piwik no script img

Messerattacke in DresdenVertrauen einmal mehr erschüttert

Nach der tödlichen Messerattacke auf ein schwules Paar kritisieren LSBTI-Verbände die Behörden. Sie schweigen zum Tatmotiv Homophobie.

Blumen und Kerzen am Tatort des Messerangriffs unweit des Dresdner Residenzschlosses Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Berlin taz | Eine Woche ist es her, dass Abdullah Al H. H. verhaftet wurde. Zweieinhalb Wochen zuvor, am 4. Oktober, soll er in Dresden den 55-jährigen Thomas L. erstochen und dessen Partner schwer verletzt haben – aus islamistischen und wohl auch homophoben Motiven. Zu letzterem Tatmotiv schweigen die Behörden jedoch bis heute beharrlich. Nun regt sich daran deutliche Kritik.

„Die islamistische Attacke auf ein schwules Paar ist entsetzlich“, sagte Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD), der taz. „Statt öffentlicher Empathie und Solidarität wurde jedoch der Hass auf Schwule als mögliches Tatmotiv von Polizei, Staatsanwaltschaft und Ministerien verschwiegen.

Dieses Schweigen bagatellisiert Gewalt gegen LSBTI, macht sie unsichtbar und wiederholt so ein zentrales Muster von Homophobie und Transfeindlichkeit.“ Ulrich warf den Behörden „Ignoranz“ vor. Eine, die „einmal mehr das Vertrauen von LSBTI in Justiz und Sicherheitsbehörden erschüttert“.

Tatsächlich schwieg die Bundesanwaltschaft, welche die Ermittlungen zu dem Mord inzwischen übernommen hat, auch am Mittwochnachmittag auf taz-Anfrage zu der Frage nach einem homophoben Tatmotiv. Ein Sprecher sagte nur, ermittelt werde wegen eines radikal-islamistischen Tathintergrunds.

„Dringender Klärungsbedarf“

Auch das sächsische Innenministerium spricht nur von einer islamistisch-extremistischen Tat. Eine Sprecherin ergänzte aber, dass dies ein homophobes Motiv nicht ausschließe. Auf einer Pressekonferenz erklärte vergangene Woche der Dresdner Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt, man äußere sich nicht „zur sexuellen Orientierung von Tatopfern“.

Medien zitieren dagegen Ermittlerkreise, die auch von einem homophoben Tatmotiv sprechen. Der Tatverdächtige, ein vorbestrafter und als islamistischer Gefährder eingestufter 20-jähriger Syrer, könnte die Opfer als Paar erkannt haben. Die beiden Männer sollen sich vor der Tat umarmt haben. Auch in einer aktuellen Traueranzeige bezeichnet der schwer verletzte 53-jährige Kölner das Todesopfer als „geliebten Lebenspartner“. Er befinde sich „in tiefer Liebe und Trauer“.

Die Hirschfeld-Stiftung, die zur Diskriminierung von LSBTIQ-Personen forscht, forderte ebenso, dass die Ermittlungen zu „einer auch mutmaßlich homosexuellenfeindlichen Tat vorankommen müssen“. Hier bestehe „dringender Klärungsbedarf“. Die Frauenrechtlerin Seyran Ates twitterte: „Trauer und Wut. Sprachlosigkeit über das Schweigen und Vorgehen der Behörden, Politik, Medien und Zivilgesellschaft. Warum? Weil das Opfer schwul war?“

Auch mehrere FDP-Politiker äußerten sich kritisch. Frank Müller-Rosentritt, sächsischer Parteichef und Bundestagsabgeordneter, erklärte: „Ein Mensch wurde getötet, weil er in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebte. Vor diesem Hintergrund wäre eine klare Verurteilung dieser extremistischen Straftat, auch seitens der Bundesregierung, dringend geboten. Doch in den meisten politischen Lagern bleibt es auffallend still.“ Auch der Münchner FDP-Abgeordnete Thomas Sattelberger twitterte: „In Frankreich ist ein Präsident am Sarg des Lehrers, der Meinungsfreiheit lehrte, in Deutschland hat eine Bundeskanzlerin noch kein Wort gesagt.“

Ein Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel hat die Tat inzwischen als „grauenvolles Verbrechen“ verurteilt und einen Kampf gegen „islamistischen Terror mit ganzer Kraft auf allen staatlichen Ebenen“ versprochen. Über das mögliche homophobe Tatmotiv sprach aber auch er nicht.

