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Merkels letzte Einheits-RedeVerheerende Ostbilanz

Rieke Wiemann
Kommentar von Rieke Wiemann

Die Kanzlerin bekam beim Einheitsfestakt viel Applaus – zu Unrecht: Für die Belange des Ostens hat sie sich nie besonders eingesetzt.

Die Spitzen des Staates am Sonntag in Halle Foto: Hendrik Schmidt / dpa

D er Applaus nach der Rede von Angela Merkel zum Tag der Deutschen Einheit dauerte lange. Die 340 Teil­neh­me­r*in­nen des Festaktes in Halle klatschten im Takt und feierten die Kanzlerin mit Standing Ovations. Zwar hielt sie eine bewegende Rede. Sie betonte, dass die Wiedervereinigung vor 31 Jahren nicht einfach über uns hereingebrochen sei, sondern errungen werden musste – und zwar von jenen Ostdeutschen, die während der friedlichen Revolution im Jahr 1989 auf die Straße gegangen sind und sich gegen die herrschenden Verhältnisse aufgelehnt haben.

Dennoch hat Merkel einen solchen Beifall nicht verdient. Denn die Kanzlerin, die selbst in der DDR aufgewachsen ist, hat es in 16 Jahren nicht geschafft, für gleiche Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland zu sorgen. Der diesjährige Bericht zum Stand der deutschen Einheit zeigt: Der Osten hinkt dem Westen wirtschaftlich noch immer hinterher. Das Bruttoinlandsprodukt in den ostdeutschen Bundesländern erreicht nur rund 78 Prozent des westdeutschen Niveaus.

Darüber hinaus verdienen Beschäftigte in Ostdeutschland nach wie vor weniger Geld. Für eine ostdeutsche Regierungschefin ist das eine verheerende Bilanz. Obwohl sie selbst den Untergang der DDR miterlebt hat, hat sich Merkel nie besonders für die Belange des Ostens eingesetzt. Den Mindestlohn zum Beispiel lehnte Merkel lange ab. So sehr, wie sie die Ostdeutschen in ihrer letzten Einheitsrede würdigte, hat sie es in ihrer Amtszeit selten getan.

Ohnehin hat Merkel ihre ostdeutsche Vergangenheit eher versteckt, sie hat nur selten von ihrer Herkunft erzählt, davon, wie sie in der Prignitz und in der Uckermark groß wurde. So hat sie den Kontakt zu den Ostdeutschen im Laufe ihrer Amtszeit immer mehr verloren. Gänzlich unbeliebt machte sich Merkel im Osten des Landes 2015, als sie Hunderttausenden Geflüchteten Schutz in Deutschland gewährte.

Seither wird die CDU dort immer schwächer und die AfD immer stärker. Bei der Bundestagswahl wurde die AfD in Thüringen und Sachsen stärkste Kraft, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg landeten die Rechtspopulisten auf Platz zwei – hinter der SPD. In allen Ostländern zusammen kommt Merkels Partei nur noch auf 16,9 Prozent. Merkel hat die Ostdeutschen nicht mehr hinter sich.

Statt ein Fest zu feiern, Reden zu schwingen und zwischendurch Klavierstücken zu lauschen, sollten Merkel und die Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen die Zeit anders nutzen und sich überlegen, wie sie die immer tiefer werdenden Gräben zwischen Ost und West füllen und den Osten wieder von der Demokratie überzeugen können.

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Rieke Wiemann
Korrespondentin
Jahrgang 1994, ist Korrespondentin in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, hat ihr Volontariat bei der taz absolviert.
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18 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Gänzlich unbeliebt machte sich Merkel im Osten des Landes 2015, als sie Hunderttausenden Geflüchteten Schutz in Deutschland gewährte."

    Wer den "Osten des Landes" als konturlose, einheitliche Masse darstellt, sollte sich womöglich grossm....er Vorwürfe enthalten.

  • "Gänzlich unbeliebt machte sich Merkel im Osten des Landes 2015, als sie Hunderttausenden Geflüchteten Schutz in Deutschland gewährte.

    Seither wird die CDU dort immer schwächer und die AfD immer stärker."

    Heißt das, eine taz-Autorin teilt die Ansicht der AfD, die Flüchtlinge hätten nie ins Land gedurft?

    • @Strolch:

      Wie kommen Sie darauf? Es ist doch eindeutig, dass die Autorin (meiner Meinung nach sehr oberflächlich) die eindeutige Wählerwanderung zur AfD im Osten als Reaktion auf Merkels Flüchtlingspolitik annimmt.

      Mit ihrer persönlichen Meinung zur Migrationspolitik hat das erstmal nichts zu tun.

  • Was darf ich mir unter "gleiche Lebensverhältnisse" vorstellen, die herzustellen Merkel versäumt habe?



    Dass es regionale, sogar lokal Unterschiede gibt, war immer schon so und wird immer so sein. Die einen entwickeln sich, andere hinken hinterher und wieder andere verlieren den Anschluss. Politik kann dieses Auseinanderdriften beeinflussen, verhindern kann sie es nicht. Das hat etwas mit den jeweils vorhandenen sozioökonomischen Strukturen, natürlichen Gegebenheiten, Demographie etc. zu tun.



