piwik no script img

Misstrauensvotum in FrankreichDas Vertrauen ist futsch

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Frankreich erwacht verkatert: Premierminister Michel Barnier ist abgesetzt. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen links und rechts führt ins Nichts. Macron muss Verantwortung übernehmen.

Premierminister Barnier ist per Misstrauensvotum entlassen worden. Nun regiert Macron im Blindflug Foto: Michel Euler/AP/dpa

F rankreich erwacht mit einer Katerstimmung. Wie dies vor allem die Sympathisanten der Linken und der populistischen Rechten wollten, aber laut Umfragen auch eine Mehrheit der Französinnen und Franzosen wünschten, ist Michel Barnier als Premierminister abgesetzt worden.

Die Genugtuung dürfte auch bei den Parteien, die den Regierungschef mit einem Votum in der Vertrauensfrage zum Rücktritt gezwungen haben, von kurzer Dauer sein. So süß, wie sie sich das vielleicht vorgestellt hatten, schmeckt diese Rache nicht.

Die linke Neue Volksfront (NFP), die seit den letzten Wahlen im Juli in der Nationalversammlung den größten Block darstellt, war nachhaltig frustriert, weil nicht jemand aus ihren Reihen von Präsident Macron mit der Regierungsbildung beauftragt worden war.

Die Abrechnung mit der Notlösung Barnier, der mit seiner Koalition aus Macronisten und Konservativen keine regierungsfähige Mehrheit als Rückhalt besaß, musste früher oder später kommen. Die Absetzung des Premiers war bloß eine Frage der Zeit.

Populisten spielen Katz und Maus

Die Rechtspopulisten von Marine Le Pen dagegen spielten mit der Minderheitsregierung von Barnier von Beginn an Katz und Maus: Du gehst auf unsere Forderungen ein oder wir lassen dich fallen!

Wie häufig in einer Erpressung steigen die Tarife der verlangten Zugeständnisse. Der Premierminister hing von Marine Le Pens Duldung ab. Das hat ihn freilich nicht gerettet, sondern nur zusätzlich geschwächt.

Nun hat also Frankreich (vorerst) keine Regierung mehr, keinen Staatshaushalt für 2025, kein Programm für die kommenden Monate. Doch ein Machtvakuum existiert nicht, denn es bleibt an der Spitze dieser Republik ein Präsident, der notfalls gestützt auf Artikel in der Verfassung auch ganz alleine herrschen und den Staat weiter funktionieren lassen kann. Allerdings im Leerlauf. Es wäre im Interesse Frankreichs, aber auch der Eurozone, dass es nicht lange dabei bleibt.

Mit dem erzwungenen Abgang von Barnier wird der Präsident vor seine Verantwortung gestellt. Er kann nicht mehr den Premier vorschieben, der die ihm zugedachte Hiebe einstecken muss, oder sich auf die Parteien stützen, um seine Schwäche zu kaschieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • 60 Milliarden Zinsen im Jahr.

    Deutschland bei 40 Milliarden im Jahr. Dabei hat Deutschland bei einigen hochverschuldeten EU-Ländern noch über 1,1 Billionen Target-Risiken im Feuer, die wir wohl kaum wiederbekommen dürften. D. h. unser Schuldenberg übersteigt den Frankreichs nochmal erheblich.

    Die deutsche Regierung ist vor einigen Wochen wegen Schulden gefallen, jetzt die französische.

    Selbst in einer sehr guten Dekade 2010 bis 2019, als China über hohe Investitionen die Weltwirtschaft, insbesondere die deutsche Wirtschaft pushte, konnte Deutschland nur 10 Milliarden im Jahr an Schulden zurück zahlen. Aber auch nur weil es bei der Bahn, den Brücken, den Schulen, Krankenhäusern etc. nicht investierte und wir jetzt dort einen riesigen Überhang an dringenden Instandsetzungsarbeiten haben.

    Wie kriegt man diese Schulden weg? Beliebt bei allen Regierungen ist hohe Inflation. Vermindert die Staatsschulden, enteignet jedoch die Bürger.

    Vermutlich ist dann irgendwann eine neue Währungsreform fällig.

    Armut für alle. Außer denjenigen, die ihr Geld vorher ins Ausland gebracht haben. In einer anderen Währung und Aktien natürlich.

    • @shantivanille:

      Fast jeder Häuslebauer, der mit Darlehen finanziert, hat - prozentual von seinem persönlichen BIP - eine weit höhere Zinslast als Deutschland oder Frankreich. Deutschland hat ein BIP von 4 Billionen €, Frankreich von 3 Billionen. Rechnen Sie selbst!



      Die Target-Risiken sind keine echten Risiken, haben aber viel damit zu tun, dass die Einkommen in Deutschland, gemessen an der Wirtschaftskraft, seit mehr als 50 Jahren zu niedrig sind. Das erhöht den Leistungsbilanzüberschuss.



