikeiten und Verbindungen der Machteliten weltweit, auch lokal diskutiert werden. Je mehr Bürger und Wähler politische Bildung bekommen, umso eher werden sie diese Zusammenhänge verstehen lernen und dieses Wissen in ihrem Verhalten und auch in ihre Wahlentscheidungen , einfließen lassen können. Zu globalen Industrieinteressen, könnte sicher auch Markus Söder durch entsprechende Vorträge - lokal - effektiv Informationen liefern, da er sicher etwas Einblick am Rande durch die Firma seiner Ehefrau Karin Söder-Baumüller - Inhaberin des Familienunternehmen Baumüller Group GmbH & Co KG mit Sitz in Nürnberg und weiteren Niederlassungen in über 20 Staaten weltweit, bekommt...

      • @Alex_der_Wunderer:

        Ein Bürgerrat ist kein Ort für die politische Bildung von ein paar Einzelnen. Das macht überhaupt keinen Sinn. Da wird allenfalls etwas Schwarmintelligenz simuliert, um ein paar lokale Probleme zu diskutieren. Für Lösungen bräuchte es aber (demokratisch legitimierte) Entscheidungen.