Mietenwahnsinn in Berlin: Gaebler und die zornigen Mieter
SPD-Senator Christian Gaebler verteidigt auf einem Linke-Podium in Kreuzberg die schwarz-rote Wohnungspolitik. Das ist nicht so gut angekommen.
Gleich mehrere ältere Frauen standen im vollbesetzten Veranstaltungsraum „Vierte Welt“ am Kottbusser Tor nacheinander auf, um Gaebler lautstark auf ihre Erfahrungen mit einer Zwangsräumung aufmerksam zu machen. Eine Mieterin der Gewobag beschwerte sich nicht minder laut, dass die Heizungen in ihrem Haus immer noch nicht funktionieren. Ein anderer Gewobag-Mieter erboste sich darüber, dass nach einem Rohrbruch das Wasser seit Tagen zentimeterhoch in seinem Keller steht.
Immer wieder die Gewobag, mit über 74.000 Wohnungen eines der größten Immobilienunternehmen Berlins – und dazu landeseigen, also auch Sache des Senats. Christian Gaebler beschied den Mieter:innen kurz und knapp: „Ich bin nicht der Vorstand der Gewobag.“ Die zwangsgeräumten Frauen ließ er wissen: „Bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen gibt es nur wenige Zwangsräumungen.“ Wenn geräumt werde, gebe es triftige Gründe. Zur Beruhigung trugen Gaeblers Erwiderungen nicht bei. Im Gegenteil.
Gaebler und Gennburg – im Streit vereint
Eingeladen zu der Veranstaltung hatte die Abgeordnetenhausfraktion der Linken. Es war dabei schon Überraschung genug, dass Christian Gaebler der Einladung überhaupt gefolgt ist. Immerhin musste sich der SPD-Senator das Podium unter anderem mit der Linke-Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg teilen. Ein im Dauerstreit vereintes Duo: Bereits zu gemeinsamen rot-grün-roten Regierungszeiten hatten sich Gaebler und Gennburg in Debatten nichts geschenkt.
Am Mittwoch war es – ebenso überraschend – zwischen beiden vergleichsweise manierlich zugegangen. „Wir sehen unter Schwarz-Rot in der Mieten- und Wohnungspolitik die absolute Rolle rückwärts, und das ist dramatisch“, warf Gennburg dem Senator an den Kopf. Und dass der Senat „die Axt anlegt“ an die wohnungspolitischen Errungenschaften der Vergangenheit.
Gaebler verwies als Entgegnung etwas mürrisch auf das geplante „Schneller-Bauen-Gesetz“, mit dem Schwarz-Rot glaubt, den Neubau in Berlin entfesseln zu können. Auch verteidigte er gegen Gennburg die im September mit den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften abgeschlossene neue Kooperationsvereinbarung. Die besagt, dass die Landeseigenen nach eineinhalb Jahren Mietenstopp ihre Mieten ab 2024 wieder erhöhen dürfen – und zwar um 2,9 Prozent pro Jahr.
Viele, viele neue Wohnungen
Das sei doch durchaus „sozialverträglich“, assistierte Jörg Franzen, der Chef der landeseigenen Gesobau. Viele Mieter:innen seien ja „vielleicht“ schon als Studierende eingezogen und würden jetzt gut verdienen, für die sei das absolut leistbar. Auf jeden Fall hätten die Landeseigenen durch die Vereinbarung wenigstens etwas größere Spielräume. „Wir werden viele, viele tausende Wohnungen bauen“, sagte Franzen. Und die vielen, vielen Wohnungen werden dann auch den Mietmarkt entspannen, „vielleicht“. Schon an diesen Stellen wurde im Publikum gemurrt.
Schließlich kam es zur Öffnung der Runde für die Publikumsfragen, genauer: den Publikumstumult. „Es läuft seit 30 Jahren scheiße, und ihr könnt euch mal überlegen, ob ihr euch endlich in die richtige Richtung bewegt“, sagte Katalin Gennburg zum Ende hin, an Christian Gaebler und die SPD gerichtet.
Aber das ging zu dem Zeitpunkt schon fast unter in der allgemeinen Aufgeregtheit, mit der nicht einmal die einladende Linke gerechnet hatte. Da soll noch mal eine:r sagen, dass Mietenthema tauge nicht mehr zum Aufreger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn