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Militärcoups in AfrikaDer brave Soldat Damiba

Was wollen Westafrikas Putschisten? Der neue Militärherrscher von Burkina Faso hat vor seinem Staatsstreich ein aufschlussreiches Buch geschrieben.

Im Volk recht beliebt: Putschistenführer und neues Staatsoberhaupt von Burkina Faso Damiba Foto: Sophie Garcia/ap

E s ist offensichtlich utopisch zu glauben, dass eine Stabilisierungsinitiative Früchte tragen kann, ohne die Realitäten vor Ort zu berücksichtigen.“ Mit diesem Satz schließt Paul-Henri Sandaogo Damiba das Kapitel über ausländische Militärinterventionen in seinem Buch „Armées Ouest-Africaines et Terrorisme: Réponses Incertaines?“ (Westafrikanische Armeen und Terrorismus: unklare Antworten?), das 2021 in Paris erschien. Vor zwei Wochen putschte sich Damiba in seiner Heimat Burkina Faso an die Macht.

Die Umstürze in Mali, Guinea und jetzt Burkina Faso haben Angst vor einer Kettenreaktion in Westafrika erzeugt und der Frage nach dem Verbleib ausländischer Interventionskräfte neue Brisanz verliehen. Wer verstehen will, warum in Burkina Faso und in Mali junge Offiziere die Macht ergriffen haben, die zuvor an vorderster Front gegen den Terror standen, findet in Damibas Buch aufschlussreiche Antworten.

Die terroristische Bedrohung „folgt lokalen Logiken und erfordert angepasste lokale Lösungen“, schreibt der Offizier. „In Ermangelung der Fähigkeit, eigene und angepasste Orientierungen in der Terrorbekämpfung definieren zu können, geben sich die Armeen in Westafrika damit zufrieden, ihre Operationen gegen den gewalttätigen Ex­tremismus in eine globale Logik einzufügen, die von den Großmächten oder im Sinne internationaler Strategien festgelegt ist.

Dominic Johnson

ist seit 1990 Afrika-Redakteur der taz und leitet zusammen mit Barbara Oertel das Auslandsressort. Seine Kolumne „afrobeat“ erscheint an dieser Stelle seit 2014 etwa alle sechs Wochen.

Die Tendenz, Vorgehensweisen aus anderen Zeiten oder anderen Kontexten nachzuahmen, führt zum Verlust des Innovationsgeistes, schließt den Blick für andere Sichtweisen und verurteilt viele Länder dazu, in ihrem Kampf steckenzubleiben.“ Vernichtender kann man das Scheitern kaum ausdrücken. Damiba malt ein Tableau einer Weltregion, in der Staaten den Herausforderungen ihrer Gesellschaften nicht gewachsen sind. „Viele“ Sahelstaaten, schreibt er, „behandeln bestenfalls einige Symptome und gießen schlimmstenfalls Öl ins dschihadistische Feuer“.

Keine Chance bei der Terrorbekämpfung

Und die Soldaten zahlen den Preis. Das ist kein Plädoyer für blinde Gewaltanwendung. Damiba ortet die Wurzel des islamistischen Terrors ganz klar im Staatsversagen. Als „terroristische Gruppe“ definiert er „jede Gruppe von Menschen, die in einem ungünstigen Kräfteverhältnis steckt und als Mittel der Kritikausübung an der Politik außerhalb jedes legalen Rahmens zu einer Reihe potenziell tödlicher Gewaltmittel greift, um ihre Werte zu betonen oder aufzuzwingen und aus der Verbreitung kollektiver Angst in einem gegebenen Territorium Profit zu schlagen“.

Das Buch sortiert die Terrorgruppen der Sahelzone nach Herkunft ihrer Anführer – „arabisch“, „Tuareg“ oder „schwarz“ – und beschreibt sie als Parallelstaaten mit beträchtlichen Machtmitteln. Boko Haram in Nigeria hat eine eigene Luftabwehr. Der „Islamische Staat Westafrika“ um den Tschadsee profitiert jährlich bis zu 36 Millionen US-Dollar vom Handel mit Fisch, Pfeffer und Reis. Die „Macina-Befreiungsfront“ in Mali nimmt Bezug auf einen vorkolonialen Staat, ebenso Rebellen der Peul-Volksgruppe in Burkina Faso.

Ausführlich beschreibt Damiba, wie europäische Regierungen gekidnappte Weiße aus islamistischer Geiselhaft freikauften und damit die Terrorgruppen anschubfinanzierten: insgesamt 150 Millionen Euro an „al-Qaida im Islamischen Maghreb“ in Algerien bis 2011; fast 20 Millionen US-Dollar für zwei Spanier und einen Italiener in Mali 2012; fast 10 Millionen Euro für eine Französin und zwei Italiener in Mali noch 2020.

Diese gigantischen Geldströme kontrastiert Damiba mit den Kürzungen der Staatsausgaben, auch für das Militär, aufgezwungen von internationalen Geldgebern. Die Armeen erwiesen sich als unfähig: Einst zur zwischenstaatlichen Kriegführung aufgebaut, besteht ihre Einsatzerfahrung tatsächlich in UN-Blauhelmeinsätzen im Ausland oder in der Repression im Inland.

Zwecklose Militäreinsätze

Gegen einen militärischen Gegner im eigenen Land können sie wenig ausrichten: zu wenig Geld, zu wenig Erfahrung, zu wenig Führung, dazu eine „inkohärente“ Fülle von internationalen Akteuren. „Oft sieht man an derselben Front verschiedene Kampfgruppen, die unterschiedlichen Befehlsketten unterstehen, im Einsatz gegen dieselben terroristischen Organisationen“, so Damiba.

Neben der Klarheit der Analysen ist an Damibas Binnensicht zweierlei bemerkenswert. Erstens: Fast alles, was er schreibt, ist bekannt, auch wenn man es selten aus dieser Perspektive liest. Das macht sein Buch umso bedeutsamer: Die vielen kritischen Analysen zum Terror im Sahel liegen richtig – und doch werden sie ignoriert. Findet ein Putschist vielleicht mehr Gehör?

Zweitens: Die Regierungen der Sahelstaaten kommen bei Damiba so gut wie gar nicht vor. Kein Präsident, kein Wahltermin ist der Erwähnung wert, Verfassungen spielen keine Rolle. Die ganze demokratische Fassade, zu deren Stabilisierung Tausende europäische Soldaten unterwegs sind und Milliardengelder fließen, ist ihren Partnern vor Ort offensichtlich unwichtig. Kein Wunder, dass es sie wenig Überwindung kostet, zum Mittel des Staatsstreichs zu greifen.

Sanktionen wären die falsche Alternative

Was folgt daraus? Die laufenden internationalen Militäreinsätze haben keine Zukunft. Sie müssen enden. Die neuen Militärherrscher zu sanktionieren und zu isolieren wäre aber die falsche Alternative – ein Ausdruck beleidigter europäischer Rechthaberei. Nötig ist ein Dialog, der zu einer neuen Art von Zusammenarbeit führt.

In Burkina Faso, der „Republik der Aufrechten“, ist das Ideal des integren Soldaten, der selbstlos sein Land erneuert und dafür auf Werte zurückgreift, für die sich korrupte Politiker nicht interessieren, sehr lebendig. Es geht auf den Revolutionshelden Thomas Sankara aus den 1980er Jahren zurück – noch ein junger Putschist, der den eigenen Kameraden zum Opfer fiel. Wenn sich heute noch Soldaten an Sankara als Vorbild erinnern, ist das für eine Überwindung des Terrors im Sahel nicht die schlechteste Voraussetzung.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

5 Kommentare

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  • Der Artikel ist okay aber den Titel finde ich ziemlich bescheuert. Klingt abwertend.

  • Die Zitate zeigen eine klare, stringente und sprachlich genaue und elegante Analyse. Das würde man sich von vielen europäischen Politikern genauso wünschen.

  • Und wenn das Buch nun auch bald eine Übersetzung fände -via le Monde?- wäre es vlt leichter, unseren hiesigen Bessernordies einmal aufzuzeigen, dass die Menschen in Afrika ihre Probleme auch selber analysieren und lösen könnten.

  • Ich kenne die o.g. Veröffentlichung nicht, doch deckt sich diese inhaltlich mit meiner Wahrnehmung der Konflikte in dieser Weltreligion. Holzschnittartig, d.h. auch deutlichverkürzt, zusammengefasst:



    Die staatlichen Strukturen, demokratisch legitimiert oder nicht, sind regelhaft nicht in der Lage oder Willens, etwaige Ansprüche an den Staat, welche sich aus den jeweiligen Landesverfassungen ableiten lassen, zu realisieren. Verfassungsanspruch und Verfassungsrealität sind derart diskrepant, dass dieser auch nach demokratischer Legitimation nicht glaubwürdig ist. Das soziale Netzwerk, in der sich auch die althergebrachten tribalistischen Grundstrukturen wiederfinden, sich das tragende Element der jeweiligen Bürgerschaft zur Existenzsicherung. Nur so ist erklärbar, warum bei offensichtlicher "failed state"-Situationen die Zivilgesellschaften weiterhin funktionieren, vorrangig auf lokaler oder regionaler Ebene.

    • @e.a.n:

      Puhh- sie schreiben vornehm verklausuliert nichts Anderes als "Stammeskultur" "Diktatoren die bla bla", Verfassungs"infähigkeit" etc. pp. und garnieren das Ganze mit "failed"- was in der weissen Sprache nix anderes heisst, als "unfähig das Hi8nterlassene zu regieren". Sorry- 2022 sollte man WENIGSTENS mal 10 Jahre in westafrika verbracht hAben , und sich mit der Geschichte der westafr. Staaten seit 1600 beschäftigen wollen. Sonst macht man sich zum Fürsprecher des Späkolonialismus.