Messerangriff in Würzburg: Die Motivsuche hält an

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sieht Hinweise auf Islamismus. Verbände warnen vor schnellen Rückschlüssen.

Mensche legen Blumen in Würzburg nieder

Weiterhin Trauer in Würzburg nach dem Messerangriff Foto: Annkathrin Weiss/reuters

BERLIN taz | Auch Tage nach dem tödlichen Messerangriff in Würzburg ist das Motiv weiter ungeklärt. Wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Montag mitteilte, gebe es zwar Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund.

So sei in der Obdachlosenunterkunft des Tatverdächtigen „einiges gefunden“ worden, „was auf islamistisches Propagandamaterial hinweisen könnte“, sagte der CSU-Politiker bei Bild live. Man müsse aber die Ermittlungsergebnisse abwarten.

Der Tatverdächtige, ein 24-Jähriger aus Somalia, war in der Vergangenheit psychisch auffällig. Ob sich der Islamismusverdacht bestätigt, soll auch die Auswertung zweier sichergestellter Mobiltelefone klären. Die Frage lasse sich „zum gegenwärtigen Zeitpunkt so noch nicht beantworten“, sagte Herrmann.

Ähnlich zurückhaltend zum Motiv äußerte sich am Montag der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert. Die Tat selbst verurteilte er als „fürchterliche, niederträchtige Morde“. Gleichzeitig warnte er, von einem Täter auf andere Menschen derselben Ethnie, Herkunft oder Religion zu schließen.

Verletzte nicht mehr in Lebensgefahr

Am Freitagnachmittag hatte der Tatverdächtige in der Würzburger Innenstadt drei Frauen mit einem Messer getötet und sieben weitere Personen verletzt, darunter ein 11-jähriges Mädchen und einen 16-jährigen Jungen. Am Montag schwebte laut Herrmann keine der fünf schwer verletzten Personen mehr in Lebensgefahr.

Der Tatverdächtige sitzt in Untersuchungshaft – wegen dreifachen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Dessen Anwalt rechnet laut Deutscher Presse-Agentur damit, dass die psychische Verfassung seines Mandanten erneut von einem Experten untersucht wird. Ein psychiatrisches Gutachten nach einem Vorfall im Januar steht noch aus. Damals hatte der Mann aus dem Bürgerkriegsland Somalia, der in Deutschland subsidiären Schutz bekam, Mit­be­woh­ne­r:in­nen mit einem Messer bedroht.

Daniela Glagla von der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) warnt vor zu schnellen Rückschlüssen: „Gewalttaten psychisch kranker Menschen an Fremden sind äußerst selten, das haben Studien längst nachgewiesen“, sagt Glagla der taz. Leider hätten „wir in den letzten Jahren die Beobachtung machen müssen, dass jede Horrortat mit psychischer Erkrankung erklärt wird“.

Im Fall der Würzburger Angriffs sei es noch viel zu früh für ein Urteil, so Glagla: „Wir wissen nichts über den Integrationsprozess des Täters und woran er gescheitert ist.“ Auch über den möglicherweise islamistischen Hintergrund sei zu wenig bekannt.

Lob für Zurückhaltung der Politik

Ähnlich äußert sich auch Jamuna Oehlmann von der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus. Sie warnt vor einer Stigmatisierung von Menschen mit Fluchterfahrung. „Wir haben schon häufig erlebt, wie islamistische Anschläge von Rechten instrumentalisiert wurden“, so Oehlmann. Die Zurückhaltung, mit der sich die meisten Po­li­ti­ke­r:in­nen aktuell zum mutmaßlichen Täter von Würzburg äußerten, nimmt Oehlmann als positiv wahr.

Gleichzeitig beobachtet die Expertin, dass traumatisierte Geflüchtete für islamistische Botschaften anfällig sein können. „Eine psychische Belastung, wie sie offenbar bei dem Angreifer in Würzburg vorlag, ist häufig ein Teil der Radikalisierung.“

Um solche Anschläge zu verhindern, brauche es geschulte Mit­ar­bei­te­r:in­nen in Unterkünften, eine ausreichende psychosoziale Beratung für Geflüchtete sowie finanzielle Sicherheit für Präventionsarbeit, so Oehlmann. Bei vielen Projekten, die über den Nationalen Präven­tionsplan der Bundesregierung zum Thema Islamismus arbeiteten, laufe die Finanzierung Ende des Jahres aus. „Das ist natürlich verheerend.“

Auch für Daniela Glagla sind die „Hilfsangebote im psychosozialen Bereich nicht ausreichend und nicht ausreichend finanziell gesichert“. Eine Vielzahl der Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten sei durch die äußerst schwierigen Bedingungen in ihren Heimatländern und durch die Fluchterlebnisse in ihrer psychischen Gesundheit angegriffen und bedarf fachlich-medizinischer und psychosozialer Hilfen. Die seien in Deutschland für geflüchtete Menschen häufig nicht gegeben, kritisiert Glagla.

Dank an mutige Pas­san­t:in­nen

Am Montag äußerten mehrere Po­li­ti­ke­r:in­nen ihren Respekt und Dank für die Würzburger:innen, die den Täter aufhielten. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von einer „Heldentat“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte an, die Hel­fe­r:in­nen mit der Bayerischen Rettungsmedaille auszeichnen zu wollen.

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