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Merz in der UkraineEin vermeintlicher Coup

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

CDU-Chef Merz reist nach Kiew und produziert starke Bilder. Das Problem ist der Zeitpunkt seiner Reise kurz vor der Landtagswahl in NRW.

Friedrich Merz spricht in Irpin mit Jour­na­lis­t*in­nen Foto: Efrem Lukatsky/dpa

A uf den ersten Blick ist es ein Coup. Friedrich Merz reist in die Ukraine, geht durch Ruinen, trifft Präsident Selenski und Kiews Bürgermeister Klitschko, sagt betroffene Worte in Kameras und die Bilder laufen abends in den Hauptnachrichten und auch sonst auf allen Kanälen. Die Message ist: Der Oppositionsführer macht, was eigentlich der Bundeskanzler tun sollte – er zeigt vor Ort Solidarität mit der Ukraine.

Auch setzt Merz die Bundesregierung von Kiew aus mit neuen Forderungen unter Druck: Deutschland müsse beim EU-Beitritt und der Frage nach Garantiemächten für die Sicherheit der Ukraine eine Führungsrolle übernehmen. Nun darf der Oppositionsführer die Regierung vor sich her treiben. Auch kann Merz reisen, wohin er will. Es ist grundsätzlich auch gut, sich vor Ort ein Bild zu machen, wo das Grauen des Krieges anders erfahrbar ist als durch Zeitungsfotos, Videos im Netz und Gespräche am Telefon. Dass sich endlich ein deutscher Spitzenpolitiker vor Ort solidarisch mit den Ukrai­ne­r:in­nen zeigt, ist zudem eigentlich begrüßenswert. Auch wenn Merz als Oppositionspolitiker keine Versprechungen machen kann.

Doch mit seiner Reise zeigt Merz auch, dass die deutsche Politik nicht geschlossen ist – was insbesondere mit Blick auf den Krieg kein gutes Zeichen nach außen ist. Zudem verlässt er die Rolle der konstruktiven Oppositionsarbeit, die er sich selbst gegeben hat, und versucht sich in Nebenaußenpolitik, was sich die Opposition hierzulande aus gutem Grund gemeinhin verkneift.

Ähnlich hat es ausgerechnet Angela Merkel 2003 als Oppositionsführerin gemacht. Sie reiste in die USA, traf den Vize-Präsidenten und gab der Washington Post ein Interview, das mit „Schröder spricht nicht für alle Deutschen“ überschrieben war. Die rot-grüne Regierung hatte sich klar gegen den Krieg im Irak positioniert, der kurz darauf von den USA völkerrechtswidrig begonnen wurde. Auch Merkel wurde zu Hause aus gutem Grund dafür kritisiert, gegen die Grundregel, dass man die eigene Regierung im Ausland nicht schlecht mache, verstoßen zu haben – auch mit dem Ziel, daraus innenpolitisch Kapital zu schlagen.

Genau das muss man auch Merz vorwerfen – was vor allen Dingen am Zeitpunkt seiner Reise kurz vor zwei wichtigen Landtagswahlen Iiegt. Insbesondere im wichtigen Nordrhein-Westfalen sind die Umfragen knapp, verliert die CDU ihren Ministerpräsidenten, wäre das für die Partei erneut eine tiefe Erschütterung – und für Merz, der selbst aus NRW kommt und dort aktiv Wahlkampf betreibt, die erste richtige Niederlage. Aus Sicht der CDU können da ein paar starke Bilder mit dem Parteichef aus Kiew nicht schaden.

Das parteitaktische Kalkül allerdings ist schon bei Merkel nicht aufgegangen, die große Mehrheit der Deutschen stand hinter Schröders Nein zum Krieg im Irak. Bei der Frage, ob Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern soll, ist die hiesige Bevölkerung gespalten; die Union hatte sich dafür im Bundestag stark gemacht und die Ampel zu einem entsprechenden Beschluss getrieben. Nach einer Blitzumfrage der Civey-Instituts hält die Mehrheit der Deutschen Merz' Reise für falsch. Gut möglich, dass der vermeintliche Coup nach hinten losgeht.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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26 Kommentare

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  • Wir sollten erst warten bis alle Wahlen dieses Jahr zusende sind bevor wir in irgendeiner Art und Weise uns bewegen im Ukraine#Krieg.

    Wahlen wir doch das Nix-Tun 🤪



    Kostet uns auch nix.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      „Es ist schön, in diesem Land zu sein.“



      taz.de/Merz-in-der...bb_message_4317639

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Das sieht die "Das Glas ist zu einem 50'tel geleert natürlich völlig anders. Und für die Generation Z leben wir eh in einem neokapitalisti Sklavenstaat.

        Aber mal im Ernst. Kennen Sie auch nur einen Politiker (außer Putinistas), der etwas anderes als diese simple Aussage treffen würde?

        Wie kommt es übrigens zur Verbreitung solcher unwichtigen Sätze. Muss man sich demnächst ein bedeutungsschwangeres aufgeschnapptes "Die Sonne scheint" den Kopf zerbrechen.

        Warum ist der Satz so wichtig für Sie?

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „starke Bilder…” Gestern im heute-Journal sah ich einen pampigen rechthaberischen Merz, der kritische Nachfragen nicht mochte. Do it like Melnyk.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Was wurde er denn gefragt?

      Und was haben ihre Breitseiten gegen den jugoslawischen Außenminister hier verloren? Wollen Sie etwa Stimmung gegen die Ukraine machen-

  • Das der Mann für ein höheres politisches Amt völlig ungeeignet ist, war auch vorher bekannt.

  • "Es ist grundsätzlich auch gut, sich vor Ort ein Bild zu machen, wo das Grauen des Krieges anders erfahrbar ist als durch Zeitungsfotos, Videos im Netz und Gespräche am Telefon."

    Welche neuen Erkenntnisse sollen denn durch solchen Katastrophentourismus gewonnen werden? Kann Merz seinen staunenden CDU-Kameraden jetzt vom Duft des Krieges und Abenteuers berichten?



    Wie der Unfallgaffer, der gaaaanz langsam fährt, um sich hautnah ein Bild zu machen, was überhöhte Geschwindigkeit so anrichten kann...

    Bei einer Wahlkampfveranstaltung ist es auch etwas seltsam, den Zeitpunkt vor anstehenden Wahlen als "das Problem" zu identifizieren. Ohne Wahlkampf hätte die Reise nicht stattgefunden.

  • Zumindest hat März nicht wie sein Vorgänger vor den Ruinen herumgekaspert.

    • @Phineas:

      Und was ist das im Hintergrund?

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Andreas J:

        Das ist Roderich Kiesewetter.

        • @95820 (Profil gelöscht):

          Die andere Ruine meinte ich, weiter hinten.

          • @Andreas J:

            😂 Und ich meinte das Herumkaspern a la Laschet

  • Was sagte Merz? „Es ist schön, in diesem Land zu sein.“ Der Mann ist nicht ganz klar im Kopf.

  • Angesichts der Entwicklungen in der Ukraine und der jetzt beschlossenen Lieferung von schweren Waffen kann sich Herr Merz den Termin einer solchen Reise nicht einfach aussuchen und auf so etwas banales wie Landtagswahlen Rücksicht nehmen.

  • "vor Ort ein Bild zu machen, wo das Grauen des Krieges anders erfahrbar ist als durch Zeitungsfotos" --- Ich war da, also weiß ich jetzt Bescheid, hab den Durchblick???? Diese Vor-Ort-Kurz-Termine sind doch alle gequirlter Quark. wer hört mal der Bevölkerung zu statt immer den gleichen Politikern? Wer nimmt sich Zeit für Komplexität? Aber darum geht es nicht, es geht einzig um die Bilder und die überlangen Beiträge in den Tagesthemen und die eigene Profilierung. Merz ist und bleibt Krämerseele.

    • @nelly_m:

      Wenn Herr Merz nach der Reise dem Kanzler nützliche Ideen offeriert, die helfen, den Krieg zu beenden ohne dass der Aggressor Russland zum Sieger wird, sei ihm sein (Merz) Alleingang verziehen. Dann würde ich ihm sogar einen großen Pluspunkt geben. Leider ist das nicht sehr wahrscheinlich.

      • @Pfanni:

        Wenn die Örtlichkeit Anlass zu solchen Ideen bieten würde, dann hätte die Inspiration wohl bereits einen der Dutzenden Vorreisenden ereilt...

    • @nelly_m:

      Krämerseele ist noch sehr freundlich formuliert.

  • "Dass sich endlich ein deutscher Spitzenpolitiker ...?"



    Sollte der Beitrag in die Wahrheit? :-)) Merz Spitzenpolitiker ist eine möglich Sichtweise, aber....



    Kopfschütteld (bis zum Kriegsende)



    Неразборчивая подпись!

  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Heißt das jetzt nicht auch, Putin hätte die Landtagswahlen abwarten sollen? Er musste doch schon das Ende der Olympischen Spiele abwarten.



    Im Ernst: Scholz hatte keine Einwände die Reise von Merz und dieser hat sich, zumindest nach meiner Wahrnehmung, bislang rhetorisch zurückgehalten.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Dem Kommentar von Frau am Orde ist in den wichtigsten beiden Punkten zuzustimmen:



    Merz "versucht sich in Nebenaußenpolitik" .



    Ja, er versucht sich.



    Er versucht sich in so vielem - und es ist, wie im Schul- oder im Berufszeugnis:



    "Er hat es versucht."



    Und die vermeintlich "starken Bilder" sind eben das nicht.



    Die Civey-Umfrage zeigt es: Der Bürger spürt die Absicht - und ist verstimmt.



    Auch wenn die publizistischen Merz-Unterstützer von der Tagesschau-Redaktion (insbesondere online inzwischen "traditionell" rechts orientiert) über Heute, den (demokratisch-politischen) Rechtsfunk WDR bis zu Nischen wie Lanz samt ausgewählten Sidekicks applaudierend an der medialen Bande stehen.

  • Das produzieren von Bildern mit und ohne Merz beendet diesen schrecklichen Krieg nicht. Wollen wir den Krieg beenden? Mein Eindruck, eher nicht.



    Ich nehme an, Melnyck, Selensky und Merz sind aus den gleichen Holz.



    Sprüche klopfen, andere kämpfen und leiden lassen. Und das alles mit christlichen Ansprüchen. So schlecht kann keine Leberwurst sein.



    NRW verkommt unter der CDU zu einer ewigen Baustelle. Die ganze Infrastruktur ein Müll. Alles verkommt, muss gesprengt werden oder verschoben.



    Die CDU treibt sich da rum, wo es keine Widerworte gibt. Sie badet gerne lau.

    • @Hans Jürgen Langmann:

      Ich bin ganz sicher das es quais keine Person in DE gibt die nicht froh wäre wenn der Krieg morgen enden würde.



      Aber die Frage ob wir den Krieg beenden wollen ist irrelevant weil wir das nicht in der Hand haben.



      Selensky als legitimer Vertreter der Ukraine hat klar geäußert zu welchen Bedingungen die Ukraine den Krieg beenden würde. Von Putin/Russland gibt es weiterhin nur die Ziele, die als Legitimation für den Überfall auf die Ukraine ausgegeben wurden.



      Es liegt also allein in der Hand von Putin wann der Krieg endet. Außer die Ukraine kapituliert bedingungslos.



      Und so lange wie sie das nicht tun, sondern weiter ihr Land verteidigen will sollten wir sie mit allem was sie braucht dabei unterstützen. Da sie nun mal nicht annäherend über die militärisch-industrielle Potenz Russlands verfügt.



      Im übrigen ist es weder der Job eines Botschafters, noch des Präsidenten eines Landes, geschweige den des Oppositionsführeres im deutschen Bundestag zu kämpfen.



      Und das die Ukrainer in ihrer überwiegenden Mehrheit ihr Land verteidigen wollen wird niemand ernsthaft in Zweifel ziehen. Es ist nicht Selensky der sie dazu antreibt.



      Und was hat das alles mit NRW zu tun? Und den Wahlen dort? Wenn F. Merz sich ein Bild in der Ukraine machen will, und dort empfangen wird, kann er kaum warten bis die Wahl vorbei ist.



      By the way: NRW ist schon verdammt lange Baustelle. Schon als die SPD, oder Rot-Grün, oder ... regiert hat. Plumpe Beschimpfungen der einen oder der anderen Partei werden daran nichts ändern.

    • @Hans Jürgen Langmann:

      Der Krieg geht solange wie Russland Krieg führen will. Wenn Russland Frieden will brauchen sie ca 48h maximal dann sind alle Truppen aus der Ukraine raus, vielleicht nochmal 72h zur Räumung der Krim. Danach ist Frieden. Reparationen, Prozesse gegen russische Kriegsverbrecher muss man dann noch regeln aber dann kann man langsam an einer Normalisierung der Beziehungen arbeiten wenn Russland aktive Schritte zur Selbst-Entwaffnung unternimmt um Vertrauen aufzubauen.

    • @Hans Jürgen Langmann:

      Ihr Kommentar wird da sauer, wo Sie Putin und Lawrow nicht in die Aufzählung derer nehmen, die andere kämpfen und leiden lassen.

      • @o_aus_h:

        Na, dann ist ja gut, dass Sie ergänzt haben.



        Ich bin davon ausgegangen, dass die Aufzählung nur die Maulhelden umfasst, die hier zu den guten zählen.



        Obwohl.



        Hmm.



        Ne, passt nicht. Da wäre Merz ja gar nicht dabei...