Mit der Bahn gestrandet nachts in Berlin: Der Schrei
Spät nachts komme ich in Berlin an und brauche ein Bett, weil kein Anschlusszug mehr geht. Alle Hotels sind voll. Mir hilft, das Gefühl rauszulassen.
U m uns zucken Blitze. Die Bahn schwankt. „Wir fahren jetzt durch die Gewitterfront. Gegen Mitternacht werden wir Berlin erreichen“, sagt der Zugbegleiter. „So Gott will.“ Die anderen Reisenden und ich schauen uns mit großen Augen an.
Ich fahre nach Berlin, obwohl ich dort nicht hin möchte. In dieser Nacht ist alles anders. Mein Zug nach Hamburg ist in Frankfurt liegen geblieben. Dort wurde die nächste Verbindung nach Hamburg erst wieder in eineinhalb Stunden angezeigt. Ich hielt es für schlau, in den Zug nach Berlin zu steigen, um von dort weiter nach Hamburg zu kommen: Erst einmal weg von Frankfurt mit all den Menschen und Zügen, die hier gestrandet sind.
Die Fahrt nach Berlin fühlte sich richtig an, doch dann nahmen das Unwetter und die Verspätung zu. Jetzt zucken die Blitze. Ein irreales, schönes Schauspiel. Ich weiß, aus Berlin wird kein Zug mehr wegfahren, wenn wir dort ankommen werden.
Als ich spät nachts in Berlin aussteige, fühle ich mich krank, mein Hals schmerzt. Ich habe einen langen Arbeitstag und viele Stunden im Zug aus dem Süden hinter mir. Als ich in der langen Schlange vor der Reiseauskunft drankomme, sagt der Mitarbeiter, dass die Bahn heute kein freies Kontingent mehr für Betten in den Hotels habe. Man könne sich zum Warten in einen bereitgestellten ICE auf Gleis 8 setzen oder sich selbst ein Hotel suchen und der Bahn danach in Rechnung stellen. Ich spüre, ich kann nicht wieder zurück in einen Zug.
Ich trete aus dem Bahnhof hinaus in den Regen, der aus schwarzer Nacht fällt. Die zwei Hotels, die ich an der Europaseite des Bahnhofs aufsuche, sind ausgebucht. Die Special Olympics sind in der Stadt. „Keine Chance“, sagt der Mann an der Rezeption.
Ich laufe durch die Halle zur anderen Seite des Bahnhofs an der Spree. In den Ecken des Bahnhofs, auf dem Boden liegen Menschen. Obdachlose. Ich bin unendlich erschöpft. Ich möchte nur noch einen Ort zum Ausstrecken.
Mein Handyakku ist fast leer, doch eine Hotel-App zeigt mir noch freie Betten an. Als ich diese Hotels betrete, schütteln die müden Mitarbeitenden den Kopf: „Wir sind restlos belegt.“
Ich bin zwischen den Tagen. Die App zeigt zum Buchen den neuen Tag an, doch die alte Nacht ist ausgebucht. Als ich das dritte Hotel verlasse und an der Spree entlanglaufe, zucken Blitze um mich. Neben mir liegt dunkel das Parlament. Mein Koffer ist schwer.
Ich spüre, wie ich kurz davor bin aufzugeben. Dass ich mich ablege, in die Bahnhofshalle, zu den anderen Menschen auf den Boden. Noch ein Hotel zeigt mir mein Handy an. Ich gehe über die kleine Brücke an der Spree. Doch auf der Mitte der Brücke spüre ich plötzlich, dass meine Situation aussichtslos ist. Dass es zu nass und dunkel ist, um weiter nach Hotels zu suchen.
Ich stehe auf der Brücke im Gewitter und plötzlich bricht sich ein Gefühl in mir Bahn. Laut schreie ich ein Wort heraus. Wann habe ich das letzte Mal so geschrien, wann war ich das letzte Mal so allein und losgebunden von allem, mitten im Unwetter? Auf eine bestimmte Weise ist es ein befreiendes Gefühl.
Ein Mann im Anzug, der einzeln in der Ferne steht, schaut mich erstaunt an. Ich ignoriere ihn. Der Schrei hat mir überraschend Kraft gegeben. Ich spüre neuen Willen.
Und dann entscheide ich. Auch wenn ich nicht weiß, ob mir das die Bahn zurückzahlt. Ich steige in das nächste Taxi und fahre weiter weg vom Bahnhof zum Alexanderplatz, ich buche über die App ein Bett im günstigsten Hotel und bezahle es im Voraus, um Fakten zu schaffen. Als ich dort ankomme, sagt der Mitarbeiter. „Es ist eigentlich merkwürdig, dass Sie noch buchen konnten. Aber ja, da ist noch ein Bett.“
Als ich völlig durchnässt mein Zimmer betrete, denke ich an die Menschen am Bahnhof, die sich jede Nacht einen Winkel suchen, ein Stück Boden, wo sie schlafen. Wie sie das aushalten. Nacht für Nacht. Wann haben sie das letzte Mal geschrien? Schreien sie nicht innerlich die ganze Zeit?
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