Mahnwache von LSBTIQ-Aktivist:innen

Die sächsischen Sicherheitsbehörden stehen auch in der Kritik, weil sie die Tat nicht verhinderten, obwohl Abdullah Al H. H. als Gefährder eingestuft war und auch nach seiner erst Ende September verbüßten Haftstrafe als gefährlich galt. Der sächsische Verfassungsschutz hatte zunächst beteuert, den 20-Jährigen noch am Tattag observiert zu haben. Dann musste er aber einräumen, dass dies nur sporadisch und nicht zur Tatzeit geschehen war. Die Ermittler hatten den Syrer aufgrund von DNA-Spuren festgenommen.

Am Sonntagnachmittag wollen LSBTIQ-Aktivist:innen in Dresden nun mit einer Mahnwache der Tat gedenken. Das „sinnlose Attentat“ erfülle sie mit „großer Trauer und Bestürzung“, heißt es in einem Aufruf. Eine solche Tat könne jeden treffen, dürfe aber nicht davon abhalten, „weiterhin mit allem Selbstbewusstsein, das wir haben, für Vielfalt und Freiheit zu kämpfen“.

Die sächsische Landesregierung machte dagegen bisher nicht publik, wie sie mit der Tat weiter umgehen will und ob sie ein Gedenken plant. In Dresden reagiert nun zumindest der Integrations- und Ausländerbeirat: Er will am Donnerstagabend dem Attentat gedenken und einen Kranz am Tatort niederlegen. Auch der Beiratsvorsitzende Viktor Vince sprach von „tiefster Betroffenheit“ über das islamistische Attentat.

„Der Täter tötete wohl aus Hass auf Homosexuelle. Damit hat der Terror unsere Landeshauptstadt erreicht.“ Vince verband dies mit „einer klaren Kampfansage gegenüber jeglichem Extremismus“. Auch Markus Ulrich vom LSVD sagte: „Der Hass auf LSBTI ist immanenter Bestandteil islamistischer Ideologie, den die Extremismusprävention und -bekämpfung in schockierender Weise immer wieder unter den Tisch fallen lassen. Das muss ein Ende haben.“

Das Mordopfer Thomas L. soll in einer Woche, am 6. November, in seiner Heimat bei Krefeld beigesetzt werden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Wieso schickt Angela Merkel eigentlich Ihren Sprecher vor, anstatt selber was dazu zu sagen?

    Ist es Ihr nicht wichtig genug?

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Der Autor dieses Artikels hat meiner Meinung nach etwas verdreht. Es sollte heißen:



    "Leider ein Toter." und nicht: "Ein Toter. Leider ein Homosexueller." sonst klingt das ein bisschen nach "Vier Tote, zum Glück nur Männer." (wahlweise noch weiße und/oder hetero ergänzen)

    Die Polizei hat hier ganz recht damit, die Details des Opfers nicht an die große Glocke zu hängen. Das geht keinen was an. Und in dem Zusammenhang etwas von "Wir ermitteln in Richtung Homophober Anschlag" zu schreiben wäre ja auch ziemlich entlarvend.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      "Das geht keinen was an."

      Das würde stimmen, wenn die sexuelle Orientierung der Opfer bei der Tat keine Rolle gespielt hat. Insofern ist es wahrscheinlich klug, solange darüber zu schweigen, bis man Näheres weiß.

      Hat sie aber eine Rolle gespielt, so geht es die Gesellschaft sehr wohl etwas an. Denn für gleichgeschlechtliche Paare wäre das eine weitere Auflage des alten Albtraums: Wenn du mit deiner Partnerin / deinem Partner in der Öffentlichkeit als Paar zu erkennen bist, wirst du zur Zielscheibe. Und sollte dir wirklich etwas zustoßen, ist die einzige Reaktion der Mehrheit betretenes Schweigen.

  • Ja, das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden (auch andere Behörden) schwindet rapide in größeren Teilen der Gesellschaft oder ist schon verschwunden.

    Das scheint mir allerdings nur ein Teil der größeren Veränderung zu sein, dass zunehmend alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen allen möglichen andern Gruppen misstrauen.

