Mein Auftritt im türkischen Fernsehen: Der Stolz der Nation
Leider gelingt es mir nicht recht, auf die Türkei stolz zu sein. Der Moderator im türkischen Fernsehen fand das gar nicht lustig. Eine Satire.
M eine Frau Eminanim hat mich in der Türkei bei zwei Dutzend Fernsehsendern als „Gastarbeiter, der alleine lesen und schreiben kann“, denunziert. In der Hoffnung, so den Sommerurlaub finanziert zu bekommen.
Und tatsächlich wurde ich eingeladen.
„Herr Engin, ich freue mich, den bekanntesten türkischen Hip-Hop-Musiker Deutschlands hier in meiner Talkshow als Gast zu haben“, säuselt der Fernsehmoderator.
„Ich und Musiker? Ich hasse Musik und alle Musikgeräte! Ganz besonders hasse ich die Musikgeräte meines Sohnes Mehmet!“
„Herr Engin, Sie sind einer unserer Künstler im europäischen Ausland. Unsere ganze Nation ist stolz auf Sie“, grinst er.
„Ach, sagen Sie bloß, haben Sie etwa meine Bücher gelesen?“, frage ich hoch erfreut.
„Öhm … eh … direkt gelesen nicht“, nuschelt er.
„Indirekt?“
„Öhm …“
„Haben Sie überhaupt schon mal ein Buch gelesen?“, hake ich nach.
„Hmm …, na ja …“, murmelt er.
„Wissen Sie überhaupt, wie ein Buch aussieht? Ich gebe Ihnen einen Tipp: Man kann es nicht essen und es hat keinen Busen.“
„Ehhe … höh …, Herr Engin, die gesamte Türkei, einschließlich Zypern und Nordsyrien, ist stolz auf Sie! Und Sie sind auf unser Land sicherlich genauso stolz, nicht wahr?“
„In letzter Zeit eigentlich nicht so sehr.“
„Waas? Wurden Sie durch die PKK, den IS, die CIA, die Mafia, die Frauenbewegung oder durch eine andere Terrororganisation zu der Aussage ‚ich bin nicht stolz auf meine Regierung und mein Land‘ gezwungen?“, brüllt er plötzlich.
„Aber warum sollte ich denn auf ein Stück Land stolz sein? Also auf Steine, Sand und Erde, die seit Milliarden von Jahren existieren und denen es völlig egal ist, wer auf ihnen herumturnt.“
„Aber Ihre Mutter hat Sie doch in der Türkei geboren, oder?“, zischt er.
„Nein, ich wurde am Südpol geboren. Aber gezeugt wurde ich auf der dunklen Seite des Mondes. Weil meine Eltern sehr schüchtern waren, musste es dabei immer sehr dunkel sein. Muss ich jetzt etwa auf den Mond stolz sein?“
„Mensch, wissen Sie, wie man so was wie Sie nennt?“
„Klar. In der Türkei nennt man mich ‚Almanci – Der Deutschling‘. In Deutschland ‚Türke mit Migrationshintergrund‘. Meine Frau nennt mich ‚Dämlicher Kanake‘ und meine Kinder rufen: ‚Hey Alter, schieb mal Kohle rüber‘.“
Der Moderator kriegt einen Tobsuchtsanfall und schlägt seinen Kopf abwechselnd auf Kamera drei und Kamera fünf und flucht:
„Schnitt! Aus! Schafft mir diesen Vaterlandsverräter weg!“
Ich flüchte sofort ins Hotel und schalte den Fernseher an:
„Die Unruhen, die durch dieses verhängnisvolle Interview verursacht wurden, weiten sich im ganzen Land aus. Es gibt zahlreiche Festnahmen“, sagt die Sprecherin mit bedrückter Stimme.
Ich schalte schnell auf ein anderes Programm: „Ein Terrorist bringt das Land an den Rand des Bürgerkriegs. Der TV-Sender, der das Interview mit dem Vaterlandsverräter Osman E. ausstrahlte, wurde von aufgebrachten Bürgern niedergebrannt. Das Kriegsrecht wurde ausgerufen.“
Also gut, wenn ich unbedingt stolz sein muss: Ich bin stolz – ein mondgesichtiger Pinguin zu sein!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz