Merz beim CSU-Parteitag: Geschlossene Gesellschaft
Und wenn Söder doch der Bessere wäre? Den Gedanken verbietet sich die CSU. Stattdessen bereitet sie CDU-Chef Merz einen euphorischen Empfang.
Ganz gleich, ob es – schwer vorstellbar – Absicht des CSU-Chefs war, eine eher mittelmäßige, mitunter etwas langatmige Rede zu halten, um dem CDU-Kollegen nicht die Schau zu stellen, oder ob er tatsächlich nicht in Höchstform war, der Effekt war letztendlich der beabsichtigte. Und ganz gleich, ob Friedrich Merz die CSU-Delegierten tatsächlich derart mitzureißen vermochte oder ob sie dem Gast aus Parteiräson deutlich mehr Begeisterung und Jubel entgegenbringen wollten als dem eigenen Chef, auch das hat funktioniert.
Ob sich noch jemand an die Unterhaltungsshow „Dalli Dalli“ erinnere, fragt Söder nach Merz’ Rede und ruft: „Das war …“ Die Delegierten stimmen im Chor ein: „… Spitze.“ So wenig Söder-Show war noch nie auf einem CSU-Parteitag, seit der Franke 2019 den Parteivorsitz von Horst Seehofer übernommen hat.
In der Tat ist Merz’ Auftritt am Samstag zwar kein rhetorisches Feuerwerk, aber doch kämpferischer, kurzweiliger und präziser als der vorherige von Söder. „Man habe wieder zu einem neuen Miteinander gefunden“, freut sich der CDU-Chef, stellt natürlich Söders Beitrag an dieser Entwicklung heraus und skizziert seine Prioritäten für einen Politikwechsel in Deutschland. Er wolle keinen Migrationswahlkampf führen, behauptet Merz. Aber wenn die Ampel in der Frage immer auf der Bremse stehe, werde man das Thema im Wahlkampf eben doch immer wieder auf den Tisch bringen müssen.
Wie hält er’s mit den Grünen?
Die Freiheit, die Sicherheit Deutschlands sieht Merz gefährdet, und das habe eben „auch etwas mit irregulärer Migration“ zu tun. Klar, er habe nichts gegen Migration, sein Bundesland Nordrhein-Westfalen sei ohne Migration gar nicht denkbar; aber es seien eben vor allem die jungen Männer, die in den letzten zehn Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien, die uns „die allergrößten Problem machen“, und wenn sich Frauen nicht mehr in die Innenstädte trauten, dann müsse man eben … genau.
Verglichen mit Söder am Vortag hält sich Merz aber tatsächlich nur kurz bei dem Thema auf, spricht dann über die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, verspricht, dass ein unionsregiertes Deutschland sich wieder stärker in Europa engagieren werden. Es folgt ein kurzes – natürlich unter allen Vorbehalten formuliertes – Lob an Gerhard Schröder und seine Agenda 2010 sowie die Forderung, es ihm nun mit einer Agenda 2030 gleichzutun. Etwas Spott über die Vielzahl der von der Bundesregierung eingesetzten Beauftragten und Sahra Wagenknechts „Sozialismus in Chanel“ lässt den Saal schließlich toben.
Und dann die Gretchenfrage, die Grünenfrage: Wie hält’s Merz mit ihnen? Es ist der einzige Punkt, bei dem in den vergangenen Wochen ein Hauch von Dissens zwischen Söder und Merz zu erahnen war. Am Vortag hat Söder noch einmal klargemacht, dass mit ihm eine schwarz-grüne Koalition nicht infrage komme, hat die Grünen als die Hauptschuldigen an der aus CSU-Sicht miserablen Performance der Bundesregierung ausgemacht, den „eigentlichen Täter“. Einen Großteil seiner Rede nutzte er für eine Philippika gegen die Regierungspartei. Sie blieben Linke und Ideologen und „immer und immer wieder gegen Bayern“, sagte Söder. „Die Grünen sind ein wichtiger Bestandteil für die Demokratie – für die Opposition.“
Kein Spaß mit der SPD
Söder warnte vor schwarz-grünen Gedankenspielen. Wenn die Union sich eine Koalitionsoption mit den Grünen offen halte, so seine These, werde sie bei der Wahl weniger als 30 Prozent holen. Er sei „aber nicht bereit, wieder eine schwache Mehrfachregierung zu riskieren“. In der Frage hatte es im Vorfeld des Parteitags bereits Unruhe gegeben – in diesem Fall sogar innerhalb der CSU. Als sich der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber in einem Interview nicht ganz so apodiktisch äußern wollte wie Söder, bezog er umgehend verbale Hiebe von Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Fraktionschef Klaus Holetschek und Söder selbst. Demokraten müssten immer miteinander sprechen können und versuchen, Wege des Miteinanders zu finden, hatte Weber anzumerken gewagt. Eine „Mindermeinung“, befand Söder.
Merz nun zieht sich wie zuletzt mit einer ungefährlichen Floskel aus der Affäre: „Mit diesen Grünen, so wie sie heute da sind, ist auch aus meiner Sicht eine Zusammenarbeit nicht denkbar und nicht möglich.“ Für die Zeit eventueller Koalitionsgespräche lässt der Satz freilich alles offen. Denn die Frage, ob morgen die Grünen, wie sie dann da sind, noch die sind, wie sie gestern da waren, liegt in der Beurteilung des morgigen Betrachters und ist für heute irrelevant.
Immerhin: Gar so deutlich wie Söder will Merz nicht werden – vielleicht auch im Wissen, dass eine zu frühe Festlegung nur der SPD in die Hände spielt. Denn: „Wenn dann nur noch die Sozialdemokraten übrigbleiben, wird es auch kein Vergnügen“, sagt Merz dann doch noch. Gerade in der Verteidigungspolitik, aber etwa auch in der Sozialpolitik werde es dann „verdammt schwierig“. Er warne daher vor einem Koalitionswahlkampf, die Union solle sich darauf konzentrieren, den Menschen zu sagen, was sie wolle, und nach der Wahl sehen, wie sie es umsetze.
Ganz anders als etwa mit dem Dauerrivalen Weber scheint Söder mit Merz inzwischen tatsächlich eine strapazierfähige Partnerschaft zu verbinden. Neben vielen Kompetenzen, die der CDU-Chef mitbringe, sei für die CSU wichtig, „dass er das richtige Koordinatensystem in der Migrationsfrage hat“. Dem Thema räumte er selbst denn auch neben der Attacke auf die Grünen den größten Raum ein.
Leitantrag für Asylwende
„Wir werden in der Migrationspolitik ein neues Kapitel in der deutschen Politik aufschlagen“, kündigte Söder an und rechnete beispielsweise vor, dass man mit dem Geld, das Bayern von 2018 bis 2025 für Flüchtlinge ausgegeben haben werde, fünfzigmal die Allianz-Arena hätte bauen können. Die 18 Milliarden Euro wären besser für Familien, Pflege und Kinder ausgegeben worden. Es brauche jetzt eine echte Asylwende, forderte Söder. Manch einer fühle sich in seinem Stadtteil nicht mehr so daheim – eine Behauptung, die man in der jüngeren Vergangenheit häufig von Söder hört.
Söder forderte eine Obergrenze von 100.000 Flüchtlingen, die im Jahr nach Deutschland dürften, Zurückweisungen an der Grenze, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan sowie eine Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl. Forderungen, die sich mitsamt einiger weiterer auch in einem Leitantrag wiederfinden, den die Delegierten am Samstagvormittag noch schnell verabschieden. Ohne Widerspruch. Ohne Wortmeldung.
Als Friedrich Merz den Delegierten zum Schluss noch einen Tipp für die Herausforderungen der Zukunft mit auf den Weg geben will, lässt der CDU-Chef durchblicken, dass in ihm halt doch ein alter Anarcho steckt, und zitiert den auf den Bayern Herbert Achternbusch zurückgehenden Sponti-Klassiker: „Du hast keine Chance, aber nutze sie.“ Naja, fast. Mehr so sinngemäß. In Wirklichkeit ist es eine etwas umständlichere Version des Spruchs, die Merz den Delegierten vorträgt: „Diejenigen, die glauben, es sei nicht möglich, werden gebeten, diejenigen nicht zu stören, die es trotzdem versuchen.“ Der Spruch soll im Büro von Emmanuel Macron hängen.
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