    Ist das nur negativ? Gehört das nicht zu einer wirklich offenen und bunten Gesellschaft irgendwie dazu, weil die Werte und Weltsichten verschieden sind? Statt über die Nachteile zu klagen, sollte man vielleicht mehr die Vorteile feiern?

  • Islamistische Motive beinhalten immer auch Homophobie. Insofern ist es nicht erforderlich, hierauf explizit hinzuweisen...

  • Sinn und Wort: Homofeindlichkeit trifft das Motiv bessser als das im Wortsinn relativierende Homophobie. Bei anderen ideologisch motivierten Taten hat sich das ja längst durchgesetzt also aus Fremdenangst wurde Fremdenfeindlichkeit und inzwischen meist zutreffend Rassismus.

    • @Nina Janovich:

      Und Schwulenhass ist vielleicht noch etwas präziser.

  • Das ging ja lange, taz, bis ihr darüber berichtet.

    • @resto:

      Das habe ich auch gedacht :)

  • Herr Litschko, ich schätze Sie als Autor, der zumeist versucht, einigermaßen ‚balanciert‘ zu schreiben, aber die Wendung, die sie dem islamistischen/homophoben Attentat geben, ist mehr als bedenklich.

    Ich schlage einen Perspektivwechsel vor: Auf der aktuellen Tagesordnung – insbesondere der genannten Gruppen und Akteure, die sich in die identitätspolitische(n) Ideologie(n) eingeschrieben haben, sollten die Fragen stehen:

    Inwieweit könnte diese Ideologie dazu beitragen, junge Menschen von unserer Gesellschaft zu entfremden und geradezu in die Arme von Islamisten zu treiben, und inwieweit könnte sie geeignet sein, Islamisten in ihrem Weltbild zu bestärken?

    Das ist: die ständig wiederholte pauschale Denunzierung des westlichen Zivilisationsmodells und seiner Institutionen als im Kern ('systemisch' oder 'strukturell') rassistisch, das pauschale Verächtlichmachen aller Weißen, die undifferenzierte Rede von allgegenwärtiger 'Islamophobie' und das Bild einer durch und durch gewalttätigen, rassistischen Polizei.

    Diese Ideologie trifft sich doch in ihrem Haß auf den Westen mit dem Haß der Islamisten auf den Western.

    Die L***** Gruppen sollten einen Moment innehalten und sich fragen, ob sie – im Falle dieses islamistisch/homophoben Angriffs – nicht auch gerade Früchte ernten, die sie selbst gesät haben.

    Und wo sind die Demonstrationsaufrufe ‚French Lives Matter‘‘oder, ‚Enlightenment Matters‘? - DAS ist das Thema der Stunde. Wer steht ein zur demonstrativen Verteidigung der Grundwerte der offenen Gesellschaft?

    Eine Ideologie, die obsessiv- paranoisch im ganzen westlichen Zivilisationprojekt allüberall nur ‚Rassismus‘ und ‚das Patriarchat‘ am Werk sieht, befördert sicher NICHT die Einsicht bei, daß es in unseren Gesellschaften, bei all ihren Schwächen, VERTEIDIGENSWERTES gibt, das NICHT selbstverständlich ist: z.B. die Rechte der Schwulen und anderer Minderheiten – UND die Meinungsfreiheit, deren Wert heute in hohem Maße systematisch verkannt wird.

    • @Weber:

      So einen realitätsfernen und komplett kenntnislosen Unfug hab ich selten gelesen. Wenn hier was ideologisch obsessiv-paranoisch verwurstelt ist, dann Ihre Vorstellung davon, was entsprechende Verbände überhaupt vertreten und wofür sie kämpfen. Lesen Sie wenigstens mal die gesamte Stellungnahme des LSVD, darin auch den Abschnitt zur Gefahr durch den Islamismus: www.lsvd.de/fresh/...es-Paar-in-Dresden



      Der Gipfel ist zu unterstellen, LGBT-Verbände seien letztlich selbst verantwortlich für eine solche Tat, weil sie Missstände innerhalb der Gesellschaft anprangern, anstatt deren tägliches Lob zu singen. Geht's noch?

    • @Weber:

      Das nennt man wohl Täter-Opfer-Umkehr.