    Die Autorin lässt hier ihren Phantasien über die angebliche Allmacht der Politik freien Lauf. Kluge Politik kann die richtigen Rahmenbedingungen für Entwicklung setzen, herbeiführen kann sie diese - und schon gar nicht im Alleingang - nicht.



    Man kann kein Dax Unternehmen dazu zwingen, sich zur Erreichung gleicher Lebensverhältnisse in Zwickau oder andernorts anzusiedeln und das gilt für jeden Arbeitnehmer auch.

  • Ich bin kein großer Fan von Angela Merkel, sie ist mir zu wenig sozial, zu wenig ökologisch, zu konservativ. Aber dass sie eben keine Identitätspolitik betrieben hat, dass ihre Politik von ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft aus der ehemaligen DDR unabhängig war, das halte ich ihr zu Gute.



    "Die Ostdeutschen" sind überhaupt keine homogene Wählergruppe, es gibt welche, die waren in der DDR begeisterte Kommunisten und solche, die sich gegen das Unrechtssystem gewehrt haben, es gibt welche, die nach der Wende ihre Chance ergriffen haben und andere, die zu den Verlierern der Wende gehören, es gibt Rechte und Linke,, es gibt solche, die nach Westen gegangen sind, ebenso wie Westdeutsche, die indem Osten gegangen sind (wer von beiden zählt denn jetzt eigentlich als Ostdeutscher?), es gibt Regionen, die boomen und solche, die wirtschaftlich nicht auf die Beine kommen. Was soll da Politik für die Ostdeutschen sein? Dass man ihr jetzt von links "2015" zum Vorwurf macht, weil es nicht in die identitätspolitische Schablone passt, macht das ganze völlig absurd.



    Dass der Osten auch nach 30 Jahren wirtschaftlich nicht die Leistungsfähigkeit des Westens erreicht hat, kann man nur sehr bedingt der Politik der letzten 15 Jahre angreifen, das ist eher in den 50er bis 80er Jahren angerichtet worden. Man sollte den Osten Deutschlands eher mit Ländern wie Polen oder Rumänien vergleichen, da steht er ziemlich gut da, auch was die demokratische Entwicklung betrifft.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Merkels letzte Einheits-Rede"

    Gott sei Dank!

  • Eine verheerende Bilanz, ja! Weil sich Merkel nur um die Mehrheiten im Westen gekümmert hat ! Der Osten wurde von ein paar Einzelkämpfern aufgebaut, aber nie richtig integriert! Nur Geld zu verteilen reicht eben nicht!

  • 6G
    68514 (Profil gelöscht)

    Mit Merkel als Kanzlerin wurde doch lediglich die Politik aus der Kohl-Zeit weitergeführt. Und wie sich Kohl (besonders in Zeiten der Wende und danach) aufführte fand ich unerträglich. Letztlich wurde die Leistung der einafchen Menschen, durch die die Wende ja überhaupt erst möglich wurde, völlig ignoriert. Speziell in Sachsen gipfelte es darin, dass sich die Sachsen-CDU als neue Staatspartei aufführte. Ja, das wurde letztlich durch die Menschen, die die Wende herbeiführten, auch so akzeptiert. Man sieht's ja an den Wahlergebnissen in den Jahren nach der Wende. Und nun ist die Enttäuschung groß. Da lautet die Frage, wo wäre denn ein Demokratiedefizit zu verorten? Hier gehört das Gesamtsystem auf den Prüfstand.

  • Merkels hat das Land verwaltet. Notwendige Reforme wie zum Beispiel im Rentensystem oder in der Migrationspolitik wurden, wahrscheinlich aus Angst sich unbeliebt zu machen, nicht angegangen. Eine meist gute wirtschaftliche Lage und eine sehr wohlwollende Presse haben ihr sehr geholfen.

  • Nun ja. Sich unbeliebt zu machen indem man Flüchtlinge aufnimmt ist schon ehrenvoll. Das gehört hier auch einfach nicht hin. Dass Merkel nicht als ostdeutsche Kanzlerin für die Ostdeutschen gelten wollte, kann man auch noch nachvollziehen. Vielleicht hätte ein westdeutscher Kanzler diesbezüglich mehr Spielraum gehabt. Das eigentliche Problem ist hingegen Merkels Marktgläubigkeit. Sie hat einfach gewartet, bis sich die Wirtschaft im Osten Deutschlands erholt und hält das auch für vernünftig. Natürlich hat sie Wirtschaftsprojekte etc. subventioniert, aber nicht wirklich die Angleichung der Lebensverhältnisse forciert. Diese gesellschaftliche Aufgabe hat sie weitgehend verweigert. Sie hat auch unübersehbar die ja tatsächlich vorhandenen historischen Unterschiede zwischen Ost und West ignoriert. Sie hat zum Beispiel auch die wichtige Differenzierung verweigert, zwischen denjenigen, die sich mit Recht um die Würdigung ihrer Leistungen und ihrer Leiden in den Jahren 89, 90 ... gebracht sehen und jenen (darunter auch Neuostdeutsche, die sich diese Leistungen nur anmaßen und die Befindlichkeiten nutzen, um Ressentiments zu pflegen. Im Osten fühlen sich viele betrogen, manche tatsächlich um eine lebendige Demokratie, die meisten aber nur um Wohlstand. Über diesen Unterschied habe ich von Merkel eigentlich nichts gehört, zugegebenermaßen allerdings auch zum Beispiel von keinem einzigen Bundespräsidenten. Wenn man diese Grenze aber nicht zieht, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Ost- West- Grenze nicht verschwindet. Also Frau Merkel: dringend mal ein Buch schreiben!

  • „ . . . Für die Belange des Ostens hat sie sich nie besonders eingesetzt“



    Eine wohlfeile Kritik! Denn, nur mal angenommen, sie HÄTTE sich besonders „für die Belange des Ostens“ eingesetzt: Dann hätte sie sich rechtfertigen müssen, weshalb sie den „Osten“, ihre eigene Heimat, bevorzugt und den „Westen“ vernachlässigt!



    Das gleiche gilt für den Vorwurf, dass sie „es in 16 Jahren nicht geschafft [hat], für gleiche Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland zu sorgen“: Man möge sich erinnern, dass die DDR-Regierung 40 Jahre lang alles darangesetzt hat, die DDR und ihre Bevölkerung vom „Westen“ abzugrenzen. Nicht nur durch die innerdeutsche Grenze!



    Im Übrigen musste sich bisher jede Regierung zum Ende der Legislaturperiode eine lange Liste von Fehlern und Versäumnissen vorhalten lassen (gilt auch für die rot-grüne Schröder/Fischer-Regierung).



    Was die neue Regierung mit sich bringen wird, muss sich noch zeigen. Hoffentlich muss man dann nicht sagen, dass es unter Merkel besser war!

  • Muss man Osten, Norden, Süden, Westen besonders fördern, was auch immer das Fördern bedeutet? Nein. Man ist, wie AfD, eine rhetorische Figur aus, man kreiert einen Markt, um Stimmung und Stimme zu machen. Dem sollte sich die Presse nicht anschließen. Die Menschen sind gleich. Viel mehr sind, überall, das beschädigte Soziale und die Schöpfung zu reparieren und zu bewahren, psychopathologisch besetzte Marktradikale des Platzes zu verweisen. Dies kann die CDU nicht. Sie gehört wesentlich zu der Clique der Verursacher von Bosheit.

  • Wenn ausgerechnet die TAZ als Zeitung der besserverdienenden Großstadtbewohner hier Krokodilstränen der mangelnden politischen Vertretung ländlicher Bewohner in östlichen Bundesländern nachweint hat das schon ein Geschmäckle. Bisher ist sie mir nie als Vertretung von Handwerkern und Pendlern aufgefallen.

  • Sie hat lediglich die Interessen und das neoliberale Program der CDU als Frontfrau vertreten.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Nilsson Samuelsson:

      "Lediglich" hat extreme Auswirkungen gehabt. Ganz besonders für die Menschen mit geringem Einkommen.



      Ein Vergleich der Vermögensverhältnisse in Europa ist auch spannend. Ebenso die Renten!

      Ich sehe es so. Erst der "Reformstau" (kann mich genau erinnern) von Helmut Kohl. Dann der unsäglichen Autokanzler der kein Recht auf Faulheit zulassen wollte.



      Und danach 16 glanzlose Jahre von Merkel - immer bergab.

      Wir hätten so gut im weltweiten Vergleich dastehen können. Hätte, hätte....

      Wir müssen den Politikern viel, viel mehr auf die Finger schaun. Transparenz ist oberstes Gebot. Es kann nicht sein, dass die Politiker "ganz demokratisch" gewählt werden und plötzlich machen die, was sie wollen - z.B. Afghanistan Krieg.

  • Frau Merkel hat es auch nicht geschafft, gleiche Lebensverhältnisse im (nördlichen) Ruhrgebiet und dem Rest der Republik zu schaffen. Sich auf die Ost-Schiene zu kaprizieren ist ein bisserl eindimensional. Und zig Jahre SPD in NRW haben übrigens auch keine gleichen Lebensverhältnisse zwischen dem Ruhrgebiet und Rest-NRW geschaffen.



    Wenn ich mir Dresden, Leipzig oder Rostock anschaue und es mit Gelsenkirchen, Duisburg usw vergleiche, dann ist deutlich, an welchen Orten mehr Benachteiligung herrscht

    • @Ignaz Wrobel:

      Insofern sieht man, dass beide großen Parteien, vertreten durch Kraft und Laschet, im Ruhrgebiet versagt haben. Aus einst "blühenden" wurden triste Landesteile; dass sie damit die politischen Ränder fördern wissen sie, sind aber zu feige, es einzugestehen.

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Einheitsbrei mit applausometer 2 min soviel Zeit bleibt bei den Fragen an die Regierung zum antworten …. Sich für Demokratie einsetzen und die rechte Flanke getrost größer werden zu lassen ist nachlässig