      Die "gute Dekade 2010 bis 2019" hatte hauptsächlich mit niedrigen Zinsen in der Eurozone (und darüber hinaus) zu tun als mit China. Die Deutsche Bahn ist eine AG und damit inzwischen kein echtes Staatsunternehmen mehr, auch wenn der Staat 100% der Aktien hält. Die soll sich um ihr Zeug gefälligst entweder selbst kümmern oder wieder gänzlich verstaatlicht werden. Dasselbe gilt für so manches Krankenhaus.



      Nein, der Bürger wird durch Staatsschulden NICHT enteignet, denn er ist sozusagen Anteilseigner des Staates. Mehr Schulden beim Staat entsprechen mehr Vermögen bei den Bürgern. Wenn Sie meinen, davon nichts zu haben, müssen Sie Ihre Vermögensstrategie ändern - man muss dafür sein Geld nicht ins Ausland bringen.

  • Macron muß bei der Ernennung den Wählerwillen beachten.



    Sonst kommt LP schneller um die Ecke als man denkt.

    • @Ninotschki:

      Aber was ist der Wählerwille ?



      Im zweiten Wahlgang der Parlamentswahl haben Macron Sammlungsbewegung und die linke Volksfont ja schon erfolgreich koaliert, um den Sieg des RN zu verhindern.



      Jetzt sind sie nicht fähig, im Parament zu koalieren. Vielleicht, weil es jetzt um Inhalte und nicht nur um Mandate gehen würde.

      PS: Mit dem britischen Mehrheitswahlrecht hätte der RN eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und könnte eine stabile Regierung bilden.

  • „Macron muss Verantwortung übernehmen.“

    Echt jetzt? Er muss? Wer sollte ihn denn dazu zwingen? Seine Moral etwa, „die EU“ oder gar „Frankreich“?

    Nein, es gibt kein „Machtvakuum“, nur weil ein Mann allein Frankreich regiert. Wo sich ein egomanischer Präsident seine Herrschaft „notfalls“ auf Artikel in der Verfassung stützen kann, wird die Not dieses Präsidenten nie groß genug sein, um ihn Vernunft annehmen zu lassen. Seine Lösung ist dann nämlich nur ein Problem anderer, nicht seins.

    Der Staat wird zweifellos weiter „funktionieren“. Wobei es „im Leerlauf“ eigentlich immer nur abwärts gehen kann in einer Welt, in der die Gravitation regiert. Aber auch dann gibt es noch genug Leute, die profitieren von der Bewegung. Die Großen und Schweren zum Beispiel. Nur stehen die nicht unbedingt im Scheinwerferlicht. Und die im Dunkeln sieht man ja schlecht…

    Nun ja. Ist angeblich nur schlechtes Theater, das. Und solches Theater muss, leider-zum-Glück, aus Finanzgründen weg. Für manche je-schneller-je-lieber,

  • Ich frag mich echt wie das weiter gehen soll.



    Frankreich hat 3200 Milliarden Schulden (112% des BIP), und jedes Jahr kommen nochmal etwa 60 (!) Milliarden dazu. Die Zinsen für Staatsanleihen sind enorm geworden, sie zahlen jetzt schon mehr als Griechenland damals.



    Und wie man jetzt auch wieder sehen kann, geht das wohl so weiter weil keiner bereit ist auch mal unangenehme Entscheidungen zu treffen.



    Ich verstehe ja das es schwer ist zu sparen, besonders auch das man an bestimmten Dingen nicht sparen will (Sozialleistungen usw), aber es ist einfach offensichtlich das sie was ändern müssen. Sonst sind das in 10 Jahren nochmal 600 Millarden Schulden mehr, + Zinsen, also eher so ~800 Milliarden. Und das Geld entwerten wie früher, geht mit dem Euro halt nicht so einfach. Dann wird es irgendwann keine Anleihen mehr geben, nicht mal mit "Monster Zinsen", und was dann?



    Irgendwas muss da passieren, sonst ziehen die uns alle auch mit runter, also ganz Europa...

    • @Rikard Dobos:

      Irgendwann spricht es sich rum: Weder soziale Wohltaten noch Schuldendienst sind Innovationen.

      Nur Investitionen sind jedoch sinnvolle Schulden.

      Der Irrglaube, dass nur Staaten wie Argentinien oder Griechenland in die Insolvenz laufen können, wird in Italien und Frankreich demnächst als solcher auffliegen.

    • @Rikard Dobos:

      Frankreich könnte aus dem Euro austreten, die Währung massiv abwerten, das würde das Problem lösen, Importe würden massiv verteuert aber Exporte würden günstiger. Vielleicht wäre doch zwei Euros besser als einer, einer für Staaten die weiche Währung bevorzugen einer für die die harte Währung bevorzugen.

  • Es wird alles schlimmer werden. Ich glaube aber, dass Barnier sowieso nicht auserkoren wurde, um zu regieren, sondern um das Parlament hinzuhalten. Macron will verhindern, dass die Linken eine Regierung bilden. Sein Kalkül war, dass die Sozialisten in der Mitte mitmachen, was sie aber nicht tun.



    Jetzt hat Macron kein Kalkül mehr. Und damit kann er dann auch regieren, aber eine neue Regierung muss ja kommen. Und warum sollte es dann